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Lars Mytting

Astrids Vermächtnis

 

  • Herausgeber ‏ : ‎ Insel Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 653 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3458644200
  • Originaltitel ‏ : ‎ Skråpanatta

 

Episch breit und beeindruckend erzählt

 Erst als ich das Buch in Händen hielt und mich weiter über den Autor informierte, wurde mir klar, dass „Astrids Vermächtnis“ der letzte Band einer Trilogie ist mit einer Handlung, die sich offensichtlich über mehrere Generationen hinzieht. Meine Befürchtung, in Unkenntnis der beiden vorausgegangenen Bücher schwerer in diesen dritten Band hineinzufinden, stellte sich glücklicherweise schnell als unbegründet heraus. Schön ist es, das Buch in Händen zu halten. Ein farblich und gestalterisch gelungenes Cover und vor allen Dingen 650 Seiten feines, dünnes und sehr glattes Papier ließen auch haptisch ein Leseerlebnis der besonderen Art erwarten.

Die Handlung umspannt die Jahre 1936 – 1945 im kleinen Ort Blutangen in Norwegen. Die Deutschen überfallen das Land. Astrid Hekne, die Hauptperson, ausgestattet mit großem Kampfgeist, schließt sich dem Widerstand an. Ihre Kraft scheint sie von ihrer Großmutter geerbt zu haben, einer Frau, deren Denken und Handeln tief im mythischen Denken verwurzelt war. Astrids Bruder Tarald jedoch sympathisiert mit den Nationalsozialisten. Ein vor mehr als 400 Jahren von den damals lebenden Hekne-Schwestern gewebter Wandteppich enthält angeblich mehrere Weissagungen, die bis in die geschilderte Jetztzeit reichen. Astrid bewegt sich genau zwischen dieser Mystik und der harten Realität.

„Astrids Vermächtnis“ ist ein Buch, in das man sich tief hineinversenken kann. Man taucht ein in eine Geschichte, die von einer vergangenen Zeit erzählt, die noch gar nicht so lange her ist, aber gleichermaßen auch gespeist wird von der Kraft und dem mythischen Denken früherer Generationen. Es wird sehr detailverliebt erzählt, aber keineswegs langweilig. Im Gegenteil, die Handlung ist durchaus spannend, die Schilderungen der grandiosen Landschaften beeindruckend, die Darstellung der Personen eindrucksvoll und bewegend. Trotz des üppigen Buchumfangs dieser episch breit angelegten Geschichte fesselte mich das Buch durchweg, denn erzählt wird in einer intensiven, farbigen, atmosphärisch dichten und schönen Sprache, sodass das Lesen zum wahren Genuss wurde. Gerade die Verknüpfung persönlicher Schicksale und historischer Gegebenheiten, eingebunden in nordisches mystisches Denken übte auf mich eine große Faszination aus. Absolut empfehlenswert!

 

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Wolfgang Hofer

Olaf ermittelt

  • Herausgeber ‏ : ‎ CW Niemeyer Buchverlage
  • Broschiert ‏ : ‎ 352 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3827193278

 

 

Olaf, wie er sein könnte 

Dass sich ein erfolgreicher Schreiber von Musical- und Songtexten (Vater Abraham u.v.a.) und damit seine zweifellos reichlich vorhandene Kreativität in die Niederungen der Politik und sogar in das kriminelle Milieu schickt, war so nicht zu erwarten. Schon gar nicht in dieser außerordentlich witzigen Weise. Aber alle Achtung, es ist Wolfgang Hofer ein Buch gelungen, das satirisch-humorvoll die auftretenden Akteure respektvoll entlarvend in eine Krimi-Handlung hineinzieht, die spannend und überraschend endet. 

Olaf stolpert beim Gassi-Gehen mit Hund Schröder über eine Leiche. Und dieser überraschende Fund weckt die geheime Leidenschaft von Olaf, nämlich seinem kriminalistischen Spürsinn zu folgen. Ist ja irgendwie auch viel interessanter als das Regieren. Dass es zwei weitere Leichen gibt, fordert Olaf ganz schön heraus. Ein alter Freund aus Studienzeiten, der jetzt ein höheres Amt als Kriminaler bekleidet, eine Kellnerin und ein Kleinkrimineller unterstützen Olaf bei seinen Nachforschungen. Und wenn Frau Britta nicht gerade die Baerbock-Töchter hüten muss, ist auch sie eine große Stütze für Olaf.

 

Dies ist die grob erzählte Handlung. Den eigentlichen Charme des Buches macht jedoch jenseits des Krimi-Geschehens aus, wie sich der Autor humorvoll-witzig den handelnden Personen nähert. Gerade die mit Klarnamen benannten Figuren aus der Politik bekommen eigenwillige und doch satirisch treffliche Attribute, über die ich so manches Mal laut lachen musste. Und genau diese unernste, aber niemals respektlose Erzählweise macht den Lesespass aus. Leider verliert sich der Krimi im zweiten Drittel des Buches etwas zu sehr in ausufernde Detailberichte und in das Auftreten von zu vielen Personen, die zur Verwirrung führen. Auch wenn die Auflösung zum Schluss noch eine Überraschung bietet, halte ich das Krimi-Geschehen als solches für nicht so wesentlich. Wichtiger und gekonnter war für mich das permanente Augenzwinkern, mit dem der Autor Olaf selbst und sein Umfeld, politisch und privat, schildert. 

Fazit: Niemand weiß, wie Olaf Scholz wirklich ist. Nach Lektüre dieses humorvollen Buches weiß man zumindest, wie er sein könnte.

 

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Menachem Kaiser

Kajzer – Mein Familienerbe und das Abenteuer der Erinnerung

 

  • Herausgeber ‏ : ‎ Paul Zsolnay Verlag
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 336 Seiten
  • ISBN ‏ : ‎ 978-3552073395
  • Originaltitel ‏ : ‎ Plunder. A Memoir of Family Property and Nazi Treasure

  Ein Stück Zeitgeschichte vielschichtig erzählt

 

Dieses Buch schlug ich erst einmal mit gewissen Vorbehalten auf. Wollte ich wirklich lesen über ein Thema, das schon in zig Variationen in der Literatur und in Filmen seinen Niederschlag gefunden hatte? Ich war irgendwie des Themas überdrüssig, wohl wissend, dass gerade in unserer heutigen Zeit solche Bücher nicht nur wichtig, sondern dringend notwendig sind. Aber in meinem höheren Alter war ich es satt, wieder und wieder über das Entsetzliche zu lesen.

 

Menachem Kaiser, im fernen Toronto lebend und eigentlich ohne Bezug zu seiner Familiengeschichte, macht sich auf den Weg nach Polen. Es gibt dort ein Mietshaus, einst in Familienbesitz, dann von den Nazis enteignet. Der Autor versucht, dieses einstige Familieneigentum wieder zu erlangen. Dass diese Reise sowohl in die Vergangenheit, wie in das Leben seines Großvaters, führt als auch in die Gegenwart, in der Skurriles und  fast mystisch Anmutendes gleichermaßen zu finden ist, erzählt Menachem Kaiser staunend, irritiert, genervt, bewegt und durchaus auch mit einem leisen Humor. Und genau dieser leise Humor machte das Buch für mich gut lesbar. Auch wenn manche Passagen bzw. Erzählstränge für mein Empfinden zu breit erzählt werden. Auch wenn nicht chronologisch erzählt wird und damit mitunter dem Geschehen schwierig zu folgen war.

 

Fazit: Ein Buch, das zwischen erzählender Literatur und Sachbuch einzuordnen ist. Ein Buch, das ein Stück Zeitgeschichte sowohl aus dem distanzierten Blickwinkel eines jüngeren Menschen als auch aus dem familiären persönlichen Betroffensein erzählt wird, vielschichtig und mit leisem Humor, manchmal langatmig, manchmal berührend. Ein durchaus wichtiges Buch, wie ich finde.

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Hallgrimur Helgason

60 Kilo Kinnhaken

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Tropen

·        Sprache ‏ : ‎ Deutsch

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 672 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608501841

·        Originaltitel ‏ : ‎ Sextíu kíló af kjaftshöggum

#60KiloKinnhaken

  

Schöne Sprachbilder, aber insgesamt mühsam zu lesen

 

Da ich selbst Islandpferde hatte, war ich stets interessiert an dem Land Island. Obwohl ich nie selbst dort war, hatte ich durch Filme und Fotos eine gewisse Vorstellung von dieser spröden Landschaft. Keine Vorstellung jedoch hatte ich von der Geschichte und von den Menschen mit ihren Besonderheiten. Deshalb war ich äußerst neugierig auf den vorliegenden, viel gelobten Roman, der als Fortsetzungsband zu „60 Kilo Sonnenschein“ das Leben von Gestur erzählt. Den ersten Band kenne ich nicht, deshalb empfand ich den gewaltigen Umfang des vorliegenden Romans mit fast 700 Seiten als ziemliche Herausforderung. Und ich hatte große Mühe, mich in das Geschehen einzufinden. Die Fülle an Eigennamen, die ich mir erst einmal nicht merken konnte, überforderte mich. Das relativ kurze Glossar am Buchende half mir dabei nicht wirklich.

Gestur, ein Waise, ist in diesem zweiten Teil zum jungen Mann geworden. Er stürzt sich kopfüber in das Leben. Der fiktive Ort Segulfjördur boomt dank der erfolgreichen Heringsfischerei. Der einst einsame Fjord wird überschwemmt von Fremden, von Fabriken, von Geschäftsleuten. Die Isländer in ihren Torfkaten werden zur Minderheit. Und in Europa bricht der Krieg aus. Gestur nimmt alles mit, was sich ihm bietet. Doch wie immer im Leben: Was zu schnell wächst, stürzt irgendwann in sich zusammen. Der Schicksals-Kinnhaken schlägt mit Wucht zu.

Der Autor wird hochgelobt, was ich durchaus verstehe. Denn sein Sprachstil ist besonders und außerordentlich eindrücklich. Hallgrimur Helgason bezeichnet sich selbst als „eine Eule im eigenen Werk, … alles sehend“. Der episch breit angelegte Roman ist imposant, originell, von Sprachbildern sprühend. Und doch war das Lesen sehr anstrengend. Und mir persönlich war der Roman einfach zu dick. Es gab lange Passagen mit ausführlichen Landschafts- und Wetterschilderungen. Und die ich, das muss ich zugeben, teilweise übersprungen habe.

Fazit: Ein Roman in einem besonderen, bildhaften Sprachstil geschrieben, aber die epische Breite des Erzählens überforderte mich streckenweise.

  

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Anthony Ryan

Ein Fluss so rot und schwarz

Herausgeber ‏ : ‎ Tropen; 1. Auflage 2023

Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten

ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608501797

Originaltitel ‏ : ‎ Red River Seven

 Ein kraftvoller Roman, schaurig und nachdenkenswert

Anhand der kurzen Inhaltsangabe auf dem Buchrücken konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, was die Lektüre dieses dystopischen Romanes in mir auslösen würde. Das Buch ist von einer immens großen und grausamen Kraft, die einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagt.

Das Szenario ist beängstigend: Sechs Menschen, die auf einem selbststeuernden Militärschiff erwachen, neben einer Leiche. Sechs Menschen, denen jegliche Erinnerung geraubt worden war. Sechs Menschen mit ganz unterschiedlichen, fast automatisch ablaufenden Fähigkeiten. Durch dichten Nebel dringen grauenhafte Schreie. Über ein Satellitentelefon erhalten die sechs Menschen von einer Maschinenstimme Anweisungen, ohne weitere Erklärungen oder Informationen. Sie erkennen, dass sie immer näher der völlig zerstörten Stadt London kommen. Und dass die auf dem Schiff reichlich vorhandenen Waffen nicht genug sein werden für ihre Mission…

Wann wird eine Dystopie zum lange nachwirkenden Albtraum? Wenn sie brillant geschrieben ist zum einen. Und brillant geschrieben ist dieser Roman. Man hört, man riecht, man sieht als Leser Ungeheuerliches in seinem Kopfkino entstehen. Anthony Ryan schreibt entsetzlich intensiv, eindringlich, schonungslos und tief erschreckend. Und eine Dystopie wird zum lange nachwirkenden Albtraum, wenn ihre Handlung unserer vertrauten realen Welt ganz nah kommt, sodass man sie nicht als Fantasy abtun kann. Sondern das wahre Grauen entsteht durch den Gedanken, dass das Beschriebene in einer gar nicht so fernen Zukunft so oder ähnlich geschehen könnte. Wie nah sind wir im realen Leben der Apokalypse? Wann wendet sich die Umwelt endgültig gegen uns, gegen uns Menschen, die wir uns so arrogant die Welt gefügig machen wollen? Wenn Mutation der Motor der Evaluation ist, was geschieht, wenn wir Mutation steuern können?  Wenn eine Dystopie Fragen wie diese auslöst, ist sie viel mehr als nur schaurige Unterhaltung. Und genau das ist Anthony Ryan mit dem vorliegenden Roman perfekt gelungen

 

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Valery Tscheplanowa

Das Pferd im Brunnen

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Berlin

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 192 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3737101844

#DasPferdimBrunnen

 

 

Starke Sprache, verwirrende Erzählweise

 

Ein kleines Buch mit luxuriösem Lesebändchen, mit einem augenverwirrenden Cover und in einer augenunfreundlichen Schrift. Die Inhaltsangabe machte neugierig. Doch die Lektüre ließ mich verwirrt zurück – also sehr passend zum Cover. Ein Buch, für das ich nur die Beurteilung „einerseits – andererseits“ finde.

 

Zum Inhalt verweise ich ausnahmsweise auf die Verlagsangabe. Mir persönlich ist es nicht möglich, einen roten Faden zu finden, anhand dessen ich eine Handlung in Kurzform erzählen könnte. Die Autorin erzählt teils autobiographisch, wie ich annehme, von vier verschiedenen Frauen aus ihrer Familie, jede für sich in dieser Familie besonders, eigen, teils skurril wirkend, immer aber hart zu sich selbst und zu anderen, vielleicht liebend, aber es nie zeigend.

 

Einen gelungenen Titel hat das Buch, denn die Geschichte des Pferdes im Brunnen, die dem Kind erzählt wird, steht für die Vision einer anderen Welt, jenseits unserer Realität. Und genauso erzählt die Autorin. Nie weiß man, woran man ist. Ist es Realität, ist es Lüge, ist es Fantasie, ist es Traum, ist es Wunsch? Und so komme ich zum Einerseits:  Bestechend schön ist die Sprache, in der Valery Tscheplanowa erzählt. Sie schreibt in einer außerordentlich starken, bildhaft-poetischen Sprache. Was sie schildert, hat man bei Lektüre sofort bildhaft vor Augen. Andererseits jedoch besteht aus Buch aus Erzählsplittern, die weder chronologisch noch von Erzählerseite irgendeiner Ordnung folgen. Erinnerungen legen sich über Gegenwärtiges und ergeben ein neues Muster. Für mich äußerst verwirrend. Von der Lektüre ist mir außer der Freude an der starken Sprache nur geblieben, dass die Großmutter „das hässliche Gift, niemand zu brauchen“ weitergegeben hat. Vielleicht auch an die Autorin, die sich nicht sonderlich darum bemühte, verstanden zu werden.

Fazit: Starke Sprache – verwirrende Erzählweise

 

 

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Paolo Giordano

Tasmanien

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Suhrkamp Verlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 335 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3518431320

·        Originaltitel ‏ : ‎ Tasmania

#Tasmanien

 

 

Ein großer Roman

 Für dieses Buch waren mir die vorgegebenen 3 Wochen Lesezeit zu kurz. Deshalb ist dieser Versuch einer Rezension eben nur ein Versuch. Denn dieses Buch von Paolo Giordano ist irgendwie nicht fassbar, nicht einordbar und doch zutiefst verstörend. Es ist kein Sachbuch, obwohl viel sachlich Wissenswertes darin zu finden ist. Es nennt sich zwar Roman, aber auch mit diesem Begriff hadere ich, obwohl er per definitionem richtig ist. Fiktionales Nachdenken über die mögliche Zukunft, philosophisches Nachdenken über Gegenwart und Zukunft, also der Spagat zwischen unserem realen Sein und dem fiktiv Denkbaren – nichts weniger als all das wird in der Schilderung des Mannes Paolo vereint.

Paolo ist gerade mal knapp 40, von Beruf Journalist. Dass seine Frau die frustranen Versuche künstlicher Befruchtung einstellt, wird zur Lebenskrise für Paolo. Und so flieht er zur Klimakonferenz nach Paris, spricht mit Fachleuten über klimatische Phänomene und über Terrorismus, er reist um die Welt, um seinem eigenen Leben zu entfliehen und gleichzeitig die Schrecken der möglichen Zukunft zu erdenken.

Das Buch ist in seiner Tiefgründigkeit nicht einfach nur schnell durchzulesen. Immer wieder lohnt es sich, Pausen beim Lesen zu machen und nachzuforschen, wo man selbst gedanklich steht, ob man Paolo folgen kann in seinem Versuch, der Zukunft einen Hoffnungsschimmer zu verleihen oder ob man eher dazu neigt, die Zuversicht zu verlieren aufgrund der drohenden und zu erwartenden Katastrophen. Der treffend schöne Sprachstil erfordert ebenso ein sehr sorgsames, aufmerksames Lesen. Für mich ist „Tasmanien“ ein Buch, das ich immer wieder neu in die Hand nehmen möchte, weil es mich von Mal zu Mal neu dazu herausfordert, mich den existentiellen Fragen zu stellen und mein persönliches Tasmanien zu suchen. Paolo Giordano hat hier meiner Meinung nach einen wirklich großen Roman geschaffen.

 

 

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Jaap Robben

Kontur eines Lebens

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 320 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3832168186

·        Originaltitel ‏ : ‎ Schemerleven

#KontureinesLebens

 

 Tief bewegend

 

Die Lektüre dieses Buches hat mich umgehauen. Vielleicht, weil ich fast so alt bin wie Frieda, die Erzählerin im Buch, und weil ich sowohl die Sechzigerjahre mit ihren strengen Moralvorstellungen aus eigenem Erleben kenne, als auch das Alter mit seinen zunehmenden Einschränkungen und den immer öfter rückgerichteten Erinnerungen an das gelebte Leben. Das Buch hat mich aber auch umgehauen, weil sein Erzählstil so treffend ist, so mit leichter Hand, in kurzen Sätzen geschrieben, in die Tiefe der Gefühlswelt von Frieda eintauchend und sowohl ein Zeitbild als auch ein Seelenbild abgibt, wie es treffender und stimmiger nicht sein könnte.

Der Roman bewegt sich auf zwei Zeitebenen: Da lernen wir die 81-jährige Frieda im  Seniorenheim kennen. Soeben hat sie ihren Mann begraben, der stets für sie da gewesen war. Sie kämpft mit dem zunehmenden körperlichen Verfall und mit der Trauer um ihren Mann. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, fordert ihre Bedürfnisse ein und zeigt kaum Empathie für ihren Sohn und dessen Frau. Und so empfindet der Leser wenig Sympathie für Frieda. Immer öfter schweifen ihre Erinnerungen zurück in die Zeit, als sie eine junge, naive Frau in den Sechzigerjahren war, Floristin von Beruf. Hier liegt eine traumatische Erfahrung, geschuldet dem katholisch geprägten Umfeld und der strengen Moralvorstellungen dieser Zeit. Denn ihre Liebe zum verheirateten Otto hatte Folgen, ein Skandal! Die Puzzlestücke der Erinnerungen formen sich für den Leser nach und nach zu einem Teil von Friedas Leben mit einer tief im Inneren verschlossenen unendlichen Trauer, die sich schließlich unerwartet Bahn bricht. Und spätestens da empfindet man als Leser uneingeschränktes Mitempfinden für Frieda – und für so viele Frauen, denen es so oder ähnlich ergangen ist in diesen moralisch gnadenlosen Zeiten.

 

Jaap Robben hat einen Roman geschrieben, der ergreifend ist, tief bewegend, und doch mit leichter Hand, ohne Larmoyanz erzählend.  Ein starkes, ein sensibles Buch, dessen Lektüre emotional tief berührt. 

 

 

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Sophie Oliver

Das Haus am Walchensee

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 384 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3596707874

#DasHausamWalchensee

  

Wenn Familiensinn und Heimatliebe siegen

 

An meinen eigenen Urlaub am Walchensee vor vielen, vielen Jahren habe ich eine verschwommene Erinnerung. Hauptsächlich ist mir ein etwas unangenehmes Empfinden durch das rundum Umschlossen-Sein von Bergen geblieben. Umso neugieriger war ich auf den vorliegenden Roman, dessen erster Band tatsächlich sehr viele schöne, bildhafte Naturbeschreibungen enthält , die mich dazu verlocken, den Walchensee noch einmal ganz neu zu erleben.

 

Freya Siebert, die ihre ersten Jahre am Walchensee verlebt hatte und mit ihrer Mutter nach Schweden ausgewandert war, kommt zur Testamentseröffnung nach Tod des Vaters an den Walchensee zurück. Sie ist entsetzt, als sie erfährt, dass sie als Vermächtnis ihres Vaters den heruntergekommenen Gasthof Fischerfleck zusammen mit ihrem Bruder Niklas zukünftig bewirtschaften soll. Wenn das nicht gelingt, fällt der Traditionsgasthof an die Kirche Das stellt Freyas gesamte weitere Lebensplanung in Frage. Aber auch Niklas, der bisher den Fischereibetrieb der Familie führte, steht dadurch vor ganz neuen Herausforderungen. Dass Freya durch ein ungeklärtes Geheimnis aus ihrer Kindheit belastet wird, macht es für sie noch schwieriger, dem Wunsch ihres verstorbenen Vaters zu entsprechen. Als ihr Familiensinn siegt, ahnt sie noch nicht, auf was sie sich einlässt…

 

Der Autorin gelingt es sehr eindringlich, Situationen zu schildern, sei es in der Natur, sei es im Kontakt mit sympathischen und weniger angenehmen Zeitgenossen. Aber auch innerseelische Gefühlsverwirrungen werden empathisch und für den Leser gut nachvollziehbar vermittelt. Jedenfalls konnte ich mich sehr gut in Freya hineinversetzen, wobei mich deren unerschütterliche Fähigkeit, Ungelerntes perfekt zu erledigen, immer wieder erstaunte. Die Verbundenheit zu der Gegend, in der man geboren ist und die Heimat zu nennen ist, wird ohne Pathos oder Kitsch sehr schön dargestellt. Auch wenn die Dialoge manchmal etwas konstruiert-hölzern daherkamen, empfand ich den Roman insgesamt als sehr angenehme Urlaubslektüre. Der gemeine Cliffhanger, geschickt plaziert zum Schluss, zwingt geradezu, auf den Nachfolgeband zu warten.

 

 

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Johanna Sebauer

Nincshof

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 368 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3832168209

#Nincshof

 

 

Ratlos

Am besten gelungen am Buch ist meiner Meinung nach das Cover. Es zeigt ein Dorf, versteckt hinter Schilf. Und genau das wollen die Oblivisten, deren verschrobenes Anliegen ist, das Dorf Nincshof im Burgenland in die Vergessenheit zu führen. Erst wenn keine Fremden, keine Durchreisenden, keine Touristen mehr nach Nincshof kommen, könnte das Dorf in völliger Ruhe und Freiheit leben, so wie es nach historischer Überlieferung schon einmal geschehen war. Erna Rohdiebl, die freiheitsliebende alte Frau, wollen die Oblivisten dazu bewegen, ihre Pläne, den Ort verschwinden zu lassen, zu unterstützen. Doch Planung und Wirklichkeit passen wie so oft nicht zusammen.

Um es klar zu sagen: Was die Autorin uns mit ihrem Roman sagen will, ist und bleibt mir schleierhaft. Der Roman mäandert zwischen volkstümelnder Heimatliebe und politisch fragwürdigen Gedankenexzessen. Teils komisch, teils unendlich langweilig, teils surreal wandert die Handlung von Ruanda über Bosnien zum Nachbarpool und verliert sich in reichsbürgerähnlichen Fantasien. Zusammenhanglos reihen sich einzelne Szenen aneinander ohne Tragweite für das Gesamtgeschehen. Für mich ohne erkennbaren Sinn. Der Text ist meist leicht lesbar, an weiteren Stellen dröge langweilig und mitunter mit seltsam pseudoliterarischen, gewollt wirkenden Wortbildern geschmückt. Uneinheitlich also.

Ein Roman, den ich nicht ernst nehmen kann, weder vom Inhalt noch vom Schreibstil her. Allein schon die Bezeichnung „Roman“ erscheint mir überhöht zu sein. Aber vielleicht fehlt mir auch einfach nur das Verständnis für dieses Buch.

 

 

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Alba Donati

Ein Garten voller Bücher

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Berlin Verlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3827014672

·        Originaltitel ‏ : ‎ La Libreria sotto la penna

#EinGartenvollerBücher

  

Die Buchhandlung als Fenster zur Welt

 

Dieses Buch wurde völlig unerwartet zu meinem Schatzkästchen, inspirierend, bereichernd und beglückend, aber auch durch seine Überfülle stellenweise ermüdend. Auf jeden Fall ein Buch, das ich immer wieder in die Hand nehmen werde.

Alba Donati ist Dichterin mit einem immensen Buchwissen. Dass sie auf die Idee kommt, in ihrem Heimatdorf mit 180 Einwohnern auf 1000 m Höhe eine Buchhandlung zu etablieren, ist ziemlich verrückt. Doch als moderne Frau mit unfassbarer Liebe zu Büchern ausgestattet, setzt sie ihre Idee dank Vernetzung in den Sozialen Netzwerken, Crowdfunding und einigen Unterstützern durch. Mit viel Liebe zum Detail startet ihre Gartenzimmer-Buchhandlung. Doch Corona beginnt und ein Jahr nach Eröffnung zerstört ein Brand die Buchhandlung. Doch Alba Donati gibt nicht auf und viele Bewohner des Dorfes packen mit an, um die Buchhandlung wieder auferstehen zu lassen.

Die Autorin lässt uns im  vorliegenden Buch durch tägliche Notizen ein halbes Jahr lang teilhaben an allem, was rund um die Buchhandlung geschieht, an Familienverstrickungen, Dorfgeschichten, welche Besucher von welchen Büchern angelockt werden und welche Buchbestellungen täglich eingehen. Wir erfahren auch Nachdenkenswertes über innere Befindlichkeiten und Überlegungen der Autorin über das Leben, oftmals angeregt durch ihre eigene Lektüre. Die Tagebucheinträge brachten sehr viel kreative Inspiration. Sie waren meistens unterhaltsam zu lesen, weil mit leichter erzählerischer Hand geschrieben. Doch es gab auch Stellen, die mir zu viel wurden, wie zum Beispiel die Berichte über die undurchsichtigen, verworrenen Familienverhältnisse. Es gab viel zu googeln während des Lesens, das war ebenso anstrengend wie das Lesen an sich durch die kleine Serifenschrift. Schade auch, dass der Einband trotz sorgfältigster Behandlung an den Ecken und Kanten seine Farbe verlor und so das Buch sehr schnell ein schäbiges Äußeres bekam.

Das Titelbild, ein Blick aus dem Fenster der Buchhandlung hinaus in die umgebende Landschaft, ist perfekt gewählt, denn was sonst ist eine Buchhandlung, auch eine kleine, als ein Fenster zur Welt. Eine Buchhandlung, in der es „nicht alles, aber viel von dem gibt, was wir brauchen“.

 

 

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Leonie Kramer

Maschenmord

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Blanvalet Taschenbuch Verlag

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 464 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3734111563

#MaschenMord

 

Komme was Wolle

 

Wenn man wie ich woll- UND lesesüchtig ist und beides zum Zweit- und Drittberuf gemacht hat, ist dieser fröhliche, unbeschwerte Krimi ein ganz besonderer Zeitvertreib. Der Autorin ist es nicht nur gelungen, eine amüsante Geschichte zu erzählen, sondern sie schafft es sogar, dass der fiktive Ort des Geschehens, das Dörfchen Madlfing nahe Murnau am Staffelsee, im Internet zu finden ist.

 

In Madlfing ist das Wollgeschäft „Wolllust“ das Zentrum des Madlfinger Handarbeits- und Krimiclubs. Man trifft sich dort zum regen Austausch über gelesene Krimis und neue Strickmuster. Als die nicht übermäßig beliebte Verkäuferin Nicole Durand tot im Laden aufgefunden wird, und zwar stilgerecht erdrosselt mit einem handgestrickten Lace-Schal, laufen die Damen des Clubs zu voller Form auf. Kommissar Tim Wallenstein, ganz neu in der bayerischen Provinz, hat schwer zu kämpfen. Nicht nur mit der schwierigen Aufklärung des Mordfalls, sondern auch mit der bayerischen Mentalität und vor allen Dingen mit den krimierfahrenen strickenden Frauen und ihren nimmermüden Ideen.

 

Leonie Kramer, das Pseudonym für ChrisTine Ziegler, strickt auch im echten Leben so gerne wie die von ihr geschaffenen krimiliebenden Figuren. Sie ist handarbeitend sogar bei Instagram zu finden. Und so ist verständlich, dass der eigene Spaß am Handarbeiten den Madlfinger Handarbeits- und Krimiclub im Buch so authentisch und lebendig wirken lässt. Die Botschaft ist klar: Handarbeitende Frauen halten zusammen und finden für jedes Problem eine Lösung. Genial finde ich die 45 Kapitelüberschriften, die allesamt einen Bezug zum wolligen Thema haben. Hellauf gelacht habe ich zum Beispiel bei der Überschrift „Nur Feiglinge machen eine Maschenprobe“. Wie wahr! Der gesamte Roman ist über die 450 Seiten hinweg durchweg unterhaltsam und vergnüglich zu lesen. Er ist nicht im üblichen Sinn spannend, aber mir gefiel der Ideenreichtum und der Humor. Das Mordinstrument, der feine Lace-Schal, kann übrigens nachgearbeitet werden. Die Anleitung findet sich im Buch. Also tatsächlich bei aller Leichtigkeit ein Buch mit Mehrwert…

 

 

 

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Volker Klüpfel, Michael Kobr

Die Unverbesserlichen

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Hardcover

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 384 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3550201455

#DieUnverbesserlichen

  

Hat mich nicht überzeugt

 

Das Autorenpaar als Schöpfer der Kluftinger-Romane war mir wohlbekannt. Dass die Beiden nun ihre geistige Wirkstätte vom Allgäu nach Frankreich verlegt haben, war an mir vorüber gegangen und erst jetzt durch den vorliegenden Band bewusst geworden. Irgendwie befremdlich wirkte für mich der Wechsel. Dennoch ließ ich mich neugierig auf dieses Buch ein, hatte aber prompt aufgrund der fehlenden Kenntnisse des ersten Bandes einige Schwierigkeiten, mit den handelnden Personen bzw. ihren Namen vertraut zu werden.

Der Inhalt in aller Kürze: Die Gaunertruppe rund um Monsieur Lipaire möchte gerne ungestört die Sonne der Cote d’Azur genießen, doch die selbsternannte Adelsdynastie Vicomte will das Städtchen Port Grimaud völlig unter ihre Herrschaft bringen. So müssen sich die Gauner erneut zusammenraufen, um der Familie Vicomte Einhalt zu gebieten und Port Grimaud wieder zu einem idyllischen und bezahlbaren Örtchen zu machen.

Nach den ersten Startschwierigkeiten, siehe oben, bekamen die Personen nach und nach für mich Kontur. Dank der bildhaften Schilderungen gewannen sie zunehmend in ihren Gesten und filmreifen Outfits vor meinem inneren Auge Individualität. Aber meine Sympathie gewannen sie nicht. Die überzeichnete Klamaukigkeit war ganz und gar nicht mein Geschmack und traf an keiner Stelle meinen Humor. Zu oft hatte ich die Filme von Louis Funès vor Augen. Und war von der angestrengten Witzigkeit erschöpft. Zwar ließ sich der Roman leicht und flüssig lesen, aber gefesselt hat er mich dank seiner Vorhersehbarkeit leider nicht. Die ellenlangen Dialoge wirkten auf mich wie die Seiten aus einem Drehbuch. Mag übrigens gut sein, dass mit guten Schauspielern und einer geschmackvollen Regie „Die Unverbesserlichen“ zu einem vergnüglichen Ganoventruppe-Film werden könnte. Im Buch haben mich die Gauner und ihre Schöpfer leider enttäuscht.

 

 

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Dirk Gieselmann

Der Inselmann

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Kiepenheuer&Witsch

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 176 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3462000252

 

 

  

Wunderbares Wortgemälde

Eigentlich geschieht nicht besonders viel in diesem kleinen Büchlein. Und doch transportiert es einen unglaublichen Reichtum, der mich beim Lesen und noch lange danach beglückte. Ein Buch, das man dauerhaft um sich haben möchte, um immer wieder einmal weg vom Alltag abzutauchen in die wunderbare Welt der Wortgemälde, die der  Autor hier geschaffen hat.

Der zurückhaltende, schüchterne Junge Hans zieht mit seinen Eltern auf eine unbewohnte Insel, weit weg von Umtriebigkeit und Lärm. Und es beginnt gleichermaßen seine Reise nach innen und ein Verwachsen mit der Natur, die ihn umgibt, unspektakulär und innig. Alleinsein als Reichtum. Hans wächst dabei, fühlt sich als Herr der Insel. Doch die Kindheit endet abrupt, Hans muss zur Schule, wird getrennt von den Eltern und von seiner Welt der Steine und Pflanzen. Aber Hans verweigert sich, schwänzt die Schule, rudert immer wieder zur Insel. Vergebens, der Vater gewährt ihm keinen Zutritt mehr. Erst nach Jahren gelingt es Hans, sein Reich wieder in Besitz zu nehmen und in die für ihn so beglückende Einsamkeit zurückzukehren.

Fasziniert bin ich von der wunderbar poetischen Sprache, die so viel mehr transportiert als nur reine Kopfbilder. Ich habe beim Lesen den Eindruck, die Geräusche der Natur zu hören, mit dem Wind zu schwingen, vermoderndes Laub zu riechen. Für den Autor hat jedes Wort ein eigenes Gewicht, das Gewicht der Steine oder der Bäume, das Gewicht des Feuers oder des Wassers. Alles verlangt nach richtigen Wörtern. Aber nicht nur das. Dirk Gieselmann findet auch die Wörter hinter den Dingen, für Gefühle wie Schwermut, Ergebenheit oder Reichtum in der Stille des Augenblicks. Es ist gut, wenn es beim Lesen dieses Buches ganz still ist, damit man die Wortgemälde in all ihren Farben genießen kann.

 

 

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Thorsten Schleif

Richter morden besser

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 304 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453426160

#Richtermordenbesser

  

 

Geniale Mischung von kritischer Intelligenz und unterhaltsamem Humor

 

Selten habe ich bei der Lektüre eines Romans, der von Cover und Titel her eher wie ein Krimi wirkt, so viel geschmunzelt und aufgelacht wie bei diesem Erstling von Thorsten Schleif. Für mich ist dieser Autor eine freudige Entdeckung.

 

Siggi Buckmann ist schon lange Jahre Richter. Der jugendlichen Begeisterung, in diesem Beruf die Welt etwas gerechter zu machen, ist gleichmütige Routine, Dienst nach Vorschrift und Wahrung der Bürokratie gewichen. Als jedoch der obdachlose Junkie, der der Justiz seit vielen Jahren wohlbekannte Fredi Diepenberg, zu Tode kommt und keiner für dessen Tod verantwortlich sein möchte, wacht Siggi auf und beginnt, das vertraute Justizsystem zu hinterfragen. Es gibt Lücken, und die könnte man nutzen…

 

Der Debütroman von Thorsten Schleif ist eine geniale Mischung von Justiz-Schelte und wachsend spannender und sehr unterhaltsamer, krimi-naher Handlung. Diese mutige Kombination wird in  sarkastisch-scharfzüngiger Erzählweise, verbunden mit überaus komischen Momenten, dargeboten. Seine Figuren zeichnet der Autor karikaturartig trefflich präzise, ebenso seine Dialoge.  Ein Buch, das zu lesen rundum Spaß bereitet. Der Autor ist seit 2007 Richter. Er weiß also genau, wovon er schreibt. Und weil er so punktgenau die Finger in die Justizsystem-Wunden legt, macht man sich durchaus ein paar sorgenvolle Gedanken um die berufliche Zukunft des Autors  Doch Kater Grisu, stets unbekleidet, wird zur rechten Zeit Rat wissen…

 

Fazit: Ein wunderbar unterhaltsamer, geistreich-intelligenter, gleichermaßen bissiger und urkomischer Roman, den ich wärmstens empfehlen kann.

 

 

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Martin Simons

Beifang

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Aufbau Verlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 234 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3351038793

#Beifang

 

 

Wenn es an allem mangelt

 

Dieser kleine große Roman hat in mir dauerhafte Spuren hinterlassen  Und wegen dieser Spuren wünsche ich inständig, dass das Buch gelesen wird, von vielen gelesen wird. Gerade weil wir geneigt sind, bereits heftig zu jammern, wenn nicht ausreichend Salatöl in den Regalen des Supermarktes steht. Der im Roman beschriebene Mangel ist ein so viel größerer, umfassenderer, über die Generationen hinweg lebensbestimmender, als man es sich vorstellen kann.

 

Frank Zimmermann, der Erzähler, sagt von sich selbst, er sei unfähig, ein normales Leben zu führen. Er sieht seinen eigenen Sohn nur zweimal im Jahr und seine Geliebte alle paar Wochen. Wenn er aus dem Fenster schaut, blickt er auf eine weiße Feuerschutzwand. Ein unregelmäßiger Job finanziert Miete und Nahrung. Ein Leben ohne Lebendigkeit. Als er erfährt, dass sein Elternhaus verkauft wird, gerät Frank in Bewegung. Er macht sich, überrascht von sich selbst, auf die Spurensuche. Denn der Vater sagte immer nur: „Ich erinnere mich nicht.“ Dessen Vater, der Großvater von Frank, lebte in den Nachkriegsjahren in einer Zechenhaushälfte am Rande des Ruhrgebiets. Als Hilfsarbeiter und zwölffacher Vater verlief sein Leben in unvorstellbarer Armut. Man klaute aus den Abfalleimern der Nachbarn Zeitungspapier, um die Säuglinge damit zu wickeln. In der Enge entwickelten sich prächtig Schläge, Hunger und Streit. Brutalität, sowohl körperlich als auch seelisch, war Alltag. Um einen besseren Zugang zum Vater zu bekommen, besucht Frank nach und nach Brüder und Schwestern seines Vaters und erfährt, wie dieses Aufwachsen in Tristesse und Härte in den unterschiedlichen Lebensläufen auf immer Spuren hinterlassen hat. Und wie zwischen einem armen, geradezu armseligen Leben stets ein Stolz hochgehalten wurde, der kein Selbstmitleid erlaubte.

 

Dem Autor ist es gelungen, mit ganz leichter Feder Schweres und Schwerstes in Worte zu fassen. Stark und eindringlich wirken seine Schilderungen. So manche der erzählten Szenen werde ich wohl nie mehr los. Denn dieser Roman hat mich fassungslos gemacht, fassungslos und bedrückt und nachdenklich. Denn niemand kann etwas für seine Herkunft und trägt dennoch deren Last auf den Schultern, ob er davon weiß oder nicht.

 

 

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Claire Paulin

Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 416 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3548066226

#BlancheMonetunddasLeuchtenderSeerosen

 

Leicht lesbarer historischer Roman ohne höheren Anspruch

 

Wer sich mit Kunst ernsthaft befasst, sollte von Büchern wie diesem hier Abstand halten. Zu trivial, zu oberflächlich, ohne tieferen Kunstverstand geschrieben. Wer sich jedoch auf leicht-unterhaltsame Weise annähern möchte an das damalige Zeitgefühl Ende des 19. Jahrhunderts und dabei etwas mehr über die Lebensumstände von Claude Monet erfahren möchte, der wird diesen Roman sicher mit Gewinn lesen.

 

Der gut recherchierte historische Roman erzählt die Lebensgeschichte von Blanche Hoschedé, die sich bereits als Kind hingezogen fühlte zur Kunst. Ihr Vater war erfolgreicher Kaufmann und ein passionierter Kunstsammler, der insbesondere Claude Monet sehr unterstützte. Als er jedoch bankrottging und  die bislang heile Welt der Familie Hoschedé zerbrach, übernahm Claude Monet die Unterstützung der 9-köpfigen Familie und förderte besonders Blanche mit ihrem feinen Gefühl für Farben und für die Licht- und Schattenspiele der Freiluftmalerei.

 

Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die Lebensgeschichte von Blanche spannend und gefühlvoll zu erzählen. Die schwierige Stellung der Frau zu dieser Zeit, die vielen zu bewältigenden Schicksalsschläge, die Spannung zwischen innerer Berufung und gesellschaftlicher Anforderung werden in diesem Roman atmosphärisch dicht und nachvollziehbar geschildert. Der tragische soziale Abstieg des geliebten Vaters und die durch Monet verbotene Liebe zu dem Maler John Leslie Breck konnten die starke Persönlichkeit der Künstlerin Blanche Hoschedé nicht brechen. Die Person Claude Monet wirkt im Roman nicht sehr sympathisch in seiner Ich-Bezogenheit und mangelnden Einfühlung in andere Menschen. Hier fehlte mir etwas mehr psychologische Tiefe in der Darstellung dieses Ausnahmekünstlers und die künstlerische Einordnung seiner Werke im Rahmen der Kunstgeschichte, wodurch auch die Lebensgeschichte von Blanche Hoschedé mehr Tiefe erfahren hätte.

 

Fazit: Gefühlvolle, leicht lesbare Lebensdarstellung einer starken Frau und Künstlerin im Umfeld von Claude Monet.

 

 

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Ellen Sandberg

Das Erbe

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Penguin Verlag; Originalausgabe

·        Broschiert ‏ : ‎ 512 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3328104025

#DasErbe

  

 

Fesselnd geschrieben, aber …

 

Komisch. Eigentlich lese ich die Bücher von Ellen Sandberg vs. Inge Löhnig richtig gerne. Doch bei diesem Buch kam ich nicht voran, legte es wieder weg, zog es wieder hervor, kam nicht weiter und vergaß es schließlich. Jetzt, im Zuge des Regal-Aufräumens, begann ich erneut und zwang mich nun, das Buch komplett durchzulesen. Wobei der Roman wirklich gut und flüssig zu lesen ist, also von Zwang nicht die Rede sein kann. Warum hatte ich die Lektüre vor 2 Jahren nicht zu Ende gebracht? Jetzt mit Abstand und ohne Zeitdruck kam ich mir selbst auf die Schliche, denn ich wollte mich begeistern lassen vom Buch, war jedoch enttäuscht und nahm an, es läge an mir. Man kennt es ja: Wenn man zum falschen Zeitpunkt das falsche Buch in die Hände bekommt, finden Buch und Leser einfach nicht zusammen.

 

Da der Roman bereits 2019 erschienen ist, erspare ich mir und meinen Lesern, den Inhalt hier wiederzugeben. Grundthema ist die Enteignung der Juden im Dritten Reich, erzählt in verschiedenen Zeitsträngen.

 

Routiniert und gut geschrieben ist der Roman, wie nicht anders zu erwarten. Dieses dunkle Kapitel der Geschichte wird spannend und eindrucksvoll erzählt. Ich würde sagen, es handelt sich um einen Familienroman mit historisch-politischer Brisanz. Und doch empfand ich die reichlichen Seitenstränge anstrengend. Manchmal hatte ich das Gefühl, das eigentliche Thema völlig aus den Augen zu verlieren. Und  leider, leider empfand ich die Protagonisten recht oberflächlich dargestellt. Mir fehlte oftmals die psychologische Tiefe. Manche Personen schienen mir nur aufzutreten, um kurz ein Klischee zu erfüllen, um dann wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückzufallen. Ich würde behaupten, die Autorin kann es eigentlich besser.

 

 

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Anna Burns

Amelia

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Tropen

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 384 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608500141

·        Originaltitel ‏ : ‎ No Bones

#Amelia

 

  

Harter Tobak, nichts für mich

 

Beim Lesen dieses Romans ist sie wieder aufgetaucht, diese grundsätzliche Frage: Soll ich ein Buch zu Ende lesen, wenn es mir nicht gut tut, wenn es die Tage und meine Gedanken verfinstert? Vielleicht aus reinem Pflichtgefühl? Oder weil andere das Buch literarisch hoch loben? Nein, ich habe die Lektüre abgebrochen, und ich bin froh und erleichtert darüber.

 

Vordergründiges Thema sind die „Troubles“ in Nordirland, die IRA, die Kämpfe der protestantischen Iren, der Bürgerkrieg und all die damit verbundenen Unruhen,  beginnend im Jahr 1969. Doch man erfährt im Roman so gut wie nichts über die politischen Hintergründe. Da müsste sich der Leser anderweitig informieren.  All die blutigen Wirren sind im Buch „nur“ Staffage, tauchen wie Bühnenbilder das Geschehen der Brutalitäten in ein blutiges Licht, und Amelia betrachtet aus kindlich-naiver Sicht die gesellschaftlichen und familiären Veränderungen, ohne dass man im Roman über die Zeit hinweg einen Reifeprozess erkennen könnte.

 

Erzählt werden bruchstückhafte Sequenzen, die jedoch nicht wirklich zu Ende erzählt werden. Es gibt Zeitsprünge und Entwicklungssprünge. Es bleibt alles verwirrend und verworren, aber auch seltsam gefühllos in einer Art von Berichterstattung. Und es gibt immer und überall schockierende Ereignisse, düstere, abstoßende Brutalitäten. Wie nebensächlich hingeworfene Szenen sinnloser Grausamkeiten, die Menschen und Tieren angetan werden. Jugendliche, die sich im „knee-capping“, dem Zerschießen von Kniescheiben, hervortun. Warum soll ich das lesend miterleben und mich damit durch das Buch in die finstersten Ecken der Depression katapultieren lassen? Ich habe mich letztlich für das Zuklappen des Buches  entschieden, denn unsere Gegenwart ist schlimm genug, und sie ist real und in ihrer brutalen Seite täglich in den Berichterstattungen zu erleben. Leider konnte ich auch sprachlich nicht nachvollziehen, was an diesem Roman so lobenswert sein soll. Die pseudo-umgangssprachliche deutsche Übersetzung empfand ich irgendwie unpassend. Sie hat mit Sicherheit eine völlig andere Qualität als die im Original von mir vermutete Gegenüberstellung von irischem Slang und Schrift-Englisch.

 

 

Kurzum: Eine in bruchstückhaften, verwirrenden Szenen gesammelte Aufzählung an schockierend-abstoßenden Brutalitäten mit abgestumpft wirkenden Protagonisten. Der schädlich-verfinsternden Gemütswirkung musste ich mich schließlich aus Selbstschutz entziehen.

 

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Petra Hammesfahr

Stille Befreiung

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Diana Verlag

·        Broschiert ‏ : ‎ 432 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453292642

#StilleBefreiung

 

 

Einfach nur schlecht

 

Petra Hammesfahr habe ich vor Jahren sehr gerne gelesen. Insofern freute ich mich über diesen neuen Roman von ihr. Und war entsetzt, was die Autorin da ihren Lesern vorsetzt. Über solch einen schlechten Roman mag ich nur in Kürze berichten.

 

Zum Inhalt: Sandra, 18, verliebt sich in Ronnie, einen Mann, der alles reparieren kann. Sie heiratet ihn trotz aller Warnungen und  landet in einer Bruchbude, in der sie mit einer irren Schwiegermutter zusammen leben muss. Tochter Josie wird geboren. Sandra verharrt im Elend. Erst als sie als Pflegerin für die schwerstbehinderte Rebekka engagiert wird, glaubt sie, Hoffnung schöpfen zu können. Doch weit gefehlt…

 

Was die Autorin zweifelsfrei kann, ist, eine Stimmung immanenter Bedrohung aufzubauen, in die man als Leser sofort hineingezogen wird. Die dadurch erzeugte Spannung, verbunden mit etlichen Szenen mit Schockwirkung, ziehen sich durch das gesamte Buch. Insofern lässt sich der Roman schnell und leicht lesen.

Doch wehe, man beginnt  beim Lesen, das Gehirn einzuschalten und die Handlung zu hinterfragen! Soviel gesammelten psychologischen Unsinn habe ich wahrlich schon lange nicht mehr gelesen. Die Protagonisten sind entweder so naiv und dumm, dass es weh tut, oder so irre, dass sie gar nicht mehr frei herumlaufen dürften oder Lügner und Blender – die Charaktere sind allesamt so simpel klischeehaft oberflächlich angelegt, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Psychologisch feine Entwicklungen und Differenzierungen gibt es an keiner einzigen Stelle des Buches. Wenn es der Fortgang der Handlung verlangt, wird von jetzt auf gleich aus dem tatenlosen, unfähigen „Hascherl“ eine engagierte und tüchtige Pflegerin. Und zur Quintessenz, wen wundert’s, führen die reichlich geschilderten Vergewaltigungsszenen zur Erkenntnis, dass Frauen (immer) Opfer sind und  Männer (immer) Täter.

 

Solche Romane gab es früher für 80 Pfennig im Heftchenformat. 

 

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Julia Mattera

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Eichborn

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 224 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3847900986

#DerKochderzuMöhrenundSternensprach

 

 

Ein seelenvoller, feiner und wirkungsstarker Roman

 

Ein kleines, feines Buch hat da Julia Mattera geschrieben. Der Roman zog meine Aufmerksamkeit auf sich aufgrund des originellen Titels und des Verlagshinweises auf das Elsass, in dessen Grenznähe ich wohne. All dies und das etwas schlicht gestaltete Cover ließen mich nicht erahnen, mit was für einem seelenvollen Buch man es hier zu tun hat.

 

Die Geschwister Elsa und Robert Walch führen einen Gasthof im Elsass. Keine einfache Sache, insbesondere für die zupackende, feinfühlige Elsa, denn Robert ist ein sehr, sehr schrulliger Koch, der in seiner eigenen Welt lebt, ein ausgemachter Sturschädel ist und am liebsten die ignoranten Touristen zum Teufel jagen würde. Sein Herz schlägt für seinen prachtvollen Gemüsegarten. Er spricht mit den Pflanzen, er gibt den Möhren Namen, er hegt und pflegt jede einzelne Pflanze, denn diese intensive Zuwendung danken sie ihm durch exzellenten Geschmack. Die Gerichte, die Robert kreiert, ziehen Gäste von überall herbei. Doch Robert liebt die Einsamkeit, schaut nur von ferne zu, wie es den Gästen schmeckt. Eines Tages taucht Maggie auf, eine sehr temperamentvolle Frau aus England, die sich von Roberts abweisendem Verhalten nicht abschrecken lässt und es versteht, vorsichtig und unbekümmert zugleich, den weichen Kern in Roberts Seele zu Tage zu bringen.

 

Der Zauber dieses Romans liegt im Kleinen, im Feinen, im Stillen. Es geschieht nicht besonders viel, schon gar nicht wirklich Spannendes. Und doch entwickelt man beim Lesen eine ungeahnte Sensibilität, für die Menschen, von denen erzählt wird, aber auch für die Natur, für Beobachtungen, Gerüche, Farben, Geräusche, die die Seiten prall füllen. Ja, Pflanzen haben eine Seele, und ich gelobe, nie wieder gedankenlos eine Möhre aus dem Beet zu rupfen, sondern wie Robert erst einmal über die grüne Haarpracht zu streicheln. Die liebevolle Hingabe von Robert steckt an, besonders wenn man liest, zu welch menschlichen Regungen Gemüsepflanzen fähig sind, wie sie überrascht sein können, aber auch erschreckt oder einverstanden oder wie sie einem ungewöhnlichen Vorschlag „etwas abgewinnen können“.  Auch eindrückliche Menschenbeschreibungen gelingen Julia Mattera, wenn etwa von einer Tante berichtet wird, „deren Naturell in etwa einer Brennessel glich“. Es ist die wunderbare Sprache der Autorin, die beim Leser die unabdingbare Achtung, den grenzenlosen Respekt vor der Natur weckt.

 

 

Welch eine Kunst, auf so sanfte, poetische, zärtliche und verträumte Weise den Leser aufs Tiefste zu berühren. 

 

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Jonathan Lee

Der große Fehler

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Diogenes

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 368 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3257071917

·        Originaltitel ‏ : ‎ The Great Mistake

#DergroßeFehler

 

 Anstrengende Lektüre

 

„Denk nicht an einen blauen Elefanten“ – und schon hat man das Bild eines blauen Elefanten vor Augen. Nicht an etwas zu denken, führt zum Gegenteil. Der Roman von Jonathan Lee war ein einziger großer blauer Elefant für mich. Ich wurde ihn nicht los, obwohl ich mehrfach abbrechen wollte, obwohl mir das Lesen keine Freude bereitete, obwohl meine offene Neugier mit jedem weiteren Kapitel schrumpfte, so sehr, bis ich dem blauen Elefanten mit tiefster Abneigung begegnete. Keine gute Voraussetzung, denn Lesen soll Spaß machen, um seine ureigenste Kraft zu entwickeln, nicht zur reinen Pflichtübung mutieren.

 

Die Verlagsankündigung mit Inhaltsangabe täuscht eine Art von historischem Krimi vor und weckt damit falsche Erwartungen. Im Wesentlichen geht es um Andrew H. Green, den wichtigen und doch vergessenen Stadtplaner des 19. Jahrhunderts, der, wie man sagt, das moderne New York, wie wir es kennen, gestaltet hat und im Alter von 83 Jahren auf der Park Avenue ermordet wurde. Der Autor hat akribisch recherchiert, um sich der Person Andrew Green so weit wie möglich zu nähern. Es lohnt sich, das am Ende des Romans abgedruckte Interview mit Jonathan Lee zu lesen, um seine Intentionen besser zu verstehen.

 

Warum nur machte das Buch zu lesen nicht die geringste Freude? Da ist für mich allem voran der Schreibstil zu nennen.  Jonathan Lee baut mitunter Sätze, die so lang sind, dass man am Ende des Satzes den Anfang vergessen hat. Und er beschreibt so detailliert und verschachtelt, dass ich beim Lesen immer wieder gedanklich abschweifte. Mich haben weder Sprache noch Inhalt an irgendeiner Stelle im Buch wirklich gefangen genommen, auch wenn der Autor hoch gelobt wird. Mag sein, dass ein New York Kenner mit viel größerem Interesse den Roman liest als jemand wie ich, der nie in New York war und auch nie dorthin kommen wird. Den Roman zu lesen, war jedenfalls für mich eine recht mühselige, anstrengende Pflichtaufgabe.

 

 

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Lisa Kirsch

Querbeet ins Glück

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 416 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3596706419

#QuerbeetinsGlück

 

  

Was wirklich wichtig ist im Leben

 

In diesen erschreckenden, Angst machenden Zeiten sind Bücher mit positiver Ausstrahlung eine stärkende Gegenmaßnahme, eine Art Atem-Holen in all der Beklemmung. Das vorliegende Buch hatte für mich diese kraftgebende, rundum  lebensbejahende Wirkung.

 

Maddie ist ihrem größten Glück, eine erfolgreiche Musicaldarstellerin zu sein, ganz nah. Sie probt für die Hauptrolle in „Tanz der Vampire“ jeden Tag hart, denn die Premiere der geplanten anspruchsvollen Musicalaufführung rückt täglich näher. Auch wenn Kollegialität nicht besonders groß geschrieben wird unter den Darstellern, auch wenn die Probenarbeit alle Kraft verlangt - Maddie ist glücklich, wenn sie auf der Bühne stehen darf. Da nimmt sie auch die etwas schwierige Wohnsituation hin, denn sie lebt sozusagen Tür an Tür mit Gabi, einer älteren eigenwilligen Dame mit echter Berliner Schnauze und dem Riesenhasen „Opa“. Als Gabi durch einen Treppensturz verletzt wird, muss Maddie nicht nur „Opa“ in Obhut nehmen, sondern auch die Vertretung in Gabi‘s Gartenkommune übernehmen. Dass die Begegnung mit frischer Erde, blühenden Apfelbäumen und eigenwilligen Gartenfreunden Maddie’s Leben auf ganz unerwartete Weise verändern wird, ahnt sie nicht…

 

Lisa Kirsch hat einen wunderbaren Wohlfühlroman geschrieben, der mit seiner positiven Grundeinstellung sofort überspringt auf das eigene Lebensgefühl und ein Stück weit die Bedrückung dieser Tage hinweg zaubert. Zwar ist die Geschichte gefährlich nah einer vorhersehbaren, gefühlsintensiven Liebesgeschichte angesiedelt, aber durch die humorige, lebendige und frische Erzählweise kommt an keiner Stelle enttäuschender Kitsch auf.  Die geschilderten Menschen sind Individualisten. Sie werden allesamt aber positiv und verständnisvoll dargestellt in ihren Eigenheiten, in ihren mitunter fragwürdigen Ansichten, aber auch in ihren Unsicherheiten und – am eindrucksvollsten – mit ihrer Bereitschaft, sich auf andere Menschen einzulassen. Dass Maddie gerne strickt, hat mich gar nicht überrascht, und dass auch Hühner das Herz erobern können, noch viel weniger. Die Kraft der Natur ist eben eine ganz besondere…

 

Kurzum: Bei diesem Buch handelt es sich um einen Wohlfühlroman, der diese Bezeichnung  voll und ganz verdient und der die Frage, was wirklich wichtig ist im Leben, auf  humorvoll-leichte und durchaus kluge Weise beantwortet.

 

 

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Rachel Givney

Das verschlossene Zimmer

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Lübbe

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 544 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3785727867

#DasverschlosseneZimmer

 

  

„Man sieht nur was man sehen will“ – Erzählkunst vom Feinsten

 

Dass ich diesen Roman an dem Tag beendete, an dem ganz aktuell durch Russland  nach Jahrzehnten des Friedens in Europa wieder Krieg einzog, auch und gerade in Lemberg, das im Buch eine nicht unbedeutende Rolle spielt, gab meinem Leseerlebnis zum Abschluss eine bestürzende und erschreckende Aktualität.

 

Der Roman spielt schwerpunktmäßig in Polen im Jahr 1939, Krieg droht. Marie, ein 17-jähriges  Mädchen, das von seinem Vater geliebt und beschützt wird, treibt die Frage um nach ihrer Mutter, die angeblich verschwand, als Marie noch ganz klein war. Der Vater Dominik, ein renommierter und ambitionierter Arzt, beantwortet keine der Fragen, die Marie so in der Seele brennen. Nicht einmal den Namen der Mutter verrät Dominik. Und genau das stachelt Marie umso mehr an, auf eigenwillige Weise Nachforschungen zu betreiben, ohne zu ahnen, was sie damit auslöst.

 

Doch diese kurze Inhaltsangabe verrät nur einen kleinen Teil dessen, was das Buch an Geschehnissen erzählt. Nicht nur die politische Lage und die brutale Vorgehensweise des Nazi-Regimes ist Thema, nicht nur die unfassbare Judenfeindlichkeit, die sich auch in den Köpfen der Bevölkerung festgesetzt hatte, sondern auch die niedere Stellung der Frau zu dieser Zeit. Marie möchte unbedingt Medizin studieren, um ihrem Vater nachzueifern, doch man verwehrt ihr diesen Weg, denn „Frauen haben kleinere Gehirne“ und sind deshalb angeblich nicht geeignet für den Mediziner-Beruf. Um ihren Jugendfreund Ben heiraten zu können, konvertiert sie zum Judentum. Durch die sehr feinfühligen Schilderungen der Autorin von jüdischem Leben und Denken konnte ich mich auf ganz besondere Weise einfühlen. Hier wie überhaupt im gesamten Buch spürt man, wie sehr sich die Autorin kundig gemacht hat, um detailfreudig und stimmig die einzelnen Szenen schildern zu können. Wie eine Klammer umschließt die Handlung im Jahr 1939 die Rückblicke auf die Zeit ca. um 1920 – ein sehr geschickter schriftstellerischer Kunstgriff, um die Familiengeschichte rund um Dominik und Marie schlüssig darzustellen. Vom absolut überraschenden Ende des Romans ganz zu schweigen. Doch nicht nur Aufbau und Inhalt des Romans haben mich begeistert. Am meisten war ich hingerissen von der unglaublich schönen, sorgsamen Sprache, die wirkt, als würde man einen alten Roman lesen, von einem großen, vergessenen Autor vielleicht, so zeitlos schön, wie auch manche Märchen geschrieben sind.

 

Fazit: Für mich war dieser Roman Lesegenuss pur, geschrieben in Erzählkunst vom Feinsten.

 

 

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Claire Thomas

Die Feuer

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 256 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446272972

·        Originaltitel ‏ : ‎ THE PERFORMANCE

#DieFeuer

 

 

Am eigenen Anspruch gescheitert?

 

Eigentlich klingt der Aufbau dieses Romans nach einem literarischen Geniestreich. Eigentlich versprechen Cover, Inhaltsangabe und das Renommé des Verlags ebenfalls Außergewöhnliches. Und doch wage ich zu behaupten, dass die australische Autorin an ihrem eigenen Anspruch gescheitert ist.

 

Der Handlungsinhalt lässt sich ganz minimalistisch zusammenfassen: Drei völlig unterschiedliche Frauen, sowohl was Alter, Beruf und Bildung betrifft, sehen ein (ebenso minimalistisches) Theaterstück, während vor der Stadt Buschbrände wüten.

 

Die kollektive und individuelle Wahrnehmung  von Samuel Beckett’s Stück „Glückliche Tage“ in seiner handlungsarmen Inszenierung bildet sozusagen die Assoziationsgrundlage dieser drei Frauen. Über die Buchseiten hinweg öffnen sich anhand ihrer jeweiligen Gedanken, Erinnerungen, Befürchtungen und Beobachtungen die individuellen Lebenssituationen, Erfahrungen  und Einstellungen. Margot, die ältere Literaturprofessorin, Summer, die junge Platzanweiserin und Ivy mittleren Alters mit einem nicht verarbeiteten Trauma verlieren sich in ihren individuellen Rollen, die sie in ihrem eigenen Leben spielen, um nicht unterzugehen.

Umrahmt ist dieses Gedankenkonvolut von dem wichtigsten aller Themen, weit weg von dem ständigen Um-sich-selbst-Kreisen, nämlich dem Klimawandel, indem die gefährlich nahgerückten Buschbrände eine unausweichliche Hitze auslösen und dennoch nicht wirklich ins Bewusstsein dringen.

 

 

Der Roman beinhaltet eine Fülle von Themen, die jedoch nicht in die Tiefe gehend bearbeitet werden. Im zugegeben sehr schönen Sprachstil geschrieben, machte sich in mir dennoch zunehmend  Langeweile  breit, weil mir letztlich als Ergebnis der 240 Seiten zähen Lesens der Erkenntnisgewinn fehlte, bei den Protagonistinnen ebenso wie bei mir.

 

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Mathijs Deen

Der Holländer

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ mareverlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3866486744

·        Originaltitel ‏ : ‎ De Hollander

#DerHolländer

 

 

Ein Roman wie Ebbe und Flut

 

„Roman“ steht auf dem sehr passend zum Inhalt gestalteten Cover. Aber eigentlich ist es, wie ich finde, ein Kriminalroman, ein ruhig-unaufgeregt erzählter Kriminalroman, der mich, die ich weit entfernt vom Meer lebe, in mir völlig unbekannte Gegenden entführte.

 

Ausgerechnet bei ihrer letzten Fahrt vor der Pensionierung entdeckt Geeske Dobbenga, tätig beim niederländischen Grenzschutz, eine Leiche im Watt. Ein Deutscher, gefunden im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland. Während man sich um Zuständigkeiten streitet, entsendet die Bundespolizei in Cuxhaven heimlich den Ermittler Liewe Cupido nach Delfzijl. Liewe ist Deutscher, aber auf Texel aufgewachsen. Er ist ein besonderer Typ, eigenwillig und wortkarg. Man nennt ihn den „Holländer“. Niemand könnte besser als er Licht in das Dunkel bringen, das sich um den Toten rankt.

 

Leicht machte es mir der Autor nicht, das Buch zu lesen. Im Präsens gehalten erzählt er sehr beschaulich-eindringlich von einer Welt, die mir bislang völlig fremd war. Wattwanderungen als eine Art Sport zu verstehen, überaus gefährlich einerseits, Grenzerfahrungen vermittelnd andererseits – diese Faszination, sich der Kraft der Natur zu stellen, konnte ich trotz der eindrücklichen Schilderungen des Autors nicht wirklich nachvollziehen. Beeindruckt jedoch hat mich seine seltsam lakonische Erzählweise, die genau die Wesensart der Menschen am Meer widerspiegelt, beobachtend und mit auf das Minimum reduzierten Gesprächen. Die vielen mir unbekannten nautischen Begriffe erschwerten mir jedoch das Lesen. Trotz allem lag von Anfang bis Ende über dem Buch eine permanente leise Spannung, besser noch würde ich es als eine andauernde Anspannung bezeichnen, wenn sich im Laufe der Ermittlungen die Beziehungen zwischen den Hauptpersonen nach und nach auftun und der Ermittler selbst mit seinen eigenen traumatischen Belastungen auf eigenwillige Weise mitwirkt. Sehr hilfreich war für mich übrigens die im Schutzumschlag aufgezeichnete Landkarte, auf der ich mich zum besseren Verständnis oftmals während des Lesens über Örtlichkeiten und Entfernungen informierten konnte.

 

 

Fazit: Ein  leiser, langsamer, literarischer Kriminalroman, der in seiner Gestaltungskraft etwas von Ebbe und Flut hatte, im Wechsel zwischen Mensch und Natur. 

 

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Susin Nielsen

Die gigantischen Dinge des Lebens

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Urachhaus

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 290 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3825153045

·        Lesealter ‏ : ‎ 14 Jahre und älter

·        Originaltitel ‏ : ‎ Tremendous Things

#DiegigantischenDingedesLebens

 

Urkomisch und ernst-traurig

 

Der 14-jährige Wilbur ist schüchtern. Sehr schüchtern. Bloß nicht auffallen, am besten unsichtbar sein. Das ist seine Devise. Denn sein Mitschüler Tyler hat Spaß daran, ihn zu verspotten und zu quälen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Da können die beiden Mütter von Wilbur noch so einfühlsam und stärkend auf Wilbur einwirken. Mum und Mup, die beiden Mütter, haben genug eigene Sorgen, denn das Geld ist knapp trotz mehrerer Aushilfsjobs. Da will Wilbur nicht noch mehr Probleme nach Hause bringen. Wie gut, dass es den alten und vereinsamt lebenden Nachbarn Sal (82) gibt, der Wilbur so manch verständnisvolle Unterstützung zukommen lässt. Als die Austauschschülerin Charlie aus Paris bei Wilburs Familie einzieht, wird Wilbur in einen alles in Frage stellenden Gefühlswirrwarr gestürzt. Wie kann sich Wilbur, der Unsichtbare, zu Wilbur, der Coole, verwandeln?

 

Susin Nielsen hat eine unübertreffliche Gabe, Trauriges und Ernstes in eine flockenleichte Geschichte zu verpacken, die mich tief beeindruckt hat. Die Autorin spielt geradezu virtuos mit Humor und Ernst. Szenen der Situationskomik spielen mit Szenen der Ernsthaftigkeit auf eine solch gekonnte Weise, wie ich es in der Form noch nie gelesen habe. Brüllend komische Situationen transportieren gleichzeitig traurige Gegebenheiten. Und der Leser fällt von einer Sekunde zur anderen vom lauten Auflachen in überflutende Gerührtheit. Die geschilderten Personen sind in ihrer Individualität wunderbar einfühlsam geschildert, liebenswert, tapfer im Lebenskampf und empathisch im Miteinander.

Übrigens: Das originelle Cover erschließt sich nur dem, der das Buch gelesen hat!

 

 

Fazit: Eine großartig geschriebene Coming-Age-Geschichte, urkomisch und gleichermaßen ernsthaft. Ich würde das Buch nicht nur Jugendlichen empfehlen, sondern unbedingt auch Erwachsenen, da es gewohnte Denkmuster geschickt über den Haufen wirft.

 

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Fritz Schaefer

Strahlemann

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 240 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3548065465

#Strahlemann

 

Wenn das Lachen im Hals stecken bleibt

 

 

Der junge Fritz Schaefer, von Beruf 1Live-Moderator, hat ein, wie ich finde, beachtenswertes Buch geschrieben, in dem er in zeitlich beliebiger Folge von Ereignissen aus seiner Kindheit und Jugend berichtet, leider, leider in einer sehr augenfeindlichen Typographie gedruckt.

Ein sehr trefflicher Titel für das Buch wurde gewählt. Denn in der Tat gelingt es Fritz Schaefer durchweg, seine Kindheits- und Jugenderinnerungen so zu erzählen, dass der Leser lächelnd oder mitunter hell auflachend den Erzählungen folgt, obwohl hier eigentlich verstörend-schreckliche Dinge erzählt werden. Ich bewundere die große Kunst des Autors, mit einer unglaublich leichten, ja geradezu lächelnden Feder Schlimmstes zu erzählen und dabei doppelbödig zu offenbaren, wie seine kindliche Überlebensstrategie war und – wie dieses Buch beweist - nach wie vor noch ist.

Als Bruder einer körperlich schwer behinderten Schwester musste er Wege finden, um nicht völlig übersehen zu werden. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter musste er früh Verantwortung übernehmen. Als Kind die meiste Zeit bei den sehr seltsamen und in abgrundtiefer Hassliebe verbundenen Großeltern aufwachsend, gewann er eine sehr schräge Sicht auf Liebe und Zuneigung. Noch selten habe ich so eindrücklich davon gelesen, mit welch immensen Überlebens-Kräften ein Kind ausgestattet wird, wenn es ihm an so vielem fehlt, was für seine Entwicklung notwendig wäre.

 

Fazit: Ein vordergründig sehr unterhaltsam-heiteres Buch, dessen Hintergrund jedoch so viel Bitteres enthält, dass mir beim Lesen das Lachen oftmals im Hals stecken blieb.

 

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Sylvia Frank

Gala & Dalí

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Aufbau Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 445 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3746638720

#GalaundDali

 

 

Trivialer Roman, uninspiriert, farblos-flach

 

Eine neue Reihe im Aufbau Verlag will auf sich aufmerksam machen: Berühmte Paare – Große Geschichten. Begonnen wird mit dem Roman „Gala & Dali – Die Unzertrennlichen“, geschrieben von einem Künstler-Autoren-Ehepaar unter dem Pseudonym Sylvia Frank. Als gleichermaßen ambitionierte Kunst- und Sprachliebhaberin war ich sehr gespannt auf diesen Roman. Doch ich wurde bitter enttäuscht.

 

Der Roman umfasst die Zeitspanne zwischen 1929 und 1931. Gala ist verheiratet mit dem Dichter Paul Éluard. Um seine Schreibblockade zu überwinden, fahren beide nach Spanien in ein abgeschiedenes Fischerdorf, auch in der Hoffnung, die erkalteten Gefühle zueinander wieder beleben zu können. Gala begegnet dem 10 Jahre jüngeren Dalí, der hingerissen ist von Gala, von ihrer Schönheit, von ihrer Ausstrahlung. Dalí dagegen berührt Gala in seiner Unsicherheit und unbeholfenen Art, aber auch in seiner besonderen Sicht auf die Welt. Doch letztlich kehrt Gala mit Paul nach Paris zurück. Als sie allerdings Dalí in Frankreich wieder begegnet, wagt sie schließlich den Sprung heraus aus ihrer Ehe hin zu einem entbehrungsreichen Leben mit Dalí und im Dienst seiner Kunst.

 

Zwar weist das Autorenpaar ausdrücklich darauf hin, wie aufwändig ihre Recherche-Arbeit für diesen Roman war, doch von dieser Arbeit konnte ich beim Lesen kaum etwas spüren. Weder kann man beim Lesen etwas entdecken vom besonderen (politischen) Geist der Zeit der Dreißiger Jahre, noch von dem aufregenden zeitgeschichtlichen Wandel der Kunst  dieser Zeit oder von den speziellen Impulsen, die von den Surrealisten ausgingen. Zwar werden etliche berühmte Maler und Literaten erwähnt, aber sie werden nirgends ausgearbeitet, sie bleiben platte Staffagen. Und leider bleiben auch die beiden Hauptpersonen farblos und flach. An keiner Stelle des Romans wird der Leser erfasst von Emotionen, die zwar beschrieben werden, aber so leblos angeboten werden wie Kochrezepte. Ebenso farblos bleiben die wenigen Passagen, die sich auf künstlerische Arbeiten von Dalí beziehen. Wirklich spürbar bleiben allein die sehr gelungenen Naturbeschreibungen, offensichtlich gespeist aus eigenem (Recherche)-Erleben der Autoren.

 

 

Fazit: Ein rundum enttäuschender, mäßig unterhaltsamer, uninspiriert geschriebener trivial-oberflächlicher Roman.

 

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Percival Everett

Erschütterung

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 288 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446272668

·        Originaltitel ‏ : ‎ Telephone

#Erschütterung

  

 

Ein vielschichtiges literarisches Kleinod

 

Diesen Roman habe ich als unauslotbar empfunden. Auf einer fesselnden erzählerischen Ebene ist er gut verstehbar und sehr bewegend. Auf anderen Ebenen bleibt er jedoch durchweg rätselhaft. Rätselhafte Einschübe von wissenschaftlich-geologisch-paläontologischen Absätzen, rätselhafte fremdsprachliche, für mich daher nicht verstehbare Einsprengsel. Eingebettet in einer mehr als mehrdeutigen Geschichte. So mag es wohl sein, dass jeder aufmerksame Leser etwas anderes aus diesem Roman herausholt, das wahre Geheimnis jeder großen Literatur.

 

Zach Wells ist Paläontologe. Er hat es sich in seinem langweiligen Leben bequem gemacht und kümmert sich um nichts. Er lehrt in langweiligen Vorlesungen über sein sehr nerdiges Fachgebiet. Auch in seiner Ehe herrscht Langeweile. Einziger Lichtblick ist Sarah, seine 12-jährige Tochter, mit der Zach mit Freude Schach spielt. Als bei Sarah das seltene Batten-Syndrom, eine unheilbare, zum frühen Tod führende neurodegenerative Erkrankung diagnostiziert wird, wandelt sich Zach Wells zu einem Menschen, der seismographisch fein die Veränderungen, von der Diagnose ausgelöst, bei seiner Frau, bei Sarah und vor allen Dingen bei sich selbst wahrzunehmen sind. Er reist aufgrund eines gefundenen winzigen Zettels in einer gebraucht gekauften Jacke, eines merkwürdigen Hilferufes, nach New Mexiko. Er flieht vor seiner eigenen Lebenssituation und fühlt sich aufgerufen, einer Gruppe Zwangsarbeiterinnen zu helfen. „Ich war hier, um jemanden zu retten, irgendwen. Ich brauchte das.“

 

Die selbstironische Beschreibung seiner selbst mündet in Sätzen wie „Ich ließ mich nie tätowieren“ – wichtig-unwichtige Botschaften, die dennoch sehr präzise das Bild eines Menschen ergeben, der sich für nichts engagiert, nicht einmal für sich selbst. Das Bild eines Mannes, in dessen Leben die Knochenfragmente urzeitlicher Buschratten mehr Gewicht haben als alles andere. Den fein ziselierten Windungen der Selbstbeobachtung im Reden und im Träumen zu folgen, ist auf keiner einzigen Seite langweilig. Im Gegenteil, man wird mitgezogen aus der Lebensträgheit heraus hinein in ein tiefes Lebenserschrecken durch die Erfahrung, dass auch die größte Vorsicht nicht beschützt vor Schicksal.

 

 

Fazit: Ein literarisches Kleinod, vielschichtig und bewegend.

 

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Einar Kárason

Sturmvögel

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ btb Verlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 144 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3442759392

·        Originaltitel ‏ : ‎ Stormfuglar

#Sturmvögel

  

Kleines Buch mit gewaltigem Inhalt

 

Winter. Ein isländischer Trawler - das Schleppnetz-Fangschiff Mávur -  ist auf dem Weg Richtung Neufundland. An Bord sind 32 Seeleute, erfahrene und unerfahrene. Und sie holen tonnenweise Fisch aus dem Meer. Doch es kommt Sturm auf, ein gewaltiger, nicht enden wollender Sturm, der das Schiff mit einer dicken Eisschicht überzieht. Notrufe bleiben ungehört. Die Besatzung ist auf Gedeih und Verderb auf sich gestellt.

 

Ein Szenario von apokalyptischem Ausmaß malt der Autor auf nur 140 Seiten. Und dies so intensiv, dass ich mich lesend hilflos ausgesetzt mitten in Eiseskälte und Lebensgefahr fühlte, wurde zum Teil der Besatzung und empfand Todesangst im Erleben der unbarmherzigen Kräfte der Natur. Ich erlebte fast körperlich die Kälte und Erschöpfung der Schiffsbesatzung. Tief beeindruckend beschreibt der Autor, wie die meterhohen Brecher das Schiff mit glas-scharfem Eis überziehen, sodass aus daumendicken Seilen wasserrohrdicke Skulpturen werden und wie in endloser und lebensgefährlicher Sisyphus-Arbeit das Abschlagen von den stetig nachwachsenden Eisschichten das Schiff vor dem Zerbersten retten soll. Doch der tosende Sturm nimmt kein Ende. Zwar kenne ich die meisten der verwendeten nautischen Begriffe nicht, aber diese Tatsache änderte nichts daran, dass die Geschichte des erbarmungslosen Kampfes der Elemente gegen die die stoische Kraft der Hoffnung der zur See fahrenden Männer, geschrieben in einer intensiv-eindrücklichen Sprache, lange im Gedächtnis bleibt.

 

Fazit: Ein überaus beeindruckender bildstarker kleiner Roman, der lange nachwirkt.

 

 

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Edgar Selge

Hast du uns endlich gefunden

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Buchverlag

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 304 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3498001223

#Hastduunsendlichgefunden

 

 

Bedrückend und beglückend gleichermaßen

 

Im Buch ist und bleibt Edgar Selge 12 Jahre alt. Jedenfalls meistens ist das so. Daran ändern auch gelegentliche Perspektivwechsel nichts. Ein Zwölfjähriger erzählt von sich im Spiegel seiner Familie. Das ist außerordentlich beeindruckend gut gelungen. Und doch fehlt es mir, dass Edgar nicht älter wird. Ich würde gerne miterleben, wie es ihm gelingt, seine Austernschale zu sprengen. Denn so manches, was mich im Buch berührt, legt der gereifte, erwachsene Edgar dem 12-Jährigen in den Sinn. Reizvoll zwar, aber nicht immer schlüssig nachzuvollziehen.

 

Wir erleben die 60er Jahre in einer mittelgroßen Stadt. Es wird uns das Gesellschaftsbild einer privilegierten Familie gezeichnet, einerseits musisch-kulturell gebildet, andererseits einem Konglomerat von nationalsozialistischem und wilhelminischem Denken verhaftet. Der Vater, einst Staatsanwalt, ist Gefängnisdirektor, und zwar „ein besonders gut klavierspielender Gefängnisdirektor“, der regelmäßig ausgewählte Gefängnisinsassen einlädt zu Hauskonzerten. Edgar kämpft mit Liebe um dieses Vaterbild, das von Strenge, Härte und brutalen Prügelstrafen genauso geprägt ist wie von göttlich beseeltem Klavierspiel. Edgar trägt schwer an dem Gefängnis in sich, weil er „nicht den Mut hat, andere zu enttäuschen“. In vielen Szenen und Episoden, Erinnerungsfetzen, Träumen und Momentaufnahmen erleben wir Edgar als seismographisch feinen Beobachter und gleichzeitig als einen stillen Außenseiter im Familiengefüge.  Herausragend gut, wie Edgar Selge es schafft, gleichzeitig Musik sehr tief empfindend zu beschreiben und parallel dazu genauso tief die Menschen zu erfassen, die Musik machen oder hören oder daran verzweifeln. Oder wenn der Autor Beethoven gleichsetzt mit Dostojewskij in seiner Hoffnung auf Unmögliches.  Oder wenn er in bildhaft-starker Sprache von seinem Musiker-Bruder erzählt, der „Etüden schaufelt wie ein Kohlenarbeiter“. Dass Edgar Selge besonders wissbegierig die Spuren der Hitler-Zeit in seiner Familie sucht und es für wichtig hält, sich sogar als 73-Jähriger im Buch dazu zu Wort zu melden, hebt das Buch damit aus der rein privat-persönlichen Seite mit all dem Bedrückenden und Aufwühlenden weit heraus.

 

 

 

Fazit: Ein Buch, das ich als ebenso bedrückend wie beglückend empfand. Ein Buch zum Mehrfachlesen!

 

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Wolf Hector

Die Brücke der Ewigkeit

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Taschenbuch

·        Taschenbuch ‏ : ‎ 608 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3548064079

#dieBrückederEwigkeit

 

 Spannender, bildstarker und kurzweilig zu lesender historischer Roman

 

Zu gern wüsste ich, wer sich hinter dem Pseudonym Wolf Hector versteckt. Denn der historische Prag-Roman „Die Brücke der Ewigkeit“ ist so gekonnt, so bildgewaltig, so packend geschrieben, dass der Autor (oder die Autorin?)  hinter dem Pseudonym einer von den richtig guten sein muss. Die Sinnhaftigkeit von Pseudonymen erschließt sich mir oftmals nicht wirklich, schon gar nicht, wenn der Autor unter seinem Realnamen bereits einen Preis einheimsen konnte für ein Buch des gleichen Genres, also mit einem historischen Roman. Warum dann jetzt ein Pseudonym?

 

Wir befinden uns im Prag des 14. Jahrhunderts. Während eines schrecklichen Unwetters versinkt die steinerne Judithbrücke in den Fluten. Otlin schwört bei Gott, dass er die Brücke wieder aufbauen will, wenn Gott seine Mutter, die in die Fluten zu stürzen droht, errettet. Jahre später bekommt der Baumeister Jan Otlin die Gelegenheit, sein Gott gegebenes Versprechen einzulösen. Doch er ist von Feinden umgeben, die nichts unversucht lassen, den Konkurrenten Otlin auszuschalten.

 

600 Seiten umfasst dieser Roman. Und er hat mich von Anfang bis Ende gefesselt, was besonders am plastisch-bildhaften Schreibstil des Autors liegt. Ich mag es sehr, wenn historisch zuverlässig Recherchiertes sich verbindet mit routiniertem Handlungsaufbau und fantasievoll farbiger Erzählweise. Die historisch nachgewiesenen Personen sind  zu Anfang des Buches in einem Personenverzeichnis gekennzeichnet, was mir zur Einschätzung der Recherchearbeit gut gefiel. Eine Zeittafel lässt uns vorab wissen, dass die „Steinerne Brücke“ ab Baubeginn im Jahr 1357 dreimal durch Hochwasser beschädigt wurde und deshalb erst 1380 fertiggestellt werden konnte. Erst im Jahr 1870 erhielt die Brücke den uns heute vertrauten Namen „Karlsbrücke“. Im Roman entsteht ein sehr intensives Zeitgemälde, das mir viele filmreife Bilder ins Kopfkino zauberte.

 

 

Fazit: Ein spannend-bildstarker, kurzweilig zu lesender historischer Roman, sorgfältig recherchiert. Sehr lesenswert!

 

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Christiane Tramitz

Das Dorf und der Tod

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ Ludwig Buchverlag

·        Broschiert ‏ : ‎ 288 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453281240

#DasDorfundderTod

 

 

Wenn man sich dem Schicksal willenlos ausliefert - bedrückend-grandios geschrieben

 

Dieses Buch ist vieles. Was es jedoch ganz gewiss nicht ist, egal was der Verlag auf dem Cover drucken ließ – es ist kein Kriminalroman! Der Roman ist ein historischer Roman, er ist eine entsetzliche Lebens-Tragödie und  er ist auch ein Heimatroman im besten Sinne des Wortes, ein tragischer Heimatroman, dunkel, trostlos, lieblos. Und dieser Roman ist bedrückend-grandios geschrieben.

 

Es geht um die Menschen in einem kleinen Dorf in Oberbayern, beginnend im Jahr 1921. Diese Menschen begleiten wir über die Jahre hinweg, wie sie sich von der Zukunft viel erhoffen und wie sie sich entmutigt zurückziehen auf das, was getan werden muss, jeden Tag im ewigen Gleichmaß. Wie sie lieben oder auch nicht. Wie sie, geprägt von Tradition und dörflichen Zwängen, einander und sich selbst verlieren. Wie Hitler kommt und geht. Und wie es mit Menschen wird, die keine Liebe erfahren und wo oft nichts anderes mehr bleibt, als „sich Unbeschwertheit ins Hirn zu trinken“ oder unüberwindbare Gebirge von Hass aufzutürmen.

 

Das Buch wehrte sich, von mir gelesen zu werden. Diese entsetzlich kleine Schrift ist eine Zumutung für die Augen. Die langen Absätze ohne Zeilenunterbrechung, die raren Dialoge machen das Lesen ebenfalls schwer. Doch nach zähem und mühsamem Beginn gewannen die geschriebenen Worte eine Kontur, eine geradezu lyrische Kontur, in die einzutauchen einen seltsamen Sog auslöste, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Das harte dörfliche Leben in seiner Begrenztheit zwischen Pflicht und Tradition beschädigt die Seelen der Menschen, macht sie willenlos und ergeben. Daran kann weder das harte Regiment der Kirche noch politische Verführung etwas ändern. Christiane Tramitz zeichnet ganz fein, wie nebenbei, stille Momentaufnahmen von brachialer Gewalt, die im Gedächtnis bleiben. Das Buch kommt mir vor wie Bilder der Maler der Münchner Schule, auf denen wir vordergründig die Idylle des dörflichen Verbunds und die Schönheit der Natur sehen, während dahinter unsichtbar, aber umso gewaltiger, Kälte und verzweifelter Hass wachsen.

 

 

Ein beeindruckend starker Roman!

 

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Peter Prange

Der Traumpalast – im Bann der Bilder

 

·        Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Scherz

·        Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 816 Seiten

·        ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3651025783

#DerTraumpalastimBannderBilder

 

Der Vergangenheit ins „ungewaschene Gesicht“ geschaut

 

Eigentlich scheue ich umfangreiche Bücher. Sie sind anstrengend zu halten und oftmals auch anstrengend zu lesen. Doch die 800 Seiten, in denen Peter Prange die Zeit zwischen 1917 und 1925 opulent vor uns ausbreitet, ließen sich so leicht und so schnell und so unterhaltsam lesen, dass ich geradezu überrascht war, wie schnell ich das Ende des Buches erreichte.

Im Zentrum des Geschehens stehen zwei zentrale Figuren: Tino, der Bankier und Leichtfuß, und Rahel, die als Journalistin in einer Männerdomäne Fuß fassen will. Die Erlebnisse der beiden Personen, ihre recht unsteten Lebensbahnen, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Schwerpunkt jedoch sind die Anfänge des Kinos, zunächst als Propagandamittel, dann zunehmend als preisgünstiges Unterhaltungsmedium für die Menschen. Die Finanzierung großer Filmprojekte, überhaupt das Politikum Kunst versus Profit spielt eine zentrale Rolle in dieser von Wirtschaftskrise, Inflation und gefährlicher politischer Entwicklungen gezeichneten Zeit.

Genau diese brillant recherchierten und farbig-lebendigen, teils geradezu magisch wirkenden Darstellungen einer Epoche des Wandels, des Umbruchs, sind die absolute Stärke des Autors. Weit weg von der Tingeltangel-Welt der Zwanziger, die so oft in Romanen bemüht wird, lässt uns Peter Prange hautnah erleben, wie der bislang eher unterschwellige Antisemitismus immer lauter wird und die rechte Gesinnung der NSDAP schließlich die Oberhand gewinnt, wie die von Armut und Hunger gezeichneten Menschen einen Heilsbringer ersehnen, wie dadurch erklärbar Hitler an die Macht kommt. Da ich zu der ü70-Generation gehöre, waren mir noch viele Namen aus den Kinoanfängen bekannt, und ich las gerne darüber, wie berühmte Regisseure wie zum Beispiel Fritz Lang ihre Filmvisionen umsetzten, und welchen Kampf diese Visionäre mit den Produzenten und Geldgebern auszufechten hatten. Enttäuscht jedoch war ich von der Ausgestaltung der Personen Tino und Rahel. Hier war für mich keine stimmige psychologische Entwicklung zu erkennen, sondern ein recht wirres Mäandern zwischen nicht nachvollziehbaren Handlungen, die zu immer neuen Konflikten führten. Kurz gesagt, diese Hauptpersonen, insbesondere Rahel, nervten mich nur noch! Auch hätte ich auf die allzu reichlichen Szenenwechsel und Cliffhanger verzichten können. Das überaus kluge Nachwort des Autors jedoch hätte ich ebenso wie das Personenverzeichnis lieber am Anfang des Buches gesehen, denn hiermit macht Peter Prange klar, dass er die Zeitläufe nicht aus der „Besserwisser-Perspektive von uns Nachgeborenen“ geschrieben hat, sondern „aus dem Dunkel des gelebten Augenblicks“. Der Autor schaut der Vergangenheit quasi „ins ungewaschene Gesicht“. Genau das macht die hervorstechende Qualität des Buches aus!

 

Fazit: Absolut lesenswert!   

 

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 Ulrike Schweikert

 Novembersturm

 

Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Taschenbuch

Broschiert ‏ : ‎ 512 Seiten                   

ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3499000089

#Novembersturm

 

Unterhaltsamer, brillant recherchierter Roman mit Tiefgang

 

 Was für eine fleißige Autorin, die nach den Büchern über die Charité nun den ersten Band einer neuen Trilogie vorlegt, wiederum brillant bis in die letzten Feinheiten recherchiert. Wirklich beeindruckend!

  Wir befinden uns im Jahr 1920. Das Jahrhundertbauwerk Bahnhof Friedrichstraße ist im Roman eigentlich nur ein Aufhänger, ein Symbol für den Weg Berlins zur Weltstadt. Sehr viel mehr geht es um drei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, um ihre individuellen Lebenswege, die den sehr spannenden Spagat zwischen moderner, selbstbestimmter Frau und angepasster traditioneller Frauenrolle verkörpern, um die nahezu unüberbrückbare Kluft zwischen Arm und Reich zu zeichnen. Luise ist Sekretärin bei der Sittenpolizei. Sie hat ihre große Liebe Johannes im Krieg verloren, er ist verschollen. Der junge Architekt Robert bekommt den Auftrag, am Neubau des Bahnhofs Friedrichstraße und an der Planung der ersten U-Bahn Berlins mitzuarbeiten. Er heiratet Luise und stürzt sich in die Arbeit. Ilse, die Schwester von Johannes, ist Künstlerin durch und durch. Sie liebt Frauen, sie liebt Tanz und Gesang und sie hat ein besonderes Händchen, wunderbare Kleider zu entwerfen. Ella lebt im Hinterhaus, ist wenig gebildet, arbeitet als Verkäuferin. Im Verlauf der Jahre erleben wir mit, wie die politischen Veränderungen ihren  Tribut fordern, wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Judenhass und die wachsende Macht der Braunhemden das Leben aller verändert.

 

Ulrike Schweikert schreibt wie gewohnt fesselnd und detailreich. Man ist sehr schnell gefangen in den Geschehnissen rund um Luise, Ilse und Ella. Dank der bildhaften, eindrücklichen Beschreibungen fühlt man sich den Personen und ihren Erlebnissen sehr nahe. Großartig, wie es der Autorin gelingt, so vielen Berühmtheiten dieser Zeit ein Plätzchen im Roman einzuräumen. Ganz unspektakulär in die Handlung eingestreut richtet sie den Blick auf diese Persönlichkeiten, die mir dank meines fortgeschrittenen Alters allesamt auch noch ein Begriff waren. Welch eine interessante Zeit, in der man solch besonderen Menschen begegnen konnte. Ulrike Schweikert hat diese intellektuell und künstlerisch besondere Zeit gekonnt und ohne unnützen Ballast sehr fein dargestellt. Auf ebenso bewundernswerte Weise ist es der Autorin gelungen, in ausgewogenem Maß die einschneidenden politischen Bewegungen in den Jahren 1920 bis 1933 in ihren folgenschweren Zusammenhängen darzustellen und deutlich zu machen, auf welchem Nährboden rechtes Gedankengut wachsen kann. Genau dadurch hebt sich der Roman weit heraus aus der Masse der reinen Unterhaltungsromane.

 

Fazit: Ein unterhaltsam-fesselnd zu lesender Roman, mit historisch fundiertem Tiefgang

 

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Mary Lawson

Im letzten Licht des Herbstes

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 352 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453273573

·         Originaltitel ‏ : ‎ A Town Called Solace

#ImletztenLichtdesHerbstes

  

 

Ein hinreißender Roman, liebevoll-berührend

 

Dieses Buch war für mich eine glückliche Überraschung. Irgendwie hatte ich mir wegen des Titels und des schönen herbstlichen Covers einen Roman über das Alter bzw. das Altern vorgestellt, ernst und schwer. Tatsächlich jedoch durfte ich eine Geschichte lesen, die mich gefangen nahm mit seiner lichtvollen Wärme und Menschlichkeit.

 

Clara, das siebenjährige Mädchen, wartet seit Wochen am Fenster auf die Rückkehr ihrer Schwester, die verschwunden ist. Zudem liegt die geliebte Nachbarin, die alte Mrs. Orchard, im Krankenhaus. Clara hatte ihr fest versprochen, für den Kater Moses zu sorgen, ihn zweimal am Tag zu füttern und mit ihm zu spielen. Und was man verspricht, muss man halten. Eines Abends zieht ein Fremder in Mrs. Orchards Haus ein, und Claras Welt gerät restlos aus den Fugen, denn der Fremde macht sich im Haus breit, räumt Dinge um, die Clara, wenn der Mann das Haus verlässt, wieder zurechtrücken muss. Denn es muss alles so bleiben wie es immer war, damit Mrs. Orchard gesund zurückkommt. Dann wird auch die Schwester wieder zurückkehren.

 

Aus verschiedenen Perspektiven wird eine Geschichte erzählt, die in vieler Hinsicht traurig ist, gleichzeitig jedoch auch beglückend. Da ist Clara, dieses tapfere Mädchen, das sehr gewissenhaft seine übernommenen Pflichten erfüllt und durch selbst auferlegte Riten die Rückkehr der Schwester beschwören will. Da ist Mrs. Orchard, die im Krankenhaus, dem Tode näherkommend, von Erinnerungen getragen, sich mehr und mehr einer alten Schuld, einer Schuld aus Liebe, stellt. Und da ist Liam, dieser Fremde in Mrs. Orchards Haus, der nur wenige Wochen da bleiben wollte. Er trägt schwer an schlechten Erinnerungen, und wir Leser erfahren Stück für Stück von alten Verstrickungen. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

 

 

Mary Lawson hat einen faszinierenden Schreibstil, denn sie geht mit so liebevollen Augen ins Detail, dass der Leser sich stets mitten im Geschehen befindet und mitempfindet. Eine wunderbare Autorin, ein wunderbares Buch, empathisch, berührend, sanft und feinfühlig. Kurzum: hinreißend!

 

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David Park

Reise durch ein fremdes Land

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 200 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3832180027

·         Originaltitel ‏ : ‎ Travelling in a Strange Land

#ReisedurcheinfremdesLand

 

  

Eine Reise der egozentrischen Reflexionen

 

Die „Reise durch ein fremdes Land“ wirkt in seiner ganz eigenen Intensität am ehesten, wenn man das Büchlein ohne Pause durchliest, sich ganz und gar einlässt auf die schneeverhangene Gedanken- und Erinnerungswelt des Vaters auf der Fahrt zu seinem Sohn. Das großartige Cover gibt dafür die perfekte bildhafte Einstimmung.

 

Zum Inhalt lässt sich nur wenig sagen. Tom, ein erfolgloser Fotograf, nimmt es auf sich, mitten im Schneechaos mit dem Auto quer durch Schottland zu fahren, um seinen erkrankten Sohn Luke vom fernen Studienort nach Hause zu holen. Luke solle an Weihnachten nicht alleine sein, so drängt Lorna, Tom’s Ehefrau.

 

Wir, die Leser, sitzen gemeinsam mit Tom im Auto, begleiten ihn über die langen Stunden hinweg bei seiner Fahrt, sehen mit seinen Augen die schier unbegrenzte Schneelandschaft, hören mit ihm in Dauerschleife ausgewählte Songs, folgen der weiblichen Stimme des Navis und den Telefongesprächen mit Lorna und Luke. Endlos scheint die Fahrt. Und endlos scheint die kalte Leere, diese Zeit der Reflexion, in der Tom teils schonungslos, teils unkritisch-beschönigend in die Vergangenheit abschweift. Sehr zögerlich, in ganz kleinen Gedankenschritten, nähert er sich seiner unfassbar großen Schuld, die er mit niemandem bisher geteilt hat, auch nicht mit sich selbst. Tom, der Fotograf, sieht die Welt in Bildern. In doppelbödigen Bildern. Und wir mit ihm. Je länger die Fahrt dauert, umso mehr spüren wir, wie Tom durch sein ganz eigenes Fegefeuer geht.

 

 

Der Roman besticht durch seinen poetisch-starken Sprachstil, durch seine Intensität. Und doch bin ich enttäuscht. Die geschilderten Personen bleiben dem Leser fern, sie bleiben im Blassen. Alles, wirklich alles dreht sich um Tom selbst. Der Erzähler wirkt ohne echte Empathie für andere. Das Ende der Geschichte, das in einer seltsam larmoyanten Überhöhung endet, lässt mich endgültig und enttäuscht diese Reise beenden.

 

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Kristina Engel

Ein Koffer voller Schönheit

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Droemer TB

·         Taschenbuch ‏ : ‎ 432 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426308356

#einkoffervollerschönheit

 

 

Wenig Avon, viel Wirtschaftswunder-Zeit

 

Völlig ungeschminkt sage ich es frei heraus: Avon spielt in diesem Roman nur den ziemlich unbedeutenden Aufhänger für einen Rückblick in die 50er und 60er Jahre. Insofern wurden meine Erwartungen leider nicht ganz erfüllt, auch wenn der Roman im Ganzen gesehen unterhaltsam geschrieben ist.

 

Anne Jensen ist, wie es zu dieser Zeit üblich war, Hausfrau und Mutter. Ihr Mann Benno, von Beruf Tischler, lässt sich durch Verlockungen seines ehemaligen Schulfreundes darauf ein, ein Möbelhaus zu gründen, was ihn sehr fordert und ihn letztlich unglücklich macht. Ganz abgesehen davon, dass ein unbearbeitetes Kriegstrauma in ihm wühlt. Anne wird von ihrer Schwiegermutter ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie wird Avon-Beraterin trotz Gegenwehr von Benno. Die Ehe scheint nicht mehr zu retten zu sein.

 

Da ich selbst in den 50er Jahren Kind war, weckte der Roman in mir so manche Erinnerung, als eine Kugel Eis noch 10 Pfennige kostete oder Aenne Burda so kluge Kolumnen schrieb. Es ist Kristina Engel sehr gut gelungen, diese Zeit lebendig-bildhaft zu beschreiben, eine Zeit, in der die Menschen vorwärts blickten, sich mehr und mehr leisten konnten und Konventionen und gesellschaftliche Engstirnigkeit zunehmend an Boden verloren. Ehekonflikte, Kriegstraumata, Frauenrechte, Unabhängigkeitsstreben, der Einfluss Amerikas – viele Themen werden angerissen, und Avon mit dem Verkauf von „Schönheit“ wirkt unter all diesen zeittypischen Problemen eingestreut wie eine nette Dekoration. Die Schilderungen von Schminksitzungen wirken leblos, mitunter sogar ungewollt komisch. Den Traum, den Avon zu dieser Zeit verkaufte, konnte die Autorin leider nicht emotional nachvollziehbar in Szene setzen. Leider verliert sich der unterhaltsam-biedere Roman gegen Ende völlig in einem maßlos übertriebenen, dramatischen Überfall und einem abrupten Schluss.

 

Fazit: Viel Wirtschaftswunder, wenig Avon

 

 

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Matt Cain

Das geheime Leben des Albert Entwistle

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Paperback

·         Broschiert ‏ : ‎ 432 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864931956

·         Originaltitel ‏ : ‎ The Secret Life of Albert Entwistle

#DasgeheimeLebendesAlbertEntwistle

  

Herzergreifend und herzerwärmend gleichermaßen

 

Welch eine Entdeckung! Ich kannte den Autor bislang nicht und wurde überrascht von diesem Roman, der mich völlig in seinen Bann zog.

 

Albert Entwistle ist 64 und ein Postbote mit Sozialphobie. Er tut seine Arbeit von Jugend an immer gleich pflichtbewusst und gewissenhaft. Dabei ist er stets bemüht, sich möglichst wenig menschlichen Kontakten auszusetzen. Gesprächen geht er eilig aus dem Weg, denn „die Briefe tragen sich nicht von selbst aus“. Seine Kollegen haben sich an den Sonderling gewöhnt und ignorieren ihn. Albert liebt seine Katze Grace. Abends sitzt er mit ihr vor dem Fernseher und hält ihr Pfötchen. Als er von seiner bevorstehenden Pensionierung erfährt und zeitgleich Grace stirbt, bricht sein gesamtes inneres Schutzsystem mit einem Mal zusammen. Und Erinnerungen kommen hoch von Zeiten vergangenen Glücks und tief empfundener Schuld. Er macht sich tatsächlich auf die Suche….

 

Der Roman ist eine ungewöhnliche Coming-Out-Geschichte. Lange verharrt sie in Zeiten der Einsamkeit, der selbstgewählten Enge und eines erlittenen Verlustes, der sich durch Einschub einzelner erinnerter Szenen dem Leser erst nach und nach erschließt. Ungewöhnlich ist die Geschichte, weil ein Mann im Pensionsalter erstmalig lernt, zu sich selbst zu stehen. Ungewöhnlich auch, weil der Autor eine ganz großartige Mischung zwischen bewegend- trauriger und schräg- komischer Erzählweise gefunden hat, womit die lauernde Gefahr, in Kitsch abzugleiten, gebannt wurde. Albert ist ein ungemein liebenswerter Mensch, rührend sowohl in seiner tiefen Einsamkeit als auch auf seinem Weg in die Welt, was der Leser mit großer innerer Anteilnahme verfolgt. Matt Cain erzählt so detailreich und sensibel, dass man jede Szene, jedes Umfeld, jede Stimmung mitempfindet. Manche Sätze bleiben in ihrer Poetik im Kopf, wenn zum Beispiel der Himmel die Farbe „von einem besonders schmerzhaften Bluterguss“ hat.

 

Fazit: Ein Buch, das herzergreifend und herzerwärmend gleichermaßen ist, sensibel und einfühlsam, mit leisem Humor geschrieben. Absolut empfehlenswert.

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Heidi Rehn

Vor Frauen wird gewarnt

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Knaur TB; 1. Edition

·         Taschenbuch ‏ : ‎ 432 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426526262

#VorFrauenwirdgewarnt

 

Etwas zu glatte und unkritische Darstellung einer emanzipierten Frau

 

Der geschickt gewählte Buchtitel in Anlehnung an den berühmten Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ von Vicky Baum und die Art Deco Elemente auf dem Cover und zu den Kapitelanfängen fielen mir als erstes sehr positiv auf. Vicky Baum war mir schon seit mehr als 50 Jahren als eine Autorin bekannt, die ich damals sehr gerne gelesen hatte. Deshalb interessierte mich der Roman von Heidi Rehn sehr.

Das Buch gibt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem bewegten Leben von Vicky Baum wider. Zwar nennt die Autorin keine Jahreszahlen, aber es geht um die Zeit ungefähr zwischen 1926 und 1931, also eine relativ kurze Zeitspanne. Erzählt wird, wie Vicky Baum getrennt von Mann und Kindern nach Berlin zieht, um im Ullstein-Verlagshaus Schritt für Schritt Karriere zu machen. Sie behauptet sich in einer von Männern dominierten Branche und lebt ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben. Wir verfolgen, wie sie nach und nach die Achtung aller erringt und ihre Romane ihr schließlich zum Ruhm als eine der bekanntesten Unterhaltungsschriftstellerinnen ihrer Zeit verhalfen.

Vielleicht hätte ich das aufschlussreiche Nachwort von Heidi Rehn zuerst lesen sollen. Denn hier findet all das Erwähnung, was ich im Roman vermisste.

Der Schreibstil, der etwas umständlich, manchmal fast antiquiert wirkt, passt perfekt zum historischen Rahmen, der sich genau zwischen konservativem, altertümlichem Denken und fortgeschrittener moderner Aufgeschlossenheit bewegt. Mir fehlt es mitunter an detailgenaueren, nachvollziehbareren Schilderungen. So wird zum Beispiel von einem halbstündigen Einkauf im KaDeWe erzählt, der angeblich aus Vicky eine selbstbewusste Frau machte. Womit? Das verrät uns die Autorin leider nicht. Solche „Blanko“-Stellen gib es leider mehrfach im Buch. Vicky wird als Person insgesamt sehr lebendig dargestellt. Sie ist arbeitswütig und unermüdlich in ihrem Bestreben, die Achtung ihres Umfeldes zu erringen. Ich empfand die Darstellung der Person Vicky Baum allerdings als zu glatt, zu perfekt, zu fleißig, ohne Fehl und Tadel, ohne Marotten, ohne Alkohol. Einzige Schwachstelle vielleicht ihr Hingezogensein zu Bengt. Es gibt im Roman keine wirklich bewegenden Szenen von Sehnsucht nach Mann und Kindern, von selbstkritischem Reflektieren, von depressiven Phasen. Ebenso glatt werden die allzu bewundernden Kolleginnen geschildert. Immer sind ihr alle wohlgesonnen, kein Neid, keine Intrigen. Diese unrealistische heile Welt-Schilderung mit den ewigen Lobhudeleien für Vicky nerven irgendwann. Die politische Brisanz dieser Zeit wird weitgehend, bis auf wenige kurze Szenen, völlig ausgespart. Dafür werden die Leser mehrfach darüber informiert, was es im Ullstein-Kasino zum Mittagessen gibt. Wo bleibt da eine gewisse kritische Distanz?

 

Fazit: Unterhaltsam zu lesen, aber leider insgesamt zu flach.

 

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Joy Fielding

Home, sweet home

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Goldmann Verlag

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 480 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3442315741

·         Originaltitel ‏ : ‎ Cul-De-Sac

#Homesweethome

 

 

Voyeur sein beim spannenden Spiel zwischen Schein und Sein

 

Der Originaltitel „Sackgasse“ wäre fast noch ein wenig passender gewesen als „Home, sweet home“. Denn Joy Fielding hat einen unglaublich intensiv wirkenden Roman geschrieben über das, was hinter verschlossenen Türen in den Häusern passiert, die entlang einer Sackgasse stehen. Es sind Menschen, die sich auch in ihrem Leben in einer Sackgasse befinden und unterschiedliche Überlebensstrategien entwickeln.

 

Über den Inhalt braucht man nicht viel zu erzählen. In Palm Beach Gardens in Florida in einer Sackgasse mit Wendeschleife stehen mehrere gepflegte Häuser in einer gepflegten Gegend. Man hat wenig mit den Nachbarn zu tun, grüßt sich und schließt die Tür fest hinter sich zu. Die alltäglichen menschlichen Dramen hinter den Haustüren bleiben normalerweise den Augen der Nachbarn verborgen, bis eines Tages die Dinge eskalieren…

 

Immer wieder bewundere ich, wie es Joy Fielding gelingt, aus alltäglichen, fast banal wirkenden Situationen und deren Schilderungen eine zunehmende Spannung, eine sich zuspitzende Bedrohung herauszuarbeiten. Im vorliegenden Roman wird der Leser zum Voyeur. Wer würde nicht allzu gerne sehen, was beim Nachbarn hinter verschlossener Tür geschieht? Joy Fielding lässt uns hineinschauen in die verschiedenen Lebensdramen, und sie macht das so geschickt und psychologisch stimmig, dass wir mit den Protagonisten mitleiden, verzweifelt sind, hilflos oder auflehnend, gelassen oder wütend. Die Alltäglichkeit der individuellen Dramen wirkt so entsetzlich, weil sie immer und überall möglich sind. Bis zum Schluss hofft man voller Spannung, dass es im Roman ein gutes Ende geben wird, denn wir alle wünschen uns auch in unserem Leben, dass alles gut wird. Aber Joy Fielding lässt uns wissen, dass manchmal nur noch die totale Zerstörung zum Neuanfang führen wird.

 

Fazit: Ein Roman mit immanenter Spannung, fesselnd zu lesen und psychologisch stimmig, über Schein und Sein.  

 

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Moritz Rinke

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández Garcia

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Kiepenheuer&Witsch

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 448 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3462054521

#DerlängsteTagimLebendesPedroFernandesGarcia

 

 

Ein Buch voller Geschichten in der Geschichte

 

Ohne Lanzarote je gesehen zu haben, gewann ich durch das Buch einen unvergesslichen farbig-plastischen Eindruck von der Insel und seinen Bewohnern. Und dieser Eindruck blieb mir am meisten hängen vom Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.

 

Der Postbote Pedro in Yaiza hat ein ruhiges Leben, denn das Internet hat ihn seiner eigentlichen Aufgabe entledigt. Wer schreibt heute noch Briefe? Also sortiert er Werbesendungen, trägt diese gewissenhaft aus, fährt regelmäßig mit seiner Honda quer über die Insel zum Nachweis seiner Geschäftigkeit, trinkt am Hafen Café con leche, bringt seinen Sohn Miguel zur Schule und holt ihn wieder ab. Er hat sich gut eingerichtet in diesem ruhigen Leben. Carlota, seine große Liebe, aber trennt sich von ihm, zieht nach Barcelona und nimmt Miguel mit. Pedro ist am Boden zerstört. Selbst sein ziemlich verrückter Freund Tenaro, angeblich mit Hemingway verwandt, schafft es nicht, ihn aufzuheitern. Bis Amado der Flüchtling auftaucht und die drei zusammen planen, Pedros Sohn Miguel zurückzuholen.

 

Was das Buch auszeichnet, neben seiner eindrücklichen Schilderung von Land und Leuten, ist seine Erzählfreude. Denn in die Handlung eingestreut sind viele weitere kleine Geschichten, Lebensgeschichten, aber auch politische Geschichten, komische Geschichten und Geschichten von Vulkanausbrüchen; eine Wundertüte an Tragikomik, deren Inhalt der Autor für uns ausbreitet. Aber es geht auch um den spanischen Bürgerkrieg und aktuelles Geschehen, es geht um die Schuldfrage und um das Thema Flucht, denn der Vergangenheit kann man nicht entfliehen. Glücklicherweise  ist die ausufernde, weitschweifige Erzählweise niemals langweilig, im Gegenteil. Das Buch ist kurzweilig, wie das Leben selbst, heiter und traurig, ruhig und chaotisch und auch ein wenig weise. 

 

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Christiane Wünsche

Heldinnen werden wir dennoch sein

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Krüger

·         Broschiert ‏ : ‎ 448 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3810500533

#Heldinnenwerdenwirdennochsein

 

Leider enttäuschend

 

Angelockt von der Inhaltsangabe und weil ich die Autorin nicht kannte, begann ich neugierig, das Buch zu lesen. Leider dauerte es gar nicht lang, bis ich das Lesen abbrechen wollte, nur mein Pflichtgefühl zwang mich weiterzulesen. Zwar gewöhnte ich mich nach einer Weile an die Erzählweise, aber Freude hat mir die Lektüre leider gar nicht gemacht.

 

Fünf seit Jugendzeit an eng verbundene Freundinnen sind geschockt, als sie vom Selbstmord ihres damals zur Clique zugehörigen Freundes Frankie erfahren. Dieses Geschehnis ruft Erinnerungen hervor, die teils sehr quälend sind. Die Freundinnen beginnen zu reflektieren, was das Leben seit ihrer Jugendzeit aus ihnen gemacht hat und wie Vergangenes und eine unausgesprochene Schuldfrage bis in die Gegenwart hinein wirken.

 

Ich hatte die Erwartung, dass die großen angekündigten Themen wie Freundschaft, Loyalität, Schuld, Verlust, Homosexualität, Lebensentscheidungen in einer psychologisch klugen, tiefgründigen Weise anhand einer berührenden Geschichte behandelt werden. Doch leider blieb ich emotional völlig unberührt. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Jede der Freundinnen hat ein eigenes Bild von Frankie und der gemeinsamen Jugendzeit in Erinnerung und hatte jeweils ganz eigene Zukunftserwartungen. Dies wird durchaus gut dargestellt, aber dennoch so nüchtern-neutral, dass der Leser nicht berührt wird. Zusätzlich zu den Perspektivwechseln gibt es eingestreute Rückblicke an „früher“, die zwar dem Verständnis dienen, aber dennoch Verwirrung schaffen, weil dadurch immer mehr Personen auftauchen, die der Leser irgendwie einordnen muss. Die Dialoge wirken oft hölzern-konstruiert. Leider finden sich auch etliche sprachlich und grammatikalisch unsaubere Stellen. Am schlimmsten jedoch war für mich persönlich dieses häufige Verzetteln  in Beschreibungen von absolut nebensächlichen Dingen. Da wird zum Beispiel von irgendwelchen Großeltern berichtet, die im Buch keine Rolle spielen, auch nie mehr erwähnt werden. Dennoch wird berichtet, was und wie sie gerne E-Bike fahren… Dies nur als kleines Beispiel der ermüdend weitschweifigen Erzählweise mit unendlich vielen unnützen Informationen, die mir das Lesen völlig verleideten. Auch hätte ich von einer guten Autorin erwartet, dass die Beiträge, die Frankie selbst in den Mund gelegt werden, in einer zu ihm passenden feinfühlig-sensiblen Sprache geschrieben worden wäre, nicht so nüchtern wie ein Zeitungsbericht.

 

So war in der Gesamtschau dieser Roman für mich leider sehr enttäuschend.

 

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Claudia und Nadja Beinert

Das Juliusspital – Ärztin in stürmischen Zeiten

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Knaur TB

·         Taschenbuch ‏ : ‎ 512 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3426523773

#Das JuliusspitalÄrztininstürmischenZeiten

 

 

Band 2 des mitreißenden, gut recherchierten Medizin-Schmökers

 

Leider kam ich erst jetzt dazu, den 2. Band rund um das Julius-Spital und um Viviana und Henrike Winkelmann zu lesen. Von Band 1 war ich sehr begeistert, und mit genau der gleichen Begeisterung habe ich nun auch Band 2 verschlungen. Außerordentlich schade finde ich, dass auch Band 2 sowohl von der Covergestaltung als auch vom Buchtitel her eher  einen trivialen, kitschigen Roman suggerieren und damit die falsche Zielgruppe anlocken. Dass sich hinter den Buchdeckeln ein großartig recherchierter historischer Medizin-Schmöker verbirgt, der sich sowohl perfekt unterhaltend als auch mit Wissensgewinn lesen lässt, verrät sein Äußeres leider nicht.

 

In Band 2 begleiten wir Henrike in ihrem ungebrochenen Streben, ihr Recht als Frau durchzusetzen und zum Medizinstudium zugelassen zu werden. Ihr zunächst heimlicher Weg führt sie in die Irrenanstalt des Juliusspitals. Henrike möchte das Leid der Geisteskranken lindern. Doch das Schicksal legt ihr gewaltige Steine in den Weg…

 

 

Die promovierten Zwillingsschwestern Claudia und Nadja Beinert haben es erneut geschafft, auf äußerst lebendige und unterhaltsam-fesselnde Weise den Leser eintauchen zu lassen in die Zeit zwischen 1895 und 1903, in den Zeitgeist genauso wie in den Fortschritt in der Medizin, wie z. B. den Einzug der Röntgenstrahlen in die Diagnostik, aber auch den tödlichen Ausbruch der Tuberkulose. Man lernt sehr viel über den Stand der Medizin Ende des 19. Jahrhunderts, ohne dass auch nur eine einzige Seite langweilen würde. Mit Sympathie und Mitgefühl begleitet man den unendlich mühsamen und schwierigen Weg, auf dem Henrike versucht, ihren Traum auf Selbstbestimmung zu verwirklichen. Der sehr sorgsame Sprachstil passt perfekt zur geschilderten Zeit. Die sehr detailverliebte Erzählweise erleichtert das Ein- und Wegtauchen in die Geschichte und verrät, zumindest ansatzweise, wie viel sorgfältige Recherchearbeit hinter dem Roman steckt. Auch Band 2 hat mir sehr, sehr gut gefallen, er ist genauso mitreißend wie Band 1.

 

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Ladina Bordoli

Das Fundament der Hoffnung

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag

·         Broschiert ‏ : ‎ 368 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453424630

#DasFundamentderHoffnung

 

 Viel Gefühl, zu wenig Tiefgang

 

Mehrbändige Familien-Sagas sind gerade sehr in Mode. Wenn sie gut recherchiert sind, erfährt man neben den familiären Gefühlsgeschichten auch etwas über den historischen, landschaftlichen und beruflichen Hintergrund, sodass neben dem Unterhaltungswert auch ein wenig Wissenszugewinn das Lesen sinnvoll macht. Im vorliegenden 1. Band der Mandelli-Saga habe ich allerdings Mühe, diesen Wissenszugewinn zu entdecken.

Wir befinden uns im Jahr 1956 am Comer See. Aurora ist 19 Jahre alt, als ihr geliebter Bruder den Unfalltod stirbt. Der Vater, der zusammen mit seinem Sohn ein kleines Bauunternehmen führte, ist gebrochen. Um der Familie das Überleben zu sichern, versucht Aurora, die schon immer ein Faible für die Arbeit als Maurerin, als muratore, hatte, die Firma weiterzuführen und glaubt, am langjährigen Mitarbeiter Michele einen treuen Beistand zu haben. Doch Aurora scheint am gesellschaftlichen Druck zu zerbrechen…

Allem vorangeschickt sei, dass das Buch wunderbar zu lesen ist. Man wird von Anfang an von der Geschichte eingefangen und kann die Gefühle, die Aurora und ihre Familie bewegen, stets mitempfinden. Ladina Bordoli schreibt zwar in einer sehr malerisch-ausschmückenden und weitschweifigen Erzählweise, dennoch wurde mir beim Lesen nie langweilig. Schade fand ich, dass recht viele Klischees bemüht werden, was zum Beispiel beim schnellen Wandel des Michele vom hilfsbereiten, freundlichen Menschen zum extrem widerwärtigen, saufenden, jähzornigen Ekel sichtbar wird. Merkwürdig empfinde ich auch die Darstellung von Aurora, die eine emanzipierte Seite hat und sehr selbstsicher ihre Gestaltungsvorstellungen darlegt, andererseits aber so stumm-leidend und selbstunsicher in ihren Beziehungen ist. Und leider, leider wird über die Arbeit von Aurora wenig Substantielles berichtet. Nur über ihre außerordentlich besonderen Fähigkeiten, Gegebenheiten aufzunehmen und sofort im Geist Entwürfe der Umgestaltung präsentieren zu können, erfahren wir. Wissenszugewinn wie oben erwähnt, ist im Buch nicht zu finden, weder was die Örtlichkeiten, was die schwierige Zeit der Fünfziger Jahre noch was die schwere Arbeit der Muratore betrifft. Das Buch erschöpft sich in schweigendem Ertragen,  im detaillierten Beobachten und in diversen Gefühlslagen. Schön zu lesen, doch ein wenig mehr Tiefgang hätte dem Roman gut getan.

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Sigrid Nunez

Was fehlt dir

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Aufbau Verlag

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 222 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3351038755

·         Originaltitel ‏ : ‎ What are you going through

#Wasfehltdir

  

Spitzentanz in Clogs

 

Welch ein seltsames Buch. Ein Buch ohne roten Faden – oder doch? Ein Buch, das anmutet wie ein Ideen-Notizbuch, eine Sammlung von Gedachtem, Gelesenem, Gesehenem, zusammengetragen mit Willkür – oder doch nicht? Vielleicht passt am besten dieser Satz, den die Autorin selbst im Buch schreibt: „Die wichtigsten Dinge in Worte zu fassen, ist wie ein Spitzentanz in Clogs.“

Eine zusammengefasste Inhaltsangabe lässt sich nicht schreiben. Menschen tauchen auf den Buchseiten auf, sind Anlass für Wahrnehmungen und Fragen an sich selbst, dann verschwinden sie wieder. Die größte Konstante im Buch ist die an Krebs erkrankte Freundin, die auf ein selbstbestimmtes Ende besteht. Die Ich-Erzählerin lernt an ihr und an den anderen Begegnungen viele Formen der Lebenssicht und eine Ahnung davon, wie Empathie, wie genaues Zuhören die kostbarste Form des menschlichen Miteinanders ist.

Das Buch beginnt mit einem Vortrag, einer gnadenlosen Analyse des unumkehrbaren Versagens der Menschheit. Den Menschen fehlt der kollektive Wille, die Katastrophe (der eigenen Vernichtung) aufzuhalten. Zynisch-hoffnungslos. Es folgt sozusagen als Kontrapunkt eine Fülle an Miniaturen mit einer großen Bandbreite von Themen, kurzweilig, humorvoll, tieftraurig, teilweise mit beiläufig wirkenden Sätzen, die jedoch in Wahrheit sinngebend sind, allesamt Versuche, das Leben irgendwie hoffnungsvoller zu sehen. Langatmige Erzählungen von Buch- oder Filminhalten oder literarische „Querverweise“ wollen den erzählten Begegnungen und Geschichten zusätzliche Tiefe verleihen. Sigrid Nunez schreibt sezierend beobachtend, klug und belesen, mit einem leisen, entlarvenden Humor. Sie ist wie eine Frau, die einen Vorfall erzählen will, aber nie dazu kommt, weil ihr ständig neue Details einfallen, die sie auch noch erzählen will und dadurch nie zum Punkt kommt.

 

Mit dem Bild des Spitzentanzes in Clogs befreit die Autorin die Leser und Rezensenten von dem Versuch, ihr Buch umfassend zu verstehen. Empathie und genaues Zuhören reicht.

 

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Cynthia d’Aprix Sweeney

Unter Freunden

 

·         Herausgeber ‏ : ‎ Klett-Cotta

·         Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 352 Seiten

·         ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608984484

·         Originaltitel ‏ : ‎ Good Company

#UnterFreunden 

 

Das Leben ein einziges Theaterstück

 

Wenn man mehrere euphorische Lobeshymnen über ein Buch liest, schraubt das die Erwartungen ziemlich hoch. Aber was ist, wenn man nach eigener Lektüre die Lobeshymnen nicht nachvollziehen kann? Liegt es an mir? Verstehe ich das Buch nicht richtig? Habe ich eine völlig andere Vorstellung von „glänzender Unterhaltung“, von „mitreißenden Charakteren“? Fragen, die mich bewegen und die es mir schwer machen, eine Rezension zu schreiben.

Den Inhalt kann man sehr kurz zusammenfassen. Zwei eng befreundete Ehepaare, mehrheitlich Schauspieler, über viele Jahre vertraut miteinander, werden durch eine seit langen Jahren bestehende, bestgehütete, aber schließlich doch ans Licht kommende  Lüge an ihre Grenzen gebracht, ihre Beziehungen zueinander (und zu sich selbst) in Frage gestellt.

 

Keine Frage, Cynthia d’Aprix Sweeney schreibt gut. Sie hat die Gabe, seismographisch in Beziehungsgeflechte hineinzuschauen, vielleicht sogar durch sie hindurch und damit sie zu durchschauen. Und diese Gabe des sezierenden Blicks verpackt sie nicht in analysierende Worte, sondern in viele, viele kleine Szenen, alltägliche Szenen, im Grunde nichtssagende Szenen, die erst in der Summe ein Bild aller unausgesprochenen Wahrheiten ergeben. Und genau diese unendlich vielen puzzleartigen Einzelteile, realistisch erscheinend, unbedeutend wirkend, amerikanisch-oberflächlich, sind es, die mich beim Lesen so ermüden ließen. Zu viele amerikanische Labels, zu viele Namen von Personen, Songs, Orten, Künstlern, Gerichten, Getränken, die Amerikanern vertraut sein mögen, mir allerdings nicht, und damit in mir nichts auslösen außer gelangweiltes Darüberlesen. Aus den verschiedenen Perspektiven der Hauptpersonen wird geschildert, wie sich vertrautes Leben, in dem man es sich miteinander heimelig gemacht hatte, von einer Minute zur anderen in Nichts auflöst. Ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, eine alte Lüge, alles wird überlebt und dennoch beginnt in der Folge ein neues, ein wankendes, ein unsicheres Leben ohne doppelten Boden, ohne Sicherheitsnetz. Ein Thema, das man emotional spürbar, psychologisch tiefgehend hätte beschreiben können. Mir kommt das Buch jedoch vor wie ein zu detailreich inszeniertes Theaterstück, das sich um nichts als um sich selbst dreht. 

 

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Ashley Audrain

Der Verdacht

 

·         Herausgeber : Penguin Verlag

·         Gebundene Ausgabe : 320 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3328601449

·         Originaltitel : The Push

#DerVerdacht

 

 

Ein Debütroman von bedrückender Kraft

 

Eine Fülle von Begriffen fällt mir zu diesem Buch ein: beeindruckend, schaurig, kraftvoll, schonungslos, mitreißend, beängstigend, erschütternd, intensiv, bedrückend, spannend und lange nachwirkend. Kurzum: großartig.

 

Blythe bekommt endlich ihr Wunschkind Violet. Doch irgendetwas fühlt sich falsch an, wenn Blythe ihr Neugeborenes anschaut. Obwohl sie alle Liebe geben wollte, wächst mehr und mehr die Ablehnung, ja sogar Angst vor ihrem Kind, was ihr Mann Fox, der seine Tochter abgöttisch liebt, nicht begreifen kann. Doch Blythe wird sich immer sicherer, dass Violet böse ist, von Grund auf und mit voller Absicht. Bis etwas Entsetzliches geschieht…

 

 

Fast möchte ich diesen Roman einen Psychothriller nennen. Denn es liegt auf den Seiten von Beginn an eine unheilvolle Spannung, die sich zunehmend steigert. Wir lernen Blythe im Laufe des Buches sehr gut kennen, ihr großes Bemühen, alles gut und richtig zu machen, eine liebevolle, fürsorgliche Mutter zu sein. Wir erfahren von ihrer eigenen Kindheit und wir erfahren die Geschichte ihrer Mutter. Und je mehr man eindringt in die Vergangenheit, umso verschwommener wird die Sicht des Lesers auf Blythe in der Gegenwart. Was ist Realität? Was ist irreale Angst? Was diktieren frühe Traumata? Gibt es tatsächlich Kinder, die aus sich heraus von Geburt an böse sind, die von zerstörerischen Kräften getrieben werden? Das Thema Mutterschaft wird dem Leser ohne Weichzeichner in allen Facetten auf schonungslose Weise zugemutet, und dies in einer direkt-klaren Sprache, die unter die Haut geht. Eine aufwühlende Leseerfahrung!

 

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Katja Maybach

Die Modeschöpferin

 

·         Herausgeber : Knaur TB

·         Taschenbuch : 304 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3426525104

#DieModeschöpferin

 

In herausfordernder Geschwindigkeit erzählt

 

Weil die Autorin selbst ehedem als Model und Modedesignerin in Paris gearbeitet hatte, waren meine Erwartungen an das Buch hoch. Denn es geht um die Modeschöpferin Simonetta de Rosa, die 1961 in Rom wie besessen an ihrer neuen Kollektion arbeitet, um sie im Herbst auf einer fulminanten Modenschau präsentieren zu können. Sie erfährt, dass ihre Schwester Chiara, ebenfalls Modedesignerin, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat, offensichtlich auf Rache aus ist. Angeblich hat sie eine Affäre mit dem Partner von Simonetta. Und wie gelangen zwei ihrer streng geheim gehaltenen Entwürfe in die Hände eines amerikanischen Modehauses, das Massenware vertreibt? Misstrauen macht sich breit. Ein Mord lässt die persönliche Verunsicherung allerdings plötzlich unwichtig werden.

Ich empfand es als sehr interessant und bereichernd, tief in die Welt der Mode der Sechziger Jahre in Rom eintauchen zu können. Die Autorin schildert so lebendig und intensiv, dass ich ständig Bilder dieser Zeit vor Augen hatte, umso mehr, da ich selbst in dieser Zeit, damals im Teenie-Alter, Modezeitschriften und Filme mit allergrößtem Interesse verfolgte. Katja Maybach hat meiner Meinung nach den Geist der Zeit perfekt eingefangen, weit über die Mode-Perspektive hinaus. Denn einerseits gab es den Drang nach wachsender Freiheit, andererseits die gesellschaftlichen Einschränkungen und Verbote, die noch längst nicht alle in Frage gestellt wurden. In vielen Perspektivwechseln, die mir allerdings bisweilen zu rasch hintereinander erfolgten, wird die Handlung flott vorangetrieben. So rastlos, wie Simonetta arbeitet, so schreibt auch die Autorin. Sie eilt von Szene zu Szene in großem Tempo, wodurch ich mich zeitweilig geradezu gehetzt fühlte. Die komplizierte Beziehung zwischen den Schwestern wird geschickt und psychologisch nachvollziehbar beleuchtet, indem der Leser die Denk- und Sichtweise jeder der Schwestern vor Augen geführt bekommt. Ich habe diesen temporeichen Roman sehr gerne gelesen.

 

Fazit: Bilderreicher, in herausfordernder Geschwindigkeit erzählter historischer Familien-Roman aus der italienischen Modewelt. Sehr lesenswert.

 

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Sybille Schrödter

Schwestern fürs Leben

 

·         Herausgeber : Droemer TB

·         Broschiert : 496 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3426308165

#SchwesternfürsLeben

 

 

Frauenroman oder Familienepos oder historischer Roman?

 

Am liebsten würde ich dem Buch spontan die Überschrift geben: Ein reiner Frauenroman. Doch was ist ein „Frauenroman“? Heißt das, dass der Roman von Frauen gelesen werden soll, nicht von Männern? Oder hat der Begriff gar etwas Abwertendes im Sinn von „leicht lesbar, oberflächlich unterhaltend“? Oder geht es im Roman schlichtweg um Frauen? Von all dem stimmt alles ein wenig, aber nicht so ganz. Eher glaube ich persönlich, dass ein Frauenroman relativ unkritisch mit dem Rollenbild der Frau umgeht, was besonders leicht möglich ist, wenn man die Handlung in eine frühere Zeit verlegt. Zwar begehren die weiblichen Hauptpersonen auf oder suchen mehr oder weniger mühsam ihren individuellen Weg, aber sie stellen in der Regel gesellschaftliche Normen nicht generell in Frage, jedenfalls nicht in Romanen, die ich als „Frauenroman“ bezeichnen würde.

 

Es geht um die Schwestern Danneberg, die, so unterschiedlich sie auch sind, gefangen sind in der Familienstruktur des altehrwürdigen Rumhauses Danneberg. Von 1919 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgen wir ihre individuellen Lebenswege.

 

Eine nicht ausgewogene Komposition ist dieses Buch: Sich geradezu verlierend in breit ausgewalzten Details beginnt der Roman. Viele, viele Seiten lang ist er sehr zäh, fast langweilig zu lesen. Erst relativ spät im Buch strafft sich die Handlung, wird spannender, verliert aber gleichzeitig auch an Intensität, an Atmosphäre und verwirrt durch das Überspringen von Zeiten und Verläufen. So als würde ein Pianist erst ganz, ganz langsam Ton für Ton nacheinander spielen, um dann so blitzschnell zu spielen, dass etliche Töne gar nicht mehr gehört werden können. Die Protagonistinnen mochte ich allesamt nicht, fand keinen Draht zu ihnen. Sie waren psychologisch nicht schlüssig dargestellt. Am liebsten hätte ich ihnen immer wieder zugerufen „Selber schuld!“. Über Rum habe ich nicht viel gelernt. Und der historische Hintergrund blieb flach, diente nur als reine Fassade, weil er weder sprachlich noch gefühlsmäßig ernsthaft nachempfunden wurde. Ein Roman also, den man ohne größeren Anspruch gerne mal zwischendurch lesen kann, der aber keine tieferen Spuren hinterlässt.

 

 

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Sylvia Madsack

Enriettas Vermächtnis

 

·         Herausgeber : Pendragon

·         Gebundene Ausgabe : 288 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3865327499

#EnriettasVermächtnis

 

 

Gepflegter Schreibstil reicht nicht

 

Ein Buch, das ich irgendwie gerne gelesen habe, aber im Nachhinein nicht weiß, was ich mit dem Inhalt anfangen soll. Die Autorin hat Psychologie studiert. Also ging ich davon aus, dass sie die psychischen Verstricktheiten unter Menschen analysieren kann. Und doch ließ mich das Buch ratlos zurück.

 

Zum Inhalt: Die erfolgreiche Schriftstellerin Enrietta da Silva hinterlässt ein immenses Vermögen, das sie je zur Hälfte dem betuchten plastischen Chirurgen Emilio aus Argentinien und der durch einen Unfall gehandicapten Schauspielerin Jana aus Salzburg hinterlässt. Die beiden nähern sich an. Als überraschend der totgeschwiegene und zeitlebens ungeliebte leibliche Sohn  Armando auftaucht und ebenfalls sein Erbe beansprucht, ändern sich schlagartig die Verhältnisse unter allen Hauptpersonen…

 

Was an diesem Buch besticht, ist die außerordentlich schöne, sorgfältige Sprache. Es ist ein Genuss, diesem gepflegten Schreibstil zu folgen, der sehr gut zu der distanzierten Darstellung der einzelnen Personen passt. Diese werden zwar sehr detailliert beschrieben, bleiben aber dem Leser emotional fern. Ich hatte das Gefühl, ich würde aus einer gewissen Entfernung die Personen wie auf einer Bühne beobachten. Das in Aussicht gestellte Erbe veranlasst sie zu einem Spiel zu dritt. Sie kreisen umeinander, sie kreisen um Vergangenes und Gegenwärtiges. Sie nähern sich an und stoßen sich wieder ab. Aber mit welchem Ergebnis? Der Sinn des gesamten nüchtern-sachlichen Kammerspiels erschließt sich mir leider nicht.

 

 

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Mary Simses

Mein Glück in deinen Händen

 

·         Herausgeber : Blanvalet Taschenbuch Verlag

·         Taschenbuch : 400 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3734108549

·         Originaltitel : The Wedding Thief

#MeinGlückindeinenHänden

 

Leichte Kost, unterhaltsam und humorvoll

 

Manchmal darf es zwischendurch auch einmal ein Buch sein, dessen besondere Stärke darin liegt, den Alltag wegzuschieben und zu unterhalten, reine Unterhaltung, nichts sonst, ohne weiteren Anspruch.

 

Sara und Mariel sind zwei Schwestern, die sich nie wirklich verstanden. Mariel ahmte bereits von Kindheit an alles nach, was Sara anfing und machte es dadurch für Sara wertlos. Als Mariel Sara auch noch deren Freund Carter wegschnappt und die Hochzeit kurz bevorsteht, trifft das Sara so sehr, dass ihr allerlei Sabotage-Gedanken in den Sinn kommen. Doch wie meistens im Leben kommt alles ganz anders…

 

Vorweg: Besondere Erwähnung sollte die ausnehmend schöne Gestaltung des Buches finden. Eine farbig mit Blüten verzierte Schnittkante habe ich tatsächlich noch nie gesehen. Ein perfekter Hingucker, auch das Cover spricht an.

 

Mary Simses schreibt mit leichter Hand. Der lockere Schreibstil ist gefällig und gut zu lesen, die sehr detaillierten Schilderungen von Menschen und Örtlichkeiten lassen mühelos innere Bilder entstehen. Es fällt beim Lesen relativ leicht, sich in die Protagonisten einzufühlen, insbesondere mit Sara konnte ich gut mitempfinden. Spaß macht das Lesen zusätzlich durch die teils recht humorvollen bis komischen Szenen, auch wenn diese teilweise recht wirklichkeitsfern überzeichnet sind. Und ja, Mohnkuchen macht Krümel zwischen den Zähnen.

 

Fazit: Ein Buch, das man genießen sollte wie eine Praline – zwar ohne Nährwert, aber dennoch ein süßer Genuss.

 

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Gabriele Diechler

Die Roseninsel

 

·         Herausgeber : Insel Verlag

·         Taschenbuch : 464 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3458681328

#DieRoseninsel

  

Ein Buch wie eine wärmende Wolldecke

 

Es gibt (leider nur selten) Bücher, die legen sich wie eine wärmende Wolldecke um die Seele. Beim Lesen befindet man sich in einem Kokon des Wohlfühlens und des hoffnungsfrohen Denkens, den man am liebsten nicht mehr verlassen möchte. Doch auch nachdem man das Buch beendet hat, bleibt ein großes Verlangen danach, sorgfältiger und achtsamer mit Zeit und Menschen umzugehen und bewusst wieder aufmerksamer daran zu arbeiten, die finsteren Ecken des eigenen Seins zu erhellen. Somit ist Gabriele Diechler mit ihrem neuesten Roman „Die Roseninsel“ wieder etwas gelungen, was die vielen, vielen Lebenshilfe-Ratgeber nicht schaffen: Den Leser ein Stück weit stärker zu machen im Bemühen, „mit dem Strom des Lebens zu schwimmen, nicht dagegen.“

Es geht um die Buchhändlerin Emma, die an einem Lebensumbruch steht. Um sich selbst neu zu finden, reist sie nach England auf den Spuren ihrer verstorbenen Eltern und lernt in London zufällig Ava kennen, eine wohlsituierte, distinguierte ältere Witwe. Von ihr erhält Emma überraschend das Angebot, auf deren Anwesen Rosewood Manor in Cornwall die Bibliothek neu zu ordnen und den Buchbestand zu aktualisieren. Eine Aufgabe wie gemacht für Emma. Doch sie bleibt nicht lang allein auf Rosewood Manor, denn völlig unerwartet taucht Ethan, der Sohn von Ava, auf der Roseninsel auf. Er begegnet Emma schroff, ablehnend und verschlossen. Doch Emma spürt etwas Verborgenes hinter dieser abwehrenden Fassade und lässt sich nicht abschrecken. Dass sie sich schließlich einer besonders schweren Herausforderung des Lebens stellen muss, ahnt sie erst spät…

 

Was die Schreibweise von Gabriele Diechler auszeichnet, ist eine grundsätzlich herzerwärmende positive Sicht auf Menschen, auf ihr Handeln, Fühlen und Denken. Doch sie schreibt nicht nur so, sie ist so, Sie überträgt ihre dem Guten zugewandte Sichtweise, diese durch Schmerz gereifte positive Lebenshaltung auch in den persönlichen Kontakten, die ich selbst mit dieser besonderen Autorin erleben durfte. Und weil Gabriele Diechler schreibt wie sie ist, sind ihre Romane echt, frei von Kitsch, einfühlsam und stärkend. Der Leser fühlt sich geborgen in ihrer Buchwelt, in der es warmherzige, herzensgute und lebenskluge Menschen gibt. Und er fühlt sich selbst dazu ermutigt, jeden Tag als etwas Besonderes zu würdigen. Wenn man Gabriele Diechler liest, erfährt man, welch immense Kraft in Büchern stecken kann. Mehr geht nicht. 

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Astrid Seeberger

Nächstes Jahr in Berlin

 

·         Herausgeber : Urachhaus

·         Gebundene Ausgabe : 252 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3825152611

#NächstesJahrinBerlin

  

Poetisch und tief bewegend

 

Ein Buch, das den Verstand ebenso beansprucht wie das Gefühl. Ein Buch, das poetisch ist und politisch. Ein Buch, das mich tief bewegt hat. Ganz gewiss keine leichte Kost, aber purer Genuss für alle, die Sprache auf hohem Niveau zu schätzen wissen. Nicht der Leser verschlingt das Buch – das Buch verschlingt den sensiblen Leser mit Haut und Haaren.

 

Der Inhalt in aller Kürze. Die Mutter ist gestorben. Die Tochter beginnt auf- und auszuräumen und wird dabei hineingezogen in das erlittene Schicksal der Mutter während des Zweiten Weltkrieges, beginnend von der Flucht aus Ostpreußen bis zur Nachkriegszeit in Deutschland. Die Tochter verliert dabei – zu spät - zunehmend ihre langjährige innere Distanz zur Mutter, einer Frau, die bereits viele Jahre vor ihrem Tod an ihrem Schicksal zerbrochen war.

 

Astrid Seeberger schreibt atemberaubend gut. Schon vom grandiosen Roman „Goodbye Bukarest“ war ich hingerissen. Doch der vorliegende Roman ergriff mich noch mehr, wohl weil die Autorin hier sehr viel mehr von sich selbst preisgibt. Ich hatte das Bedürfnis, ganz langsam lesen zu müssen, Wort für Wort sorgsam einsammelnd, um nichts zu übersehen, nichts zu verlieren von den Gedankenbildern. Und es sind, wie im ersten Roman, gerade die Nebenbei-Sätze, die besonders schmerzhaft sind. Der poetisch schöne, bildreiche Schreibstil ist oftmals so treffend, dass er geradezu schmerzhaft in mein lesendes Herz hineinfuhr. Dass man vergangener Lebenszeit solch eine Stimme geben kann, dass selbst das Unscheinbarste zum Gleichnis oder zur Metapher wird, gibt dem Erleben und Erinnern eine unfassbare Tiefe, in allen Schattierungen. „Die Toten bleiben in unserem Leben zurück.“ Astrid Seeberger gestaltet den Bericht des Entsetzlichen, des eigentlich Unerzählbaren von Krieg und Flucht, vom Geruch der Angst und des Todes in einer Sprache, die präzise ist, ohne jegliche Larmoyanz. Mit genauem Blick verknüpft die Autorin Vergangenes mit der Gegenwart und lässt durch ihre Wortbilder das eigentlich Unsagbare des Schmerzes nachspüren. Aber es gibt auch Trost, so wie von der Großmutter überliefert, die verstand, „dass man wegsingen kann das, was wehtut“.

 

 

Ein anspruchsvolles, ein einfühlsames, ein ganz und gar wunderbares Buch.

 

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Callan Wink

Big Sky Country

 

·         Herausgeber : Suhrkamp Verlag

·         Gebundene Ausgabe : 378 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3518429839

#BigSkyCountry

 

 

Nein, nein, nein!

 

„Ein begnadeter Autor“ schreibt der Verlag. Überhaupt findet er gewaltige Worte für das Buch: „Ein Bildungsroman von atemberaubender Schönheit und Klarheit“ und „ein neues Meisterwerk“. Wow! Da fühle ich mich als sofort Leserin gedemütigt, weil ich offensichtlich zu dumm bin, um das Meisterwerk als solches zu erkennen.

 

August liebt die Arbeit auf der Farm, egal wie schwer sie ist. Als sich seine Eltern trennen und er mit seiner Mutter nach Montana zieht, fällt es ihm sehr schwer, sich in der neuen Umgebung einzugewöhnen. Falsche Freunde und Alkohol lassen ihn durch die Zeit treiben.

 

 

Nein sage ich zu der Bezeichnung „Meisterwerk“. Denn ich halte es mit Reich-Ranicki: Ein Buch darf nicht langweilen. Dieses Buch zu lesen war für mich langweilig, quälend langweilig auf der einen Seite, und auf der anderen Seite mehr als abstoßend, anwidernd, wenn Katzenschlachten und die Vergewaltigung betrunkener Mädchen als normale Vorkommnisse eines Farmeralltags dargestellt werden oder menschenverachtende „Weisheiten“ verkündet werden. Das Aneinanderreihen von einzelnen Szenen, ohne dass sie wirklich zu etwas führen, was einen Roman rechtfertigt, führt zu gähnender Langeweile. Wobei schon der vom Verlag gewählte Begriff „Bildungsroman“ für mich einen öden Text impliziert – vielleicht ein Schultrauma.  Aber wenn schon Bildungsroman, dann aber bitte auch richtig. Leider konnte ich nicht wirklich im Verlauf der 380 Seiten eine Entwicklung von geistiger und charakterlicher Bildung bei August feststellen. Er wird halt älter. Ansonsten war ich hauptsächlich als Leser damit beschäftigt, August mehr oder eher weniger interessiert bei der Farmarbeit in allen seinen Facetten zu beobachten. Wenn wenigstens die Sprache als solche etwas an sich hätte, das den Leser anspricht. Aber leider konnte ich nichts Erfreuliches finden. Die Sprache ist klar und einfach zu lesen. Mehr nicht. Deprimierend und öde war für mich dieses Buch, deshalb nicht empfehlenswert. 

 

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Michael Dangl

Orangen für Dostojewskij

 

·         Herausgeber : Braumüller Verlag

·         Gebundene Ausgabe : 480 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3992002979

#OrangenfürDostojewski

 

 

Was gewesen wäre, wenn - bravourös gelöst

 

Eine reale Stadt, nämlich das traumhaft schöne Venedig, wurde als Bühnenbild des Romans gewählt. Und eine fiktive Begegnung zwischen Dostojewskij und Rossini als Drehbuch. Das hat was. Und es war alles andere als einfach, was sich der Autor da vorgenommen hatte. Er hat die Aufgabe meiner Meinung nach mit Bravour absolviert.

 

Der kranke Fjodor Dostojewskij erfüllt sich einen langgehegten Wunsch, nämlich Venedig zu besuchen. Doch er findet keinen Zugang zu der Lebendigkeit und Lebensfreude der Stadt. Er findet sich nicht zurecht, versteht die Sprache nicht, bleibt weiter gefangen in Schwermut. Erst als er Rossini begegnet, diesem rein barocken Genussmenschen, sozusagen seinem Antipoden, erfährt Dostojewskij einen neuen Schub ins Leben, ins Genießen. Wobei auch intellektuelle Gespräche über Kunst und Können, über Kultur und Geschichte zur Freude dienen und die Annäherung dieser zwei so völlig unterschiedlichen Künstler durchaus auch komische Seiten hat.

 

Der vielschichtige Roman von Michael Dangl ist nicht geeignet zum reinen Konsumieren. Er verlangt nach dem Leser, der sich Zeit nimmt, der sich einfühlt und sich verführen lässt zu den Gedankenausflügen, die der Autor mit uns unternimmt. Wie gerne bin ich ihm gefolgt, weil man die immense Recherche-Arbeit auf jeder Seite neu und mit Hochachtung erspürt. Hier ist ein Schriftsteller nicht nur seiner Idee nachgefolgt, sondern hat diese Idee perfekt in Roman-Szene gesetzt, so überaus eindringlich, so lebendig, so plastisch und so intellektuell herausfordernd, dass ich mit zunehmender Begeisterung Seite um Seite las. Die Sprache ist mitunter etwas sperrig, mit Satzeinschüben das Lesen verkomplizierend, so als käme der Autor selbst aus der Zeit Dostojewskijs, als kenne er ihn aus persönlichen Begegnungen. Neben hinreißenden Bildbetrachtungen verzauberte mich der Autor mit seinem profunden Wissen, was Literatur, Malerei und Musik gleichermaßen betrifft, und mit seinem gewaltigen Talent, Geschehnisse und Personen zu intensivem Leben zu erwecken, sodass der Leser hautnah am Geschilderten teilnimmt. Dieses Buch ist ein Glücksfall für alle, die einen Roman zu schätzen wissen, der Sprache und Kunst und Intelligenz auf bestmögliche Weise verbindet.    

 

 

 

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Anke Gebert

Wo du nicht bist

 

·         Gebundene Ausgabe : 296 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3865326720

·         Herausgeber : Pendragon

#Wodunichtbist

 

Die Grenzen des Romanhaften

 

„Worte können erlebtes Leid niemals erschöpfend darlegen.“ So steht es irgendwo im Buch. Und genauso ist es. Die Autorin stößt mit ihrer Geschichte an die Grenzen des Erzählbaren. Umso mehr, da die erzählte Geschichte eine wahre Begebenheit ist. Und so bin ich streckenweise völlig gefangen im Buch, streckenweise jedoch bleibe ich als neutraler Beobachter außen vor.

 

Wir lernen Irma Weckmüller und ihre jüngere Schwester Martha im Berlin der späten 20er Jahre kennen. Irma arbeitet als Stoffverkäuferin im KaDeWe, Martha als Hausmädchen in einer begüterten Familie. Als Martha von ihrem Dienstherrn schwanger wird, lernt Irma auf der Suche nach Hilfe für ihre Schwester den Arzt und Juden Erich Bragenheim kennen und lieben. Doch der an die Macht kommende Nationalsozialismus verändert alles…

 

In verschiedenen Perspektiven erfahren wir von einer Liebe, so unfassbar stark, wie es wohl nur wenige Menschen erleben. Die Rückblicke in die Jahre ab 1929 in das Alltagsleben der beiden Schwestern, die Geburt des unehelichen Kindes, das Abgleiten der Schwester Martha in Lethargie und später in verblendeten Egoismus, das vorsichtige Sich-Annähern von Irma und Erich – diese Rückblicke sind lebendig, atmosphärisch dicht, nachvollziehbar und fesselnd, ebenso die Sequenzen ab 1945 im zerstörten Berlin und die verzweifelte Suche nach Erich, mit der Irma sich aufrecht hält. Die Autorin scheitert jedoch meiner Meinung nach in den Darstellungen der furchtbaren, der fürchterlichsten Gräueltaten der Nazis an Juden, an der kaum in Worte zu fassenden Entsetzlichkeit dessen, was Menschen in dieser Zeit ertragen mussten. Anke Gebert erzählt zwar schonungslos, aber dennoch bleibt der Leser oft außen vor. Es fehlt die wahre Intensität,  der penetrante Leichengestank, die Asche zwischen den Zähnen, es fehlen die grässlichen Schmerzen des Hungers und der grenzenlosen Angst. Es fehlt an Unausweichlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Zu glatt und nüchtern kommen diese schlimmen und allerschlimmsten Szenen auf den Leser zu. Es stimmt ja auch: „Worte können erlebtes Leid niemals erschöpfend darlegen.“ Dass Irmas Liebe zu Erich seinen Tod überdauert und sie geradezu besessen auf Legitimation beharrt, ist beklemmend und wohl nur aus der kämpferischen Stärke der Irma Weckmüller heraus zu verstehen.

 

Fazit: Ein lesenswertes Buch, das jedoch streckenweise an den Grenzen einer romanhaften Schilderung jener unsäglichen Zeit scheitert.

 



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Jana Lukas

Die Mühlenschwestern – Die Hoffnung wird dich finden

 

·         ISBN-13 : 978-3453424265

·         Taschenbuch : 496 Seiten

·         Herausgeber : Heyne Verlag

#DieMühlenschwesternDieHoffnungwirddichfinden

 

 

Unterhaltsames Lesefutter

 

Zwar habe ich Band 1 dieser Reihe nicht gelesen, doch empfand ich dies nicht als Nachteil. Sehr schnell fand ich hinein in die Familienstruktur der Mühlenschwestern. Auch gab es im Buch immer wieder Anmerkungen zu Details in der Vorgeschichte, die Aufschluss über in der Vergangenheit liegende Zusammenhänge vermittelten.

 

Rosa betreibt die Mühle am Sternsee zusammen mit ihrer Tante Lou mit Herzblut und ist glücklich und stolz auf ihren Beruf. Rosa, die als „Mittelkind“ unter den Schwestern früh gelernt hatte zu vermitteln und ausgleichend zu wirken, kommt allerdings an ihre Grenzen, als der Halbbruder ihres Freundes Julian ein Buch veröffentlicht, das ihre Person klischeehaft bösartig in den Schmutz zieht und damit sowohl ihr als auch dem Betrieb schadet. Zudem erfährt sie von den Affären ihres Freundes und setzt Julian deshalb kurzerhand vor die Tür. Doch David, der Halbbruder und Buchautor, bleibt im Berchtesgadener Tal und verursacht weiterhin allerlei Durcheinander…

 

Es passiert so allerlei mit den Mühlenschwestern und in ihrem Umfeld in diesem Buch. Und dies alles wird sehr unterhaltsam, abwechslungsreich und lebendig erzählt. Auch der Humor blitzt immer wieder durch. Über die 500 Seiten hinweg habe ich mich an keiner Stelle gelangweilt, habe viel Sympathie für (fast) alle Protagonisten entwickelt und mit ihnen mitgelitten, mitgestritten und mitgehofft, auch wenn ich mir gelegentlich ein wenig mehr Tiefe in der Geschichte gewünscht hätte. Mitunter stolperte ich auch über sprachliche Holpersteine und Wiederholung an Wortbildern. Am meisten störte mich jedoch, dass das Buch geradezu zwanghaft auf Band 3 zusteuert. Wenn man so deutlich spürt, dass man unbedingt Band 3 kaufen muss, ist man doch ein wenig verstimmt.

 

Fazit: Eine leichte, durchweg unterhaltsame Geschichte ohne großen Anspruch. 

 

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Claudia Wengenroth

Dort, wo die Zeit entsteht

 

 ·         Gebundene Ausgabe : 176 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3424351132

·         Herausgeber : Diederichs

#DortwodieZeitentsteht

  

Ein poetisch-tiefenpsychologisches Fundstück

 

Katharina ist eine junge Ärztin, die Klarheit in Regeln und Ordnung findet. Die Kapriolen des Lebens, besonders in ihrem Beruf, zehren an ihr. Und so zieht sie sich für ein paar Tage, in der Zeit der Rauhnächte zwischen den Jahren, in die alte Berghütte ihrer Familie zurück mit der Hoffnung auf Abstand. Irmelin, eine alte Bergbäuerin, passt seit vielen Jahren auf diese von der Familie scheinbar vergessene Berghütte auf, sie hütet sie hütet wie ihr Eigentum. Dass Katharina Zuflucht in der Hütte sucht, sich von der Berghütte geradezu eingeladen fühlt, lässt Irmelin aufhorchen. Katharina hat seltsame Träume und Irmelin erzählt ihr bei einem Besuch in der Hütte ebenso seltsame Geschichten. Denn die Zeit der Rauhnächte ist eine Begegnung mit der Wilden Jagd, mit Bergriesen und Waldzwergen, mit offenen Seelen und vielen anderen mystischen Bildern. In den Träumen von Katharina beginnt ein Weg der inneren Heilung.

 

Das Buch braucht den Leser, der sich Zeit nimmt. Der sich den Wörtern hingibt. Und dem es gelingt, die Doppeldeutigkeiten der inneren Erlebnisse zu entschlüsseln. Das Buch erzählt so langsam und bedeutungsschwer wie einer dieser französischen Filme der Nouvelle Vague aus den Sechziger Jahren. Das macht das Lesen anstrengend. Auch der Schreibstil ist fordernd. Die Sätze mit einem manchmal willkürlich scheinenden Aufbau jenseits der gewohnten Grammatikwege lassen nur langsames Lesen zu. Und doch habe ich das Buch als Genuss empfunden, wie ein langes und sehr intensiv-poetisches Gedicht, das aus sorgsam gesuchten Wörtern etwas vermitteln will, was Wörter letztlich aber nur in Bildern transportieren können. Wenn Irmelin die Fenster der Hütte öffnet, damit „das Haus Luft holen kann“ oder wenn Katharina eine Traum-Kellertreppe ins Unbewusste hinabsteigt und mit einem schmerzhaften Sturz allen Halt verliert, wenn der Rabe als mystischer Gestaltwandler den Weg weist und wenn die unterschiedlichen Energien des  Windes zu leben beginnen  – wenn all dies und noch viel mehr in einer solch dichterisch verdichteten Weise wie im vorliegenden Buch gestaltet wurde und der richtige Leser zum richtigen Zeitpunkt zu diesem Buch findet, dann ist genau das Wunder geschehen, das, selten genug, Büchern innewohnt.

 

 

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Valentin Moritz

Kein Held

 

 ·         Gebundene Ausgabe : 224 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3981808988

·         Herausgeber : Badischer Landwirtschafts-Verlag

#KeinHeld

  

Familiäre Wurzeln und Vielfalt des offenen Geistes

 

„Kein Held“ berichtet von einem, der vielleicht doch ein Held war. Der Großvater Josef Mutter - ein Held im Hinnehmen von Gegebenheiten, ein Held im Ertragen von Unabänderlichem, ein Held im Alltäglichen, ein Held mit Haltung. Und für mich gibt es im Buch noch einen Helden, nämlich den Enkel Valentin Moritz – ein Held im genauen Hinhören und Hinschauen, ein Held im Bewahren von Erinnerungen, ein sensibler Held. Das Vorwort von Stéphane Hessel: „Die schlimmste aller Haltungen ist die Gleichgültigkeit“ ist ideal gewählt für ein Buch, das den Leser nicht eine einzige Seite lang gleichgültig lässt.

 

Dass das Buch den Leser erst einmal verwirrt, mag beabsichtigt sein. Denn es beginnt mit einem zu Herzen gehenden Abschnitt aus dem Ende des Lebens des Großvaters, um dann auf dessen früheste Erinnerungen umzuschwenken und Kindheitserinnerungen des Enkels darunterzumischen. Es war schwierig für mich, bereits zu Beginn des Buches dem Großvater in seinen intimsten Zeiten des Sterbens nahe zu sein, um dann erst nach und nach von seinem Leben zu erfahren.  Also erst vom Sterben, dann vom Leben zu lesen, vom Abschied zum Beginn zu springen.

 

Da ist der Enkel schon seit Jahren der räumlichen und geistigen Enge seines südbadischen Heimatdorfes ins pulsierende Berlin entflohen, lebt sein ganz eigenes suchendes Leben und wird völlig überraschend mit der Vergangenheit konfrontiert, als sein Großvater ihn bittet, ihm bei der Niederschrift seiner Lebensgeschichte zu helfen. Und so schliddert er hinein in das bäuerliche, entbehrungsreiche Leben des Josef Mutter, in dem Arbeit den Tag bestimmt. Ein Leben, das durch die Erfahrungen vom Krieg, vom Afrikafeldzug  bis hin zur Gefangenschaft in Algerien und in den USA zu einer offen-geraden Haltung führte. Sehr authentisch werden diese Erinnerungen wiedergegeben, ganz geradeaus und direkt. Und dazwischen erzählt einer, der sein Leben zwei Generationen später zu stemmen versucht, nachdenklich, sensibel. Dass die Erinnerungen hin und her springen von Großvater zum Enkel und umgekehrt, teilweise sich fast übereinander zu legen scheinen, gewährt dem Leser einen ganz besonderen Blick auf das, was Familie ist, was Wurzeln sind, und wie unterschiedlich das Mitgegebene interpretiert werden kann im eigenen Lebensentwurf. Valentin Moritz erzählt mit verhaltenem Humor, mit leichtem Schmunzeln, manchmal in grober Umgangssprache, immer aber feinfühlig und mit Respekt. Kurzum: Lesenswert!

  

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Andrea Petkovic

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht

 

·         ISBN-13 : 978-3462054057

·         Gebundene Ausgabe : 272 Seiten

·         Herausgeber : Kiepenheuer&Witsch

#ZwischenRuhmundEhreliegtdieNacht

 

 

 

Das Spiel des Lebens – klug und literarisch interpretiert

 

Ich als lebenslanger Sportmuffel soll das Buch einer Tennisspielerin lesen? Ohne auch nur die minimalste Ahnung von Tennis zu haben? Kann nicht gut gehen, dachte ich. Sicher schrecklich langweilig, dachte ich. Doch wie so oft bei Vorurteilen: Ich hatte mich sehr, sehr geirrt! Ja, es geht um Tennis – auch. Und ja, es geht um das Leben einer Top-Ten-Tennisspielerin – auch. Aber es geht noch um so viel mehr.

 

In einzelnen Episoden, nicht immer chronologisch, erzählt Andrea Petkovic aus ihrer Kindheit und Jugend bis hin zu der sehr erwachsenen späten Entscheidung, Tennis einfach nur noch so aus Spaß zu spielen. Sie erzählt von Begegnungen, schwierigen und besonderen. Sie erzählt von den gewaltigen Anforderungen des Leistungssports und  von einer Psyche, die nicht  immer mithalten kann im Auf und Ab des Unterwegsseins. Sie gibt uns Einblick in das Gespaltensein eines Menschen, der zum Teil eine Serbin ist, zum anderen Teil Darmstädterin. Die nicht auffallen will und doch auffällt durch ihren zornigen Willen, immer und überall Beste sein zu wollen und die mit ungebändigter Wut reagiert, wenn etwas nicht so läuft, wie sie will. Sie erzählt vom Verlust der Kindheit, von Depressionen: „… mein Körper ausgeschabt, mein Herz ausgewrungen, meine Seele gekidnappt…“ Sie beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn mentale Stärke zum Sieg verhilft oder wie durch einen einzigen ablenkenden Gedanken plötzlich Selbstzweifel die Führung übernehmen. Und sie erzählt von Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen und mit ungewöhnlichen Büchern. All das beschreibt sie in einer überraschend literarisch kraftvollen Sprache, gewürzt mit einer guten Portion Ironie und Humor, selbstkritisch, messerscharf sich selbst und die anderen beobachtend.  Und so wie uns Andrea Petkovic eine Ahnung vom Tennisspielen vermittelt, so zeigt sie uns gleichermaßen eine Parabel vom Leben als solchem.

 

Kurzum:Ein kluges, kurzweiliges Buch das sich zu lesen sehr lohnt.

 

 

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Bas Kast

Das Buch eines Sommers

 

·         Gebundene Ausgabe : 240 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3257071504

·         Herausgeber : Diogenes

 

 

 

Einfache Sprache, einfacher Inhalt

 

 

Meine Erwartungen an das Buch waren hoch. Zum einen, weil ich den Diogenes-Verlag sehr, sehr schätze, zum anderen, weil die Werbung für das Buch viel verspricht. Was ich vorfand, war ein Roman, dem es an allem fehlt, was zu einem guten Roman gehört. Und wie ich werde, wie ich bin (Untertitel), hat mir Bas Kast auch nicht verraten.

 

Die Handlung ist simpel: Nicolas hat die Pharma-Firma seines Vaters übernommen und arbeitet viel, sehr viel, vielleicht zu viel. Und Nicolas hatte als Kind einen Onkel, den „Spinner der Familie“, der Geschichten schrieb, unangepasst war und an Nicolas glaubte. Als der Onkel stirbt und Nicolas seine alte Villa in den Weinbergen erbt, bringt das Nicolas zum Nachdenken bzw. zum Kritzeln in seinem Notizbuch und zu imaginären Gesprächen mit einem imaginären Romanhelden des Onkels. Und ratzfatz findet Nicolas sein kleines Kind süß, nimmt die kastanienbraunen Haare seiner Frau wahr, bringt seinen Mitarbeiter durch Ernennung zum Partner zum Weinen und schon ist alles gut.

Ich kann das Buch nicht ernst nehmen.

 

 

Die Summe an Plattitüden, die hier als „philosophisch“ verkauft werden sollen, die Oberflächlichkeit der Gedanken, die pseudopsychologisch „tief“ sein sollen, finde ich erschreckend. Das alles wird in einer uninspirierten, simplen Sprache erzählt, an keiner Stelle wirklich literarisch ausformuliert, dazu versehen mit zahlreichen Wiederholungen und recht kitschigen Schilderungen. Abgedroschene Weisheiten zuhauf. Auf der Suche nach etwas Positivem fand ich nur ganz wenige Passagen bzw. Geschichten in der Geschichte, die mir gefallen haben. Nein, dieses Buch kann ich einfach nicht ernst nehmen.

 

 

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Melanie Benjamin

Die Königin des Ritz

 

·         Gebundene Ausgabe : 384 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3426282557

·         Herausgeber : Droemer HC

·         Originaltitel : Mistress of the Ritz

#dieKönigindesRitz

 

 

Der spröde Schreibstil hält den Leser auf Distanz

 

Der Roman hat es mir nicht leicht gemacht. Denn er gibt sich nicht die Mühe, den Leser von Anfang an einzufangen. Im Gegenteil: Mit seiner distanzierten Erzählweise hält er die Leser auf Abstand. Nur wer durchhält, wird im späteren Verlauf durch Intensität, durch Eindringlichkeit,  durch Nähe und Gefühle „belohnt“.

Es geht um die wahre Geschichte von Blanche und Claude Auzello, die „das Ritz“ zur Zeit der Naziherrschaft führten, dieses Pariser Nobel-Hotel, das für den Inbegriff von Luxus steht. Zunächst gibt es viel Vorgeschichte, wechselnd aus Sicht von Blanche und Claude berichtet. Ein Ehepaar, wie es nicht unterschiedlicher sein könnte. Trotz ausführlicher Szenen blieb das Ehepaar jedoch für mich oftmals nicht nachvollziehbar in seinen Handlungen und beschriebenen Gefühlen. Und so wanderte ich mäßig gelangweilt durch die Seiten. Erst in der zweiten Hälfte des Buches begann ich aufzuwachen. Denn die Gratwanderung zwischen der Erfüllung von hochgefährlichen Aufträgen für die Résistance von Blanche und Claudes scheinbarer Dienstbarkeit für die im Ritz herumlungernden Nazis, um Blanche zu schützen, bringt Spannung, bringt Leben, bringt Gefühle ins Spiel.

 

Glanz und Glamour des Ritz werden ausführlich und vorstellbar geschildert. Viele, fast allzu viele Menschen kreuzen den Weg der Geschichte, viele verlassen ihn wieder, verloren in Belanglosigkeit. Im Gedächtnis bleibt vielleicht Coco Chanel, die „Zicke“, oder Göring, der unter Morphium stehend in Frauenkleidern tanzt. Die stärksten Stellen im Buch gelten den  entsetzlichen Nazi-Verbrechen und dem Mut des Sich-Widersetzens. Trotz der dramatischen Geschichte fand ich keine wirkliche Freude am Buch. Der spröde, fast mühsam zu nennende Schreibstil, den man sich als Leser erst erobern muss, bringt zwar viel Atmosphäre und Authentizität zum Ausdruck, aber wenig Nähe oder gar Gefühle für die Protagonisten. Insofern blieb mir das Buch insgesamt gesehen leider fremd. 

 

 

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Sophie Martaler

Die Erben von Seydell – Das Gestüt

 

·         Broschiert : 480 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3442491223

·         Herausgeber : Goldmann Verlag

#DieErbenvonSeydell

 

 

Perfektes Lesefutter mit Suchtfaktor

 

Hinter „Sophie Martaler“ verbirgt sich ein erfahrenes Autorenduo, lässt uns der Verlag wissen. Und in der Tat, die Erzählweise, der Aufbau der Geschichte, die Ausgestaltung der Personen zeigt, dass die Autoren ihr Handwerk verstehen. Der Roman ist perfekt kombiniert, mit ausreichend Gefühl und sehr viel Spannung versehen und hat somit alles, um den Leser im Genre Unterhaltungsromane leicht und gut zu unterhalten.

 

Im Band 1 „Das Gestüt“ geht es um die junge Witwe Elisabeth Clarkwell, die 1947 von ihrem Onkel zur Hälfte das Pferdegestüt Seydell in der Lüneburger Heide erbt. Elisabeth benötigt dringend Geld, möchte ihre Hälfte des Erbes verkaufen, doch der unbekannte Miterbe in Spanien, dessen Zustimmung sie benötigt, lehnt jeglichen Kontakt rigoros ab. In Rückblicken bis ins Jahr 1889 erfahren wir, wie die beiden Brüder Ludwig und Alexander, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, nach einem unüberwindlichen Zwist getrennte Wege gehen. Diese Wege, voll an Schicksalsschlägen, verfolgen wir mit Spannung…

 

Der Roman fesselt von Anfang an und legt im Verlauf der Geschichte immer mehr an Spannung zu. Obwohl die Szenerien und Ereignisse detailreich geschildert werden, gibt es keinen Moment der Langeweile beim Lesen, im Gegenteil. Die Geschichte ist reich an Gefühlen, aber auch an hochdramatischen Ereignissen. Die historischen Zeitbezüge sind, wie wir dem Nachwort entnehmen können, sorgfältig recherchiert. Die Protagonisten werden in ihren jeweiligen Persönlichkeiten psychologisch nachvollziehbar geschildert und lösen beim Leser intensive Gefühle der Abneigung oder Sympathie aus, was ein weiterer Pluspunkt des Buches ist.

 

Rundum: Ein Roman, der in seiner Lebendigkeit und Erzählfreude völlig gefangen nimmt und den Leser sehnsüchtig auf die Fortsetzung warten lässt.

 

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Lukas Hartmann

Der Sänger

 

·         Gebundene Ausgabe : 288 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3257070521

·         Herausgeber : Diogenes

#DerSänger

 

 Der kleine große Sänger Joseph Schmidt

 

Wer erinnert sich heutzutage noch an diesen grandiosen Sänger Joseph Schmidt, nur 1,54 m groß, dem aufgrund seiner Körpergröße die Opernbühnen verschlossen blieben, der aber als Konzert-, Film- und Radiosänger eine großartige Karriere hinlegte? Vielleicht kennt man noch am ehesten „Tiritomba“ oder „Ein Lied geht um die Welt“. Ich empfehle Ihnen sehr, sich Joseph Schmidt bei YouTube mit der Arie „Nessun dorma“ anzuhören. So bekommen Sie am ehesten eine Ahnung davon, wieso seine Stimme die Welt verzauberte.

Das vorliegende Buch befasst sich mit den letzten Lebensjahren des berühmten Tenors, dem die Frauen zu Füßen lagen, Joseph Schmidt,„the tiny man with the great voice“. Nach den Jahren größter Erfolge in Deutschland, Europa und Amerika ist Joseph Schmidt als Sohn orthodoxer Juden seit 1933 auf der Flucht vor den Nazis, von Wien nach Belgien nach Holland nach Frankreich. Schließlich schafft er es von der Auvergne aus in die Schweiz. Joseph Schmidt ist krank, schwer krank. Doch der Schweizer David fürchtet sich vor dem deutschen Goliath. Und so landet Joseph Schmidt trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung im Internierungslager Girenbad, erfährt keine wirkliche medizinische Hilfe und stirbt schließlich 1942, im Alter von nur 38 Jahren.

 

Lukas Hartmann versucht in seinem Buch, dem begnadeten Tenor während seiner letzten Lebensjahre intensiv nachzuspüren, indem er viel Platz lässt für Innenansichten, für Gedanken, für Erinnerungen, kurzum für die Tragik eines jüdischen Tenors, für den Gesang eine Form der  Frömmigkeit war, der sich durch seine Stimme Größe und Raum verschaffte. Und der in der Schweiz seine Stimme verliert und damit auch sein Kapital, seinen Glanz, seine Kraft der Verführung und der, obwohl er keine Hilfe erfährt, dennoch den Schweizern dankbar bleibt, weil sie ihn (im Lager!) aufgenommen haben. Obwohl sich Lukas Hartmann in einem etwas zähflüssigen, gefühlsarmen Schreibstil ausdrückt mit geradezu nüchtern-distanzierten Schilderungen, geht das Buch ans Herz. Aber es ist nicht nur eine Hommage an den Künstler Joseph Schmidt, es ist vor allen Dingen ein politisches Buch. Denn es ist eine Ohrfeige für die Schweiz während der NS-Zeit, und auch eine Ohrfeige für unser gegenwärtiges Europa und seine Flüchtlingspolitik. Ein Buch, das lange nachklingt…

 

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Wiebke von Carolsfeld

Das Haus in der Claremont Street

 

·         Gebundene Ausgabe : 368 Seiten

·         ISBN-13 : 978-3462054750

·         Herausgeber : Kiepenheuer&Witsch

#DasHausinderClaremontStreet

 

 

Ein Roman, der mich nicht berührte

 

Eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben, fällt mir schwer. Denn ich habe mir beim Lesen keinerlei Notizen gemacht wie sonst, Notizen, die mir üblicherweise das Formulieren der Rezension erleichtern. Ich habe nur gelesen und gelesen, das Erzählte lief wie ein Film vorbei. Und am Ende des Buches hatte ich nichts notiert, das mir aufgefallen wäre, nichts, das mich bewegt hätte. Buch zu, Geschichte vorbei. Zurück bleibt nichts.

Einzig der Prolog hatte mich gefesselt. Der 9-jährige Tom erlebt, wie der Vater die Mutter erschlägt und sich anschließend selbst tötet. Hier schlüpft die Autorin ganz in Tom hinein und sieht durch seine Augen das Entsetzliche. Doch diese Eindringlichkeit des Buchbeginns erreicht sie nachfolgend an keiner Stelle des Buches wieder. Tom ist schwer traumatisiert und spricht nicht mehr. Er  kommt zunächst zu seiner Tante Sonya, die in ihrem Perfektionismus und ihrer Unerfahrenheit im Umgang mit Kindern trotz allen Bemühens daran scheitert, einen Zugang zu Tom zu finden. Tom zieht um in die Claremont Street zu Tante Rose, einer chaotisch-unstrukturierten, aber liebenswerten Frau. Dort lebt auch Onkel Will, der Weltenbummler, der irgendwie nie erwachsen wurde.

 

Wiebke von Carolsfeld beschreibt detailreich, keine Frage. Man bekommt als Leser eine klare Vorstellung von den sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, von deren sehr unterschiedlichen Denk- und Sichtweisen. Und man sieht deutlich den ewig verstopften Küchenabfluss im Haus von Rose vor sich oder die glänzend sauberen Böden im Haus von Sonya. Man kann sich auf intellektueller Ebene durchaus die Intention der Autorin vorstellen, die davon berichten will, wie ein traumatisiertes Kind und die damit verbundenen Herausforderungen die Einzelpersonen, die einander irgendwie fremd waren, letztlich zu einer Familie mit gegenseitiger Akzeptanz, vielleicht sogar mit Liebe zusammenfügt. Aber eben nur auf intellektueller Ebene. Emotional berührte mich das Buch nicht, abgesehen vom Prolog. Ich sah den handelnden Personen nur von außen zu, empfand nicht mit ihnen. Sie blieben blass, und dass sich das Trauma von Tom von jetzt auf gleich auflöst, wirkt unglaubwürdig. Vielleicht liegen die eigentlichen Stärken der Autorin doch eher im Bereich Drehbuch-Schreiben bzw. Filmregie…

 

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Andreas Wagner

Jahresringe

 

·         ISBN-13 : 978-3426282502

·         Gebundene Ausgabe : 256 Seiten

·         Herausgeber : Droemer HC

#Jahresringe

 

 

Einerseits – andererseits

 

Einerseits ein Buch, das mich durch den Schreibstil beeindruckt hat - andererseits ein Buch, dessen Themenbogen für mich zu weit gespannt war und damit sich selbst verlor.

Leonore Klimkeit landet in ganz jungen Jahren nach ihrer Flucht aus Ostpreußen in einem kleinen Dorf in der Gegend zwischen Köln und Aachen. Dort wird sie nie akzeptiert, auch nach vielen Jahren begegnen ihr die verbohrten Einheimischen mit Wegschauen oder Misstrauen. Als ihr Sohn Paul 12 Jahre alt ist, muss das gesamte Dorf dem Braunkohle-Tagebau weichen. In einer Neubausiedlung am Rand der Kreisstadt bleibt Leonore Familienmittelpunkt, auch für die späteren Enkel Jan und Sarah. Jan steuert tagaus tagein den gigantischen Schaufelradbagger, der sich durch die Natur frisst. Sarah wird zur Waldbesetzerin und lebt dauerhaft in einem Baumhaus.

Tatsächlich wie in Jahresringen umkreist der Leser die vielfältigen Themen des Autors. Am beeindruckendsten empfand ich dabei den Jahresring 1946 – 1964, der das Leben der Leonore Klimkeit nach ihrer Zuflucht in dem kleinen Dorf nahe des Hambacher Forstes beschreibt. Nicht die Menschen, nicht das Dorf, nur der nahegelegene Wald gibt ihr ein Gefühl von Heimat. Diese Zeitspanne wird für mein Empfinden am eindringlichsten beschrieben. Die späteren Jahresringe 1976 – 1986 und 2017 – 2018 bleiben dagegen, insbesondere was die Schilderung der Personen betrifft, viel blasser. Immer mehr wird die erzählte Geschichte als Diskussionsbasis des Für und Wider der Naturzerstörung zugunsten des Braunkohleabbaus benutzt und verliert damit die anfängliche Intensität und atmosphärische Dichte. Das ist schade, denn die Stärke des Autors liegt meiner Meinung nach in seiner Fähigkeit, sehr fein zu beobachten. Wie zum Beispiel Andreas Wagner die große Anlage der kleinen Welt einer Modelleisenbahn beschreibt, ist hinreißend.

 

Vielleicht wollte der Autor zu viel. Denn das Buch ist ein Familienroman über drei Generationen einerseits, an vielen Stellen atmosphärisch dicht geschildert, andererseits geht die Intensität durch die Vielzahl der Themen wieder verloren.

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Susanne Kerckhoff

Berliner Briefe

 

·         Gebundene Ausgabe: 128 Seiten

·         Verlag: Verlag Das Kulturelle Gedächtnis

·         ISBN-13: 978-3946990369

#BerlinerBriefe

 

 

 

Buch lässt mich vor verschlossenen Türen stehen

 

Die Ankündigung des Verlages und die überschäumenden Lobeshymnen der Presse („Eine literarische Sensation“) haben mich auf das Büchlein aufmerksam gemacht. Aber ich habe keinen Zugang zum Inhalt gefunden trotz der lobenswerten Informationen des Herausgebers Peter Graf. Das mag an mir liegen, an meinen falschen Erwartungen, an meiner mangelnden politischen Bildung.

 

 

Unter „Briefroman“ stelle ich mir etwas anderes als was, was ich vorfand. Die Sammlung von Briefen, die „Helene“ an ihren nach Paris emigrierten jüdischen Freund Hans gerichtet hat, bleiben ohne Antwort. Es gibt keine Schilderungen, keine Farbigkeit, keine Diskussion. Die Briefe sind im Grunde, so wie ich sie verstehe, lediglich theoretische Auseinandersetzungen mit Krieg und Freiheit, mit Feminismus und politischen Gesinnungen, eine Art innerer Selbstbefragung vielleicht, die aber leider für mich oft in allzu belehrender Weise formuliert ist. Da ich mangels detaillierter politischer Kenntnisse die Briefe/Meinungen von Helene nicht einordnen kann, bleibe ich bei dem Buch sozusagen vor verschlossenen Türen stehen. 

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Shilpi Somaya Gowda

Was uns verbindet

 

·         Taschenbuch : 432 Seiten

·         Originaltitel : The Shape of Family

·         ISBN-13 : 978-3462054330

·         Herausgeber : KiWi-Taschenbuch

#Wasunsverbindet

 

Ein leises, ein starkes Buch

 

Nein, spannend im üblichen Sinn ist das Buch nicht. Es erzählt ruhig, fast möchte ich sagen sachlich-distanziert. Und doch war die Lektüre für mich von Anfang bis Ende fesselnd, packend, berührend.

Die Grundhandlung ist schnell erzählt. Eine kanadische Familie wird in ihren Grundfesten erschüttert, als das jüngste Kind Prem in einem unbeaufsichtigten Moment im Gartenpool ertrinkt. Jaya, die Mutter, die aus Indien stammt, kann nicht mehr arbeiten, driftet ab in Meditation und in religiöse Riten. Keith, der Vater, führt sein eigenes Leben mit viel Arbeit und wechselnden Geliebten. Karina, die große Schwester von Prem, die eine innige Beziehung zu ihrem Bruder hatte, gibt sich die Schuld an seinem Tod und geht einen besonders schweren Weg.

Der Autorin ist es auf leise  und sehr intensive Weise gelungen, die unterschiedlichen Wege, die die Familienmitglieder nach der Tragödie gehen, aufzuzeichnen. Besonders genau verfolgen wir den Weg von Karina, der von innerem Abgestorben-Sein über blindes Vertrauen zu verschiedenen Verführern hin bis zu zu langsamem Sich-Öffnen für eine hoffnungsvolle Zukunft geht. Mit tiefem psychologischem Verständnis und großem Einfühlungsvermögen, ohne jegliche Larmoyanz, erzählt die Autorin die völlig unterschiedlichen Verarbeitungswege der einzelnen Familienmitglieder, die es erst einmal auseinanderreißt, um Jahre später mit gereiftem Blick neu aufeinander zugehen zu können. Auch der krasse kulturelle Unterschied zwischen Indien und Kanada, zwischen Jaya und Keith, spielt eine wichtige Rolle, umso mehr als sich Karina, die beides in sich trägt, von dieser Diskrepanz schier zerrissen fühlt und erst viel, viel später den darin liegenden wahren Reichtum wahrnimmt. Die detailfreudige und atmosphärisch dichte Erzählweise nimmt gefangen. Ein geschickter Dreh der Autorin ist, gelegentlich aus der Perspektive des toten Prem, der ohne eigene Entwicklung, seine Familie jedoch genau beobachtend, zu berichten.

Ein leises und starkes Buch für Leser, die gerne empathisch und ruhig einer psychologisch klugen Geschichte folgen mögen. Mich hat das Buch sehr bewegt.

 

 

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Alyson Richman

Das Zimmer aus Samt

 

·         Taschenbuch: 448 Seiten

·         Verlag: Diana Verlag

·         ISBN-13: 978-3453360679

·        Originaltitel: The Velvet Hours

#DasZimmerausSamt

 

Eine Huldigung an Kunst und Schönheit

 

Der Originaltitel „Die samtenen Stunden“ trifft den Roman viel besser als der deutsche Titel, denn Samt wird im amerikanischen Titel als bildhafte Beschreibung von besonders weichen und besonders wertvollen Stunden gebraucht, nicht so prosaisch wie ein Zimmer, das mit Samtkissen oder Samtvorhängen ausgestattet ist. Noch selten habe ich einen  Roman gelesen, der auf so beeindruckende und sehr sinnliche Weise der Schönheit und der Kunst huldigt. Es lohnt sich das Gemälde von Giovanni Boldini, Portrait de Madame de Florian, das im Buch eine zentrale Rolle spielt, im Internet anzuschauen, um nachzuvollziehen, wie perfekt die Autorin dieses Bild, sein Entstehen und seine die Zeiten überdauernde Wirkung schildert. 

Zum Inhalt: Zwei Zeitstränge tun sich auf: Paris 1888: Es wird von Marthe erzählt, einer Frau, die in Armut aufgewachsen war, Schneiderin gelernt hatte und schließlich zum Besitz ihres Liebhabers und Gönners Charles wurde, der ihr bis zu seinem Tod in Liebe verbunden blieb. Sie lebte von seiner Großzügigkeit in einer luxuriösen Wohnung und stattete die Räume im Laufe der Jahre mit ihrem besonderen Sinn für Ästhetik mit wertvollen Gegenständen und Gemälden aus. Im Jahr 1938 lernt Solange als angehende Schriftstellerin erstmalig ihre Großmutter Marthe kennen. Während außerhalb der Wohnung die Bedrohung durch Krieg und Besetzung umgeht, hört Solange den Geschichten ihrer Großmutter zu. Die Stunden, in denen Marthe erzählt, sind für Solange „Stunden wie Samt“, weit weg von dem sich ausbreitenden Faschismus, der kalten Wirklichkeit. Eine Haggada, ein jüdisches Buch aus dem 14. Jahrhundert, rettet schließlich das Leben mehrerer Juden, auch das von Solange und ihrem jüdischen Verlobten.

 

Die Autorin ist eine Geschichtenerzählerin par excellence. Ihre Fähigkeit, detailreich und vor allen Dingen sehr sinnlich ihre Schilderungen auszuschmücken, lassen beim Leser fast kinoreif innere Bilder entstehen, Bilder voller exquisiter Schönheit. Das Buch wirkte in mir noch lange nach, denn gerade der Kontrast einer bewegenden Geschichte in Kriegswirren mit unendlichem Leid und der die Zeiten überdauernden malerischen Huldigung an das Schöne hinterließ in mir einen tiefen Eindruck. Absolut lesenswert!  

 

 

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Maria Peters

Die Dirigentin

 

       Gebundene Ausgabe: 336 Seiten

·         Verlag: Atlantik

·         ISBN-13: 978-3455009606

#DieDirigentin

 

Musik kennt kein Geschlecht

 

Die Autorin spürt im vorliegenden Roman dem Werdegang von Antonia Brico nach, die als Musikbesessene von Kindheit an darum kämpfte, ihre Passion leben zu dürfen, nämlich Musik zum Leben zu erwecken als Dirigentin. „Man ist … selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt“, sagte Gustav Mahler. Und so, genau so empfand Antonia Musik.

Das Leben der Antonia Brico beginnt als das „eingekaufte“ Adoptivkind Willy Wolters in einem lieblosen Elternhaus. Selbst als Erwachsene muss sie ihr selbstverdientes Geld als Schreibkraft an die „Klimperfrau“, ihre Adoptivmutter, abgeben. Wie sich Willy Wolters alias Antonia Brico im Laufe ihres Lebens emanzipiert und sich mit Zähigkeit, geradezu Verbissenheit durchsetzt, das männliche Bollwerk der Musikschaffenden zu stürmen, ist tief beeindruckend.

 

Dass Maria Peters eigentlich Filmschaffende ist, merkt man dem Buch an. Denn sie schreibt in einzelnen Szenen, nicht erzählend, sondern eher bebildernd. Der Schreibstil im Präsens machte mich beim Lesen irgendwie atemlos, und der Gleichmut, in dem sie berichtet, ebenso. Die Sprache ist klar, manchmal geradezu hart vor Klarheit. Kurze Sätze ohne viel Drumherum. Sensibel, fast verschwörerisch fein wird die Sprache nur, wenn von Musik die Rede ist. Allerdings konnte ich zur Persönlichkeit der Antonia Brico keinen emotionalen Zugang finden, was vermutlich an der nüchternen, sachlich-kühlen Erzählweise liegt. Was mir von diesem Buch haften bleibt, ist die männliche Hybris, die bis heute (!) Dirigentinnen keinen würdigen Platz einräumt. 

 

 

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Gilly Macmillan

Die Nanny

 

·         Broschiert: 448 Seiten

·         Verlag: Blanvalet Verlag

·         ISBN-13: 978-3764507176

#DieNanny 

 

Nichts ist wie es scheint. Oder doch?

 

„Roman“ steht auf dem sehr passend gestalteten Cover. Aber dieser Roman  ist sowohl vom Schreibstil als auch von der Spannung her eher ein Thriller. Einmal begonnen zu lesen, konnte ich nicht mehr aufhören!

Jocelyn, genannt Jo, war sieben, als ihre geliebte Nanny Hannah über Nacht ohne irgend eine Erklärung verschwand. Was die kindliche Welt von Jo völlig ins Wanken brachte. Denn ihre Kindheit war zwar von Luxus geprägt, aber ohne mütterliche Wärme und Zuwendung. Dreißig Jahre später, nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes, kommt Jo zusammen mit ihrer Tochter Ruby zurück in das elterliche Herrenhaus Lake Hall, in dem ihre Mutter Virginia wie eh und je hochherrschaftlich residiert. Das Zusammenleben birgt Konflikte ohne Ende. Als im See, der an das Anwesen grenzt, ein Totenschädel gefunden wird, wächst das Misstrauen allüberall. Und als schließlich eine Frau auftaucht, die behauptet, sie sei Hannah, Jo’s Kindermädchen von früher, reagiert Jo naiv-überglücklich und will nichts wissen von Virginias Warnungen und Zweifeln. Wo aber liegt die Wahrheit?

Weil im Präsens geschrieben, rückt die Handlung dem Leser sehr nahe, man nimmt unmittelbarer an den Geschehnissen teil. Zeitsprünge und Perspektivwechsel, beliebte Stilmittel bei Thrillern, fordern permanent die Aufmerksamkeit des Lesers. Gerade die Tatsache, dass wir sowohl aus der Sichtweise von Jocelyn als auch von Virginia die Schilderungen aus Vergangenheit und Gegenwart verfolgen, dringen wir als Leser tief in die jeweilige Situation und in die jeweilige Persönlichkeit ein. So glauben wir, die beiden besser kennen zu lernen und genauer zu wissen, was wirklich geschehen ist. Die kurzen Sequenzen aus der Sicht von Detective Andy Wilton sind erholsame sachlich-nüchterne Einschübe. Erschreckend insgesamt, wie wenig empathisch und wie emotionsarm letztlich alle Protagonisten miteinander umgehen, was das Misstrauen des Lesers schürt. Aber die Kunst der Autorin liegt darin, uns dennoch permanent zu täuschen. Was ist Erinnerung? Was ist Wunschdenken? Was ist Traum? Und was ist Wirklichkeit? Je weiter man liest, desto verwirrender werden die Dinge. Jede der handelnden Personen vermischt ihre vermeintlich objektiven Wahrnehmungen und Erinnerungen mit Sehnsüchten, Hoffnungen und Gewissensaspekten. Nichts ist wie es scheint. Oder doch?  

 

Ein von Anfang bis Ende durchweg spannend-faszinierender Roman, versprochen!

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Andreas Schäfer

Das Gartenzimmer

 

·       Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

·         Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

·         ISBN-13: 978-3832183905

#DasGartenzimmer

 

Ein Haus und ein Buch mit einem Sog wie Sirenengesang

 

„Das ist ein guter Ort“  sagte der Journalist Sanders 2001 zur Villa Rosen. „Und das ist ein gutes Buch“, möchte ich hinzufügen.

Der in späteren Jahren zu Weltruhm gelangende Architekt Max Taubert wird 1909 von Professor Adam Rosen und seiner Frau Elsa beauftragt, in Berlin-Dahlem ein Haus zu entwerfen. Sein erster Auftrag! Es entsteht ein neoklassizistisches Landhaus, dessen viele durchdachte Details und Einbauten die Hingabe des Architekten verraten. 100 Jahre später entdecken Frieder und Hannah Lekebusch das leerstehende Haus, restaurieren es aufwändig, um das  Haus in seinem Originalzustand wieder zum Leben zu erwecken. Damit erringen sie viel Aufsehen bei Taubert-Fans, Journalisten und Künstlern. So könnte man ganz oberflächlich den Buchinhalt erzählen. Doch das Buch ist so viel mehr als diese dürftige Zusammenfassung vermuten lässt!

Villa Rosen ist ein Haus, das sich wie ein Schiff durch die Zeiten pflügt, ungerührt von den Ereignissen. Auch wenn der Autor feinsinnig von den Menschen berichtet, die mit dem Haus in Berührung kommen -  niemals lässt sich das Haus in den Hintergrund des Lebens schicken. Geradezu beängstigend drängt es sich immer wieder fordernd ins Zentrum. „Häuser sind Diven…“,  sie verteilen freigebig Schutz und Schönheit, aber fordern auch Fürsorge und Rundumbetreuung. Welch ein beeindruckender Kunstgriff, der Andreas Schäfer mit diesem Roman gelungen ist. Wir wandern im Haus umher und wandern gleichzeitig durch die Zeitläufte zwischen Weimarer Republik, Nazi-Herrschaft und Gegenwart. Die Chronologie wird in den Erzählsequenzen immer wieder gebrochen, einzig das Haus ist konstant. Die Villa Rosen erscheint mir wie ein bewegtes Bühnenbild, vor dem sich das Leben abspielt, laut und leise, dramatisch und verhalten, sehnsüchtig und übersättigt, immer aber wunderbar poetisch in Worte gefasst.  Und ich werde beim Lesen das Gefühl nicht los, dass sich das Bühnenbild, das Haus, tatsächlich einmischt, für manch unbeobachteten Moment sogar die Schicksalsfäden übernimmt.

 

Ich ging durch das Buch wie durch eine Gemäldegalerie. Ich sah Bild um Bild vor mir, mit Worten, teils erstaunlichen Worten, gemalt. Da sieht man das Bild des Botschafters mit seinen „gefräßigen Augen“.  Oder das Fragen aufwerfende Bild eines Gartens, in dem Pfingstrosen und Astern gleichzeitig blühen (S. 87). Oder das Horror- Bild gelblicher Augäpfel in Gläsern zu Forschungszwecken gefangen. Momentaufnahmen. Sensibel, feinfühlig, poetisch gezeichnet. Der Roman möchte mehrfach gelesen werden. Ich bin sicher, dass das Haus von Mal zu Mal weitere Räume offenbart. 

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Nicole Winter

Die Dünenvilla

 

·         Taschenbuch: 448 Seiten

·         Verlag: Knaur TB

·         ISBN-13: 978-3426524060

#DieDünenvilla

 

Erstlingsroman mit großer schriftstellerischer Kraft

 

Wer versteckt sich hinter dem Pseudonym? Wer schreibt solch malerische, mit allen Sinnen erlebbare Schilderungen? Wer verfügt über solch intensive Ausdruckskraft beim Beschreiben von Natur und innerseelischen Befindlichkeiten gleichermaßen? Neugierig war ich zu erfahren, wer hinter dem Pseudonym Nicole Winter steckt. Leider blieb es bei der einzigen Information, dass es sich um eine nach Kanada ausgewanderte Hamburgerin handelt, die als Literaturübersetzerin an den Quellseen des Yukon River in der Wildnis lebt. So ist zumindest die Thematik dieses Buch-Debuts, etwas verständlicher, nämlich dass sie eine opulente Auswanderer-Saga einer deutschen Arzt-Familie an die Ostküste der USA geschrieben hat.

1884. Nach einer Schiffshavarie, die die Familie des deutschen Arztes Friedrich Böhm nur knapp überlebt, bleiben die Familienmitglieder in Martha’s Vineyard, dem „Sylt der US-Ostküste“. Dort will Friedrich Böhme ein Sanatorium für Lungenkranke oder an Hysterie erkrankte Damen etablieren. Sohn Thomas bleibt nur ungern. Er ist nur widerwillig Arzt, denn er möchte viel lieber in Harvard Psychologie studieren, ist jedoch abhängig vom Vater, der ihm diesen „Unsinn“ ausreden will. Tochter Sophia, still, in sich gekehrt, intelligent und wissbegierig, fühlt sich aufgrund ihres gelähmten Beines perspektivlos und keines Mannes würdig. Deren Zwillingsschwester Julia ist ungestüm, eine wilde Reiterin, die sich nur wenig an die Konventionen der Gesellschaft hält. In der Nachbarschaft hat sich ein Naturforscher niedergelassen, der sich der Nachzucht der fast ausgestorbenen Wandertauben verschrieben hat. Er ist fasziniert von Sophia, doch wagt es nicht, ihr seine Gefühle zu offenbaren.

 

Viele Fragen tragen die erzählte Geschichte. Was bewirkt Fortschritt im Guten und im Bösen? Was treibt uns Menschen an und was behindert uns in unserer Weiterentwicklung? Was hilft es, den Körper zu stärken, wenn die Seele schwächelt? Und viele weitere Themen kommen im Buch zusammen. Tiere gehen der Welt verloren, weil der Mensch zukunftsgläubig die Natur ausbeutet. Das Amerika Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Aufbruchsstimmung mit zunehmender Entwicklung technischer Erfindungen und Neuerungen, traditionell lebende Einwohner des Wilden Westens und die Zuwanderung vieler Siedler, die Fuß zu fassen versuchen – all dies verknüpft sich zu einem spannenden Konglomerat, konfliktreich und schöpferisch gleichermaßen. Zwar bekommt dieser besondere Zeitgeist im Buch durchaus seinen Platz, aber für mein Empfinden wird der historische Aspekt zu sehr überlagert von den Schilderungen der einzelnen Familienmitglieder und ihren jeweiligen Unsicherheiten, gelegentlichem Aufbegehren, vergeblichen Wünschen und passivem Hinnehmen der Gegebenheiten. Obwohl der Roman durchweg gut zu lesen ist, ergeben sich einige Längen gerade durch die ewig zaudernde Sophia. Vielleicht gibt es auch manchmal ein wenig zu viel Überschwang der Gefühle, zu viel Dramatik, zu viel an Unausgesprochenem. Dennoch halte ich diesen Erstlingsroman für einen sehr gekonnten Beweis der großen schriftstellerischen Kraft von Nicole Winter. 

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Minna Lindgren

Spätsommer ist auch noch Sommer

 

 

·         Broschiert: 320 Seiten

·         Verlag: KiWi-Paperback

·         ISBN-13: 978-3462052640

#SpätsommeristauchnochSommer

 

Ideale Mischung zwischen Humor und Tiefgang

 

Die Autorin kannte ich bislang nicht. Doch der treffliche Titel zog mich an. Und was soll ich sagen: Das Buch war für mich eine echte Entdeckung. Wunderbar, wie die Autorin mit leichter Hand und einer lächelnden Schreibfeder, dazu in finnischer Freizügigkeit, erzählt von einer Lebenszeit, die - zumindest zeitweilig - gar nicht so lustig ist. 

 

Ulla, 74,  pensionierte Zahnärztin, hatte über 10 Jahre ihren ungeliebten Mann Olli rund um die Uhr gepflegt. Ihre erste Tat nach dem Tod von Olli, überhaupt ihre erste Aktivität für sich selbst nach den langen Jahren der Pflege, ist ein Friseurbesuch mit allem Drum und Dran. Im nächsten Schritt nimmt sie Kontakt auf mit ihren alten Freundinnen Hellu und Pike, die sie trotz der jahrelangen Vernachlässigung wieder freudig in ihre Runde aufnehmen. Auf der Suche nach allem, was Spaß macht, wird nichts ausgelassen. Das ruft in den Kindern von Ulla größte Besorgnis hervor, denn „Mamilein“, die Greisin, scheint in deren Augen offensichtlich an fortschreitender seniler Demenz zu leiden… 

 

Der Roman ist ein offenherziges und warmherziges Plädoyer dafür, auch in fortgeschrittenen Jahren das Leben Tag für Tag bewusst zu genießen. Heiter und beschwingt führt uns die Autorin anhand der drei Freundinnen durch deren verschiedene Versuche, alles auszuprobieren, was gefällt oder vielleicht letztlich auch nicht gefällt, wie zum Beispiel die missglückten neuen Augenbrauen, mit denen man aussieht wie Leonid Breshnew. Hauptsache, Schwung kommt ins Leben. Denn die Blessuren, die einem das Leben verpasst hat, gilt es bunt zu bemalen, nicht zu beweinen. Zwar blieb mir beim Lesen des Öfteren das Lachen im Hals stecken, denn hinter aller Vergnüglichkeit werden die Bedrohungen des Alters nicht ausgespart. Doch genau dies macht die Tiefe des Buches aus. 

 

Doris Dörrie sagte einmal: „Humor funktioniert so, als würde man das Fenster aufmachen und es kommt wieder Luft rein.“ So, genau so erfrischend ist dieser wunderbare Roman zu lesen.

 

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Ann-Sophie Kaiser

Unter den Linden 6

 

 

·         Broschiert: 464 Seiten

·         Verlag: Ullstein Hardcover

·         ISBN-13: 978-3550200601

#UnterdenLinden6

 

Gelungener Spagat zwischen Historie und Fiktion

 

Es empfiehlt sich sehr, das Nachwort der Autorin vorab zu lesen. Denn erst dann versteht man die eigentliche Leistung von Ann-Sophie Kaiser, in einem Spagat zwischen historischer Korrektheit, romanhafter Fantasie und sehr viel Fachwissen und Recherchearbeit ein Buch entstehen zu lassen, das gleichermaßen unterhaltsam und informativ ist. 

 

Drei Frauen begegnen sich im Berlin der Jahrhundertwende. Lise (Meitner) will an der Universität bei Max Planck weiter forschen. Hedwig erreicht mit einer Unterschriftenfälschung die Möglichkeit, die Universität zu besuchen. Anni, das Dienstmädchen, liest sich heimlich durch das Bücherregal ihres Dienstherren. Alle drei Frauen, so unterschiedlich sie auch sind, finden eng zusammen im Kampf um ihr ureigenstes Recht auf Wissen und Bildung.

 

Lise Meitner, die bekannte Physikerin, wurde zwar die erste deutsche Physik-Professorin und entdeckte die Kernspaltung, dennoch blieben ihr die ihr eigentlich zustehenden Würdigungen verwehrt. Sie ist die historische Person in dem Roman. Hedwig, verheiratete Fabrikantentochter, und Anni, das Dienstmädchen, sind fiktive Figuren. Drei Gesellschaftsschichten, drei Einzelschicksale, drei Frauen, denen allen in einer von Männern beherrschten Welt auf unterschiedliche Weise, aber dennoch einschneidend Diskriminierung und mangelnde Wertschätzung widerfährt und die Zusammenhalt darin finden, für die Rechte der Frauen zu kämpfen, insbesondere für das Recht der Frauen auf Bildung. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, die Persönlichkeiten der drei Frauen differenziert und psychologisch nachvollziehbar darzustellen. Atmosphärisch dicht erlebt man als Leser die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts im pulsierenden Berlin und spürt geradezu schmerzhaft all die Einschränkungen, denen Frauen zu dieser Zeit ausgesetzt waren. Durch die Erzählweise der wechselnden Perspektiven bringt die Autorin geschickt und sehr anschaulich die jeweilige Persönlichkeit der drei Protagonistinnen dem Leser nahe. Streckenweise wurde mir die Lektüre zwar etwas langatmig durch die Detailfreude der Autorin, aber insgesamt fand ich den Roman doch sehr unterhaltsam, informativ und atmosphärisch dicht erzählt.

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 Astrid Fritz

 Der Turm aus Licht

 

 

 ·         Taschenbuch: 816 Seiten

 ·         Verlag: Rowohlt Taschenbuch

 ·         ISBN-13: 978-3499001192

 #DerTurmausLicht

 

 Dieser grandiose Roman ist eine Meisterleistung

  

Eine Meisterleistung war nicht nur die 60 Jahre währende Errichtung des „schönsten Turms auf Erden“ des Freiburger Münsters. Sondern eine Meisterleistung ist auch Astrid Fritz mit diesem groß angelegten historischen Roman gelungen. Einfach grandios! Am Sonntag nach Pfingsten im Jahr 1330 wird das Freiburger Münster vollendet. An Pfingsten im Jahr 2020 lese ich die letzten Seiten des über 800 Seiten starken Romans und bin berührt und begeistert gleichermaßen. 

 

Wir verfolgen über die Jahre von 1270 bis 1330 die überaus wechselvolle Geschichte der Fertigstellung des Freiburger Münsters, insbesondere die bauliche Umsetzung des Entwurfs eines hohen, lichtdurchfluteten, dennoch fragil-leicht wirkenden Turmes, des „schönsten Turmes auf Erden“. Dieser Bau gilt heute als eines der Meisterwerke der Gotik. Wir erleben rund um die Bauhütte Liebe, Macht, Ränke, Dummheit, Intrigen, Verrat, Gewalt, Krankheit, Tod, aber auch Zuversicht, meisterliche Handwerkskunst und den unbedingten Willen, das Münster „UnserliebenFrauen“ zu einem die Jahrhunderte überdauernden Wahrzeichen des Glaubens in Freiburg zu gestalten. 

 

Astrid Fritz ist es auf meisterhafte Weise gelungen, die Geschichte dieses Kirchenbaus mit Leben und mit Gefühlen zu füllen. Aufgrund des zwei Generationen langen geschilderten Zeitraumes ziehen viele Menschen  am Leser vorüber, die in der einen oder anderen Weise eine besondere Rolle spielten. Und jedem einzelnen dieser Menschen verleiht Astrid Fritz Ausdruck seiner ganz individuellen Persönlichkeit, weit, weit weg von klischeehaften „Mittelalter-Spielen“. Der Spagat zwischen fiktiv-romanhafter, lebendiger und spannender Erzählung einerseits und akribisch-fachkundiger Recherche und Wiedergabe historisch Überliefertem ist der Autorin grandios gelungen. Denn die 800 Seiten lesen sich leicht, das Buch ist unterhaltsam, fesselnd, atmosphärisch dicht, und Wissenswertes wird fast nebenbei kurzweilig in die Handlung verwoben. Überhaupt ist es eine bewundernswerte Leistung der Autorin, wie sie detailgenaue Beschreibungen einzelner Bauschritte in der zu jener Zeit gebräuchlichen Techniken auch für den Laien nachvollziehbar wiedergibt. Die sehr schöne, sorgfältige, der Zeit angepasste Sprache, in der der Roman geschrieben ist, ist ein zusätzlicher Genuss. Sehr hilfreich für den Leser sind ein mehrere Seiten umfassendes Personenverzeichnis zu Beginn und ein ebenso umfangreiches Glossar am Schluss des Buches. Rundum ein grandioser historischer Roman!

 

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Hubert Achleitner

Flüchtig

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 304 Seiten

·         Verlag: Paul Zsolnay Verlag

·         ISBN-13: 978-3552059726

#Flüchtig

 

Ein Roman wie eine Matroschka

 

Die außerordentliche Musikalität des Hubert von Goisern ist mir genau vor einem Vierteljahrhundert aufgefallen. Kein Wunder, dass ich in seinem Romandebüt nun alles wiederfinde, was schon damals meine „Heiligtümer“ waren. Die Koloraturkunst von Edita Gruberova zum Beispiel, Dvoraks Sinfonie Aus der neuen Welt oder André Heller, dessen Liederlyrik ich so sehr liebte. So vieles und noch viel mehr steckt in diesem Roman, jenseits der eigentlichen Handlung.

 

Maria und Herwig sind fast dreißig Jahre verheiratet. Sie haben sich in jeweils ihrem eigenen Leben arrangiert, ohne spürbares Interesse aneinander. Als Maria jedoch von einem Tag auf den anderen ohne jegliche Erklärung verschwindet und unauffindbar bleibt, kommt Bewegung in Herwig. Es beginnt eine Reise quer durch Europa bis nach Griechenland, hin zu flüchtigen Begegnungen mit Menschen, mit flüchtigen Gedanken über sich selbst und das Leben und flüchtigen Gefühlen der Sehnsucht und Erfüllung.

 

Dieser Roman ist reich und vielschichtig wie eine Matroschka. Manchmal verliert sich der Autor regelrecht im Erzählen von Geschichten, die weitere Geschichten enthalten, im Berichten von vergangenen Leben von vergangenen Menschen. Manchmal treibt der Erzähler mit seinen Geschichten so weit ab vom chronologischen roten Faden, als wäre Maria schon längst verloren gegangen. Und wenige Seiten später landet der Autor wieder im zeitgerechten Erzählstrang, und Marie übernimmt wieder weiter ihre Rolle, nüchtern, kühl, wissbegierig, mit tief versteckten Sehnsüchten. Man muss sich als Leser genauso treiben lassen wie der Autor, dann entwickelt das Buch seinen ganz besonderen Reiz. Wurde schon einmal so differenziert die Inbetriebnahme eines Plattenspielers beschrieben und das geradezu zeremonielle Hören einer Vinylplatte mit seinem mystischen Zauber des Klanges? Wurde schon einmal so atmosphärisch dicht, so sehnsuchtsvoll in seiner lichtdurchfluteten Einfachheit das ursprüngliche touristenferne Griechenland beschrieben? Und wo findet man eine Heiligengeschichte genauso neben politischen Stellungnahmen und spitzen Randbemerkungen? Ein kluges, ein vielschichtig durchkomponiertes, ein poetisches Buch.  Ein Buch zum Wiederlesen.

 

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Adeline Dieudonné

Das wirkliche Leben

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 240 Seiten

·         Verlag: dtv Verlagsgesellschaft

·         ISBN-13: 978-3423282130

·         Originaltitel: La Vraie Vie

#DaswirklicheLeben

 

Das Gelächter der Kadaver

  

Ein Roman, härter und brutaler und grausamer als jeder mir bekannte Thriller. Ein Roman, der mit Peitschenhieben durch die Seiten treibt. Ein ganz und gar unglaublicher Debüt-Roman, der absolut nicht geeignet ist für empfindsame Leser.

 

Das zehnjährige Mädchen, die Ich-Erzählerin ohne Namen, und ihr kleiner Bruder Gilles leben in einer uniformierten Reihenhaussiedlung. Die Mutter wird beschrieben als eine Amöbe, ein graues, unsichtbares Nichts. Der Vater dagegen hat große Leidenschaften, nämlich die Jagd, Fernsehen, Whisky und in Prügeln sprechende Wutanfälle. Als eines Abends vor den Augen der beiden Kinder ein entsetzliches Unglück passiert, verändert sich das Leben schlagartig. Das glockenhelle Lachen von Gilles stirbt für immer. Und das Mädchen kämpft mit aller Kraft darum, dieses Lachen wieder zurückzuholen. Ihre überragende Intelligenz und ihr Mut helfen ihr, sich eine ganz eigene Welt zu konstruieren, eine Welt der Hoffnung, tief verborgen vor Mutter und Vater. Doch im Verlauf der Zeit entwickelt sich nicht nur ihr Geist, sondern auch ihr Körper, was ihrem Vater nicht verborgen bleibt.

 

Was für eine Sprache, so unerschütterlich direkt, so unfassbar gewaltig, geradezu von brachialer Kraft. Aber auch Feines erspürend, wenn zum Beispiel die Autorin innerseelische Vorgänge über das differenzierte Schildern von Gerüchen zum Ausdruck bringt. Der Roman benutzt unglaublich starke Bilder, die mit ungebremster Wucht direkt zum emotionalen Zentrum des Lesers vorstoßen, Flucht unmöglich. Und diese intensiven Bilder hinterlassen Einschusslöcher im Kopfkino, wie Kriegswunden, unheilbar. Dazu wirken die kurzen Kapitel wie Schlaglöcher, in die der Leser rumpelnd hineinstürzt und die ihn immer wieder fast zu Fall bringen. Ein Roman, der mit unfassbar großer literarischer Kraft  „das wirkliche Leben“ in der ganzen Bandbreite von schön bis schrecklich auf 230 Seiten bannt.

 

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 Christina Bradley

 Thirty

 

 

 ·         Taschenbuch: 432 Seiten

 ·         Verlag: Ullstein Taschenbuch

 ·         ISBN-13: 978-3548062600

 ·         Originaltitel: Thirty

 #Thirty

  

Lohnt das Lesen nicht

  

Der Roman kommt mir so vor, als hielte ich eine Waffel mit mehreren Eiskugeln der gleichen Sorte in der Hand. Erst ist der Geschmack willkommen, weil frisch. Doch nach einer Weile wird das Eis warm, der Geschmack fad, das Eis tropft, macht Flecken, nervt.

 

Auszüge aus der vom Verlag formulierten Inhaltsangabe lassen uns wissen, dass es um Bella Edwards geht, die nichts auf die Reihe bekommt. Sie steht kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag und der Mann fürs Leben fehlt immer noch. Hals über Kopf fliegt sie von London nach New York zu ihrer Freundin Esther. Und die hat die rettende Idee: Dreißig Dates in dreißig Tagen auf einem verrückten Trip von New York bis nach San Francisco. Da sollte es doch klappen… 

 

Irgendwo im Buch steht: „Wenn es ums Dating geht, habe ich vor allem eins gelernt: Entweder es klappt, oder es klappt nicht.“ Oweh, solch tiefgründige Erkenntnisse sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Und leider liest man sich entsprechend zunehmend gelangweilt  durch die Geschichte und fragt sich immer wieder, wozu man das Ganze überhaupt lesen soll. Mich hat die Oberflächlichkeit des gesamten Buches von Seite zu Seite mehr und mehr genervt. Das einzige, was mich überhaupt davon abhielt, das Lesen abzubrechen, war der frisch-lebendige Schreibstil, der mich ab und zu auch zum Lachen brachte. Aber die lockere Erzählweise allein wiegt das Seichte und Klischeehafte des gesamten Buches nicht auf.

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 Lina Frisch

 Falling Skye

 

 

 ·         Gebundene Ausgabe: 464 Seiten

 ·         Verlag: Coppenrath

 ·         ISBN-13: 978-3649633440

 ·         Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 17 Jahre

 #FallingSkye

 

Enttäuschend

 

Ein schönes Cover hat das Buch, aber das Buch ist insgesamt auf einem qualitativ so miserablen Papier gedruckt, dass das gesamte Buch dadurch minderwertig wirkt. Man hat das Gefühl, das Papier vergilbt innerhalb von wenigen Stunden, wenn man in der Sonne sitzt und liest. Auch die Bindung ist nicht stabil. Mehr als zwei Leser hintereinander hält das Buch nicht aus, es bricht auseinander. Auch wenn das nicht wirklich wichtig ist, mich stört es. Das ist schade. Wobei mich zugegebenermaßen auch der Inhalt leider insgesamt enttäuscht hat.

  

Der Grundgedanke des Buches gefällt mir: Nach einer großen Katastrophe, in der die USA zu den Gläsernen Nationen geworden ist, werden die Menschen eingeteilt in die Rationalen und in die Emotionalen. Junge Menschen müssen sich so wie die 16-jährige Skye einer mehrwöchigenTestung unterziehen. Ziel ist, als mustergültige Rationale abzuschließen, um so die Chance auf ein Studium an einer Elite-Universität und auf eine glänzende berufliche Zukunft zu erhalten. Doch die Prüfungen sind verstörend und durchaus gefährlich. Skye beginnt zunehmend zu zweifeln und das Procedere zu hinterfragen, was sie selbst in größte Gefahr bringt…

  

Die junge Autorin schreibt gut. Es gibt viele Passagen, die spannend-lebendig ausgearbeitet sind. Die möglicherweise zugrunde liegende Gesellschaftskritik ist geschickt eingearbeitet. Dennoch blieb ich als Leser von Anfang bis Ende irgendwie außerhalb des Geschehens. Skye ist mir wie auch alle anderen Akteure im Buch fremd und fern geblieben, sie wirken irgendwie künstlich. So erging es mir auch mit der Handlung. Mal durchaus spannend, wenige Seiten später jedoch unlogisch und irgendwie nicht fertig erzählt. Und schließlich auch über lange Strecken geradezu langweilig. Immer wenn sonst nichts hilft, gibt es irgendeinen technischen Schnickschnack, der in der aktuellen Situation weiterhilft. Gut, ich gebe zu, dass Dystopien nicht gerade mein Lieblings-Genre sind, aber ich hoffte doch anhand der Verlagsankündigung auf eine straff erzählte, in sich logische, emotional packende, spannende Geschichte. Leider eine vergebliche Hoffnung. Es ist zu wünschen, dass Lina Frisch ihr mit Sicherheit vorhandenes Schreibtalent weiter zu entwickeln lernt.

 

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 Greer Hendricks, Sarah Pekkanen

 Die Frau ohne Namen

 

 

 ·         Broschiert: 464 Seiten

 ·         Verlag: Rowohlt Taschenbuch

 ·         ISBN-13: 978-3499001444

 #DieFrauohneNamen

  

 Das Karussell der Täuschungen macht schwindelig

 

Was ist dieser Roman? Vergleichbares habe ich noch nie gelesen.

 

Der Roman kommt daher wie ein Psychothriller, scheint sich erst einmal auf ein raffiniertes psychologisches Kammerspiel zwischen reicher Therapeutin und armer Visagistin festlegen zu lassen. Er hat eine zunächst oberflächlich wirkende Handlung wie ein Bericht aus dem Leben mäßig gelangweilter reicher Amerikaner. Und doch ist er alles andere als oberflächlich. Denn er befasst sich mit wesentlichen Fragen des Miteinanders von Menschen. Und vor allen Dingen ist der Roman fesselnd, faszinierend, packend, verwirrend und von nicht endender Spannung. Das alles ist der Roman und noch viel mehr. Wie gesagt, Vergleichbares habe ich noch nicht gelesen. Und ich bin restlos begeistert.

  

Worum geht es? Jess, jung, mit chronischer Geldnot,  meldet sich für eine ausgeschriebene Ethik- und Moralstudie, da großzügige Vergütung versprochen wird. Sie wird zur Testperson 52, zu einem verheißungsvollen Forschungsprojekt. Sehr persönliche Fragen führen immer tiefer in ein manipulatives und durchaus lebensgefährliches Experiment.

  

Einen einzigen kritischen Einwand muss ich voransetzen. Ich bedauere zutiefst Leo, den armen kleinen vernachlässigten Hund von Jess, der immer allein in der Wohnung sitzt, kaum etwas zu fressen bekommt außer Essensresten und nur alle paar Tage mal Gassi geführt wird. Da hätten die beiden Autorinnen schon ein wenig mehr Tierliebe einfließen lassen sollen!

 

Das Buch bezeichnet sich als Roman, nicht als Thriller, ist aber so unermesslich spannend wie ein solcher. Man jagt von einem Twist zum anderen, wird immer wieder getäuscht, wird moralisch auf die Probe gestellt, Sicherheit wechselt mit Zweifeln, Abneigung mit Sympathie. Und es bleibt die große Frage: Wer manipuliert wen und womit, bewusst oder unbewusst, im Roman und im eigenen Leben? Kann man überhaupt nicht manipulieren? Und was ist überhaupt Wahrheit? Gibt es DIE Wahrheit? Irgendwo im Buch steht, dass die Wahrheit eine Gestaltwandlerin ist, schwer fassbar wie eine Federwolke. Wie wahr!

 

Großartig geschrieben ist dieser Roman. Absolut empfehlenswert.

 

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Clare Empson

Zweimal im Leben

 

 

·         Taschenbuch: 448 Seiten

·         Verlag: Blanvalet Taschenbuch Verlag

·         ISBN-13: 978-3734108020

#ZweimalimLeben

 

Endloses Rühren in der Erinnerungs-Gefühls-Suppe

  

Nachdem der Verlag mich mit einer sehr ansprechenden Werbung für das vorliegende Buch geködert hatte und meine Erwartungen entsprechend des Slogans „Emotionalste Geschichte des Jahres“ sehr hoch waren, kam die Enttäuschung unerwartet. Ich las und las und kam nicht voran. Ich legte das Buch wieder weg, versuchte zu einem anderen Zeitpunkt, dem Buch erneut eine Chance zu geben. Und wieder machte ich die gleiche Erfahrung: Das Buch ließ mich als Leser einfach auf der Strecke…

  

So beschreibt der Verlag den Inhalt: „Es begann alles damit, dass sie ihn traf – ihn, die Liebe ihres Lebens. Als Catherine damals als Studentin Lucian zum ersten Mal sah, war ihr gleich klar: Das ist für immer. Er ist ihr Seelenverwandter, nichts wird sie auseinanderbringen. Doch dann geschah etwas, das alles änderte. Catherine verließ Lucian, heiratete jemand anderen, gründete eine Familie. Und trotzdem kann sie Lucian nicht vergessen. Als sie ihn 15 Jahre später wiedertrifft, ist alles wieder da, die Vertrautheit von damals, das Gefühl, endlich wieder ganz zu sein, sich selbst in dem anderen wiedergefunden zu haben. Aber manchmal kann man nicht mehr anfangen, wo man aufgehört hat. Und manchmal holt einen die Vergangenheit mit solcher Macht ein, dass sie droht die Gegenwart zu zerstören und damit alles, was man liebt …“

  

Schön und gut. Das klingt tatsächlich nach einem emotionalen Roman. Aber ich wurde an keiner einzigen Stelle vom Buch berührt. In drei Zeitebenen dreht man sich im Kreis. Ich hatte im Grunde das Gefühl, immer und immer wieder das gleiche zu lesen, mal von vorne, mal von hinten, mal aus der Mitte. Warum Catherine ihre große Liebe Lucien vor 15 Jahren ohne Erklärung über Nacht verlässt, warum sie 15 Jahre später völlig verstummt und in Traumwelten abtaucht, warum Sam, Catherines Mann, nicht ablässt mit seiner grenzenlosen Überfürsorge – all das wurde mir, je weiter ich las, immer mehr und mehr egal. Die Autorin wollte wohl einen großen Spannungsbogen ziehen, aber sorry, für mich wirkte er ehert überzogen. Ich wollte irgendwann nichts mehr wissen von all den Oberflächlichkeiten, von Verstrickungen, alten Lieben, Sehnsucht, Betrügereien, Verlusten, Verwirrungen, Erinnerungen. Wie oben bereits gesagt: Das Buch ließ mich als Leser auf der Strecke, vergaß mich einfach beim endlos wirkenden  Rühren in der Erinnerungs-Gefühls-Suppe.

  

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Hanna Caspian

Gut Greifenau - Goldsturm

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 576 Seiten

·         Verlag: Knaur Verlag

·         ISBN: 978-3-426-52544-9

#GutGreifenauGoldsturm

 

Die opulente Familiensaga geht weiter

  

Ob es daran liegt, dass ich nur Band 1 gelesen hatte, bevor ich nun aus Zeitgründen direkt mit Band 4 weiterlas? Die Faszination, die ich bei Band 1 gespürt hatte, fiel bei Band 4 leider etwas geringer aus. Mag sein, weil mir der direkte Anschluss fehlte, mag aber auch sein, dass die Erzählung  in Band 4 generell so etwas vor sich hin plätschert und sich dabei sehr in Details verliert.  

  

Für den Inhalt zitierte ich wegen der Fülle vieler einzelner Geschehnisse sinngemäß den Verlag: Pommern, Ende des 1. Weltkrieges, 1919-1923. Konstantin und Rebecca kämpfen mit den Folgen, die Misswirtschaft und Krieg auf dem Gut hinterlassen haben. Ungewiss ist, wie es mit Gut Greifenau weitergehen soll, solange Konstantin keinen Erben hat. Katharina dagegen lebt in Luxus und träumt weiterhin vergeblich vom Medizin-Studium. Auch bei den Dienstboten gibt es trotz größerer  Freiheiten wenig persönliches Glück zu berichten. Die Zeit der der Inflation, die sogenannten goldenen Zwanziger, die nicht nur golden waren, überschattet alles. Und wohin man bei der Familie Auwitz-Aarhayn auf Gut Greifenau auch schaut, überall stösst man auf Konflikte, auf Auseinandersetzungen und Böswilligkeiten. 

 

Ich mag den Schreibstil von Hanna Caspian sehr.  Am ehesten finde ich das Adjektiv „sorgfältig“ stimmig für ihre Erzählweise. Doch nicht nur das, der Erzählstil ist auch der geschilderten Zeit angepasst, dabei detailgenau und anschaulich. Bereits nach wenigen Seiten versinkt man in der gräflichen Welt, leidet mit, diskutiert mit. Szene für Szene entsteht im Kopfkino. Die Autorin erzählt fesselnd, farbig, mit historisch umfangreich recherchierten Details. Auch wenn die Protagonisten mehrheitlich nicht unbedingt Sympathieträger sind – das Buch hat durchaus Suchtfaktor und ist Lesefutter für viele Stunden. Aber hier in Band 4 war ich sehr viel weniger diesem Suchtfaktor erlegen als in Band 1. Ich las und las, fühlte mich durchaus gut unterhalten, aber am Ende blieb außer einem Cliffhanger, der zu Band 5 verlocken will, nichts übrig. Das Kopfkino erlischt mit der letzten Seite und so gut wie nichts bleibt zurück, keine Gefühle, keine Bilder, keine einzelnen Begebnisse. Vielleicht lag es an mir.

 

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Sina Beerwald

Die Strandvilla

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 464 Seiten

·         Verlag: Knaur Verlag

·         ISBN: 978-3-426-52412

#DieStrandvilla

 

 

Sylt und der ewige Kampf zwischen Herz und Verstand

 

 

Eine schöne Unterhaltung ist dieses Buch! Genau die richtige Mischung an Leichtigkeit und Ernst, an Atmosphäre und fesselnder Handlung. Die passende Lektüre zur Entspannung. 

 

Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges begleiten wir die junge Witwe Moiken Jacobsen auf ihrer Suche nach neuem Lebensglück. Nach Zeiten eines Lebens in größter Kargheit begegnet sie dem Hotelier Theodor von Lengenfeldt, Besitzer der „Strandvilla“, dem besten und modernsten Hotel auf der Insel Sylt. Theodor verliebt sich in Moiken und hält um ihre Hand an. Aber da ist auch noch der Strand-Fotograf Boy Lassen, eine alte Liebe aus Jugendtagen. 

 

Zugegeben, diese Kurz-Inhaltsangabe klingt nach einer sehr trivialen Geschichte. Das ist sie vielleicht sogar irgendwie, aber die Stärke des Romans liegt ganz klar sowohl im Erzählstil als auch an den Protagonisten und an Sylt zu einer Zeit, in der die Insel noch einen ganz eigenen Charme hatte. Dass es Sina Beerwald gut beherrscht, historisches Ambiente mit allgemein menschlichem Sehnen und Trachten zu verbinden, hat sie bereits in mehreren historischen Romanen bewiesen. Ich empfehle, im vorliegenden Buch als erstes das Nachwort zu lesen. Ich fand es sehr beeindruckend zu erfahren, wie die Autorin historische Realität und romanhafte Fiktion zusammengefügt hat. Mit der Witwe Moiken und ihrer halbwüchsigen Tochter Emma hat sie fiktive Personen zum Leben erweckt, die nicht unbedingt sofort die Sympathie des Lesers gewinnen. Moiken ist ein spröder Mensch, hart zu sich selbst, aber auch zu anderen, einerseits in den Konventionen der Zeit gefangen, andererseits aber unangepasst-freiheitlich denkend ihre Ziele verfolgend. Sie zeigt beeindruckende Stärke und Beharrlichkeit im Kampf um Selbstbestimmung in einer Zeit, in der allein der Mann das Sagen hatte. Sina Beerwald erzählt eindrücklich, detailreich, atmosphärisch dicht, immer fesselnd und unterhaltsam. Gewissermaßen mit Sand unter den Füßen und Wind im Haar erlebt der Leser den ewigen Widerstreit zwischen Herz und Verstand, zwischen Tradition und Moderne,  zwischen Zuversicht und Hoffnungslosigkeit.

  

„Die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt“ heißt es im Nachwort. Wie schön!

 

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Benjamin Myers

Offene See

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 273 Seiten

·         Verlag: DUMONT Buchverlag

·         ISBN: 978-3-8321-8119-2

#OffeneSee

 

Ein poetisches Kleinod

 

Ein kleines Buch ist das. Mit einem symbolträchtigen Cover, dessen Bedeutung sich erst im letzten Drittel erschließt. Mit einem für den Umfang des Buches geradezu gewaltig festen Einband, so als müsste der zarte, der leise Inhalt unbedingt beschützt werden. Und mit einem Lesebändchen, ungewöhnlich für 260 Seiten, und doch sehr gut, denn man braucht länger für dieses Buch, nein, man sollte länger brauchen für dieses Buch. Immer wieder  für ein paar Seiten eintauchen in die berauschend schöne Sprache, dann das Lesebändchen einlegen und wieder ein Stück weit, durch die Poesie gestärkt, durch den Alltag gehen. Ja, solche Leser wünscht sich das Buch.

  

Es ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der 16-jährige Robert will nach Beendigung der Schule für ein paar Wochen ausbrechen aus seinem vorbestimmten Lebensweg. Er will für eine begrenzte Zeit Freiheit erleben, bevor er sich dem Diktat der Familie ergibt, nämlich im Kohlebergwerk unter Tage zu arbeiten, so wie Generationen vor ihm. Er macht sich zu Fuß auf quer durch England bis zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See. Er lebt in, er lebt mit der Natur und staunt. Für eine kleine Mahlzeit übernimmt er Hilfsarbeiten. Und wandert weiter. Bis er Ducie kennenlernt, eine eigenwillige ältere Frau, die in einem heruntergekommenen Cottage lebt. Aus einer kurzen Rast wird ein ganzer Sommer, in dem er durch Dulcie und durch die Gespräche mit ihr ihre unkonventionellen Gedanken und Ansichten und damit eine ganz unerwartet neue Sicht auf die Welt erfährt. Dulcie bekocht ihn mit Schätzen aus der Natur und aus ihrer prall gefüllten Speisekammer,  Robert beginnt mit Reparaturen rund ums Haus. Als er dabei ein Manuskript mit Gedichten findet, das Dulcie gewidmet sind, reagiert diese schroff und ablehnend…

  

Die Sprache dieses Buches macht in ihrer Schönheit fast trunken, eine große Leistung der beiden Übersetzer übrigens. Man möchte Satz für Satz, Bild für Bild sammeln und nie mehr vergessen. Es wird erzählt von Menschen, in deren Herzen der Krieg als „toxischer Samen“ verbleibt. Robert als alter Mann, der Kunst versteht als den „Versuch, den Moment in Bernstein zu gießen“. Und mit der Gewissheit, dass „im Schweigen die Poesie liegt“. Weise Gedanken verknüpfen sich mit ausgedachten Geschichten, Reales und Erträumtes vermischen sich mit Gefühlen. „Ein gutes Gedicht bricht die Austernschale des Verstandes auf, um die Perle darin freizulegen.“  Ein poetisches, feines und kluges Buch.

 

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Sandra Lüpkes

Die Schule am Meer

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 576 Seiten

·         Verlag: Kindler Verlag

·         ISBN-13: 978-3463407227

#DieSchuleamMeer

 

Mutiges Projekt in schwieriger Zeit

 

Wir sehen nur das, womit wir uns beschäftigen“, so heißt es an einer Stelle im vorliegenden Buch. Sandra Lüpkes hat sich ausführlich beschäftigt mit einer historischen Begebenheit auf der Insel Juist und diese durch die Gestaltung in Romanform neu zum Leben erweckt. Mir hat die Beschäftigung mit diesem Roman neue Einblicke in eine Zeitepoche geschenkt, in der sich das spätere große Unheil mit Donnergrollen ankündigte, und dies auf einem Fleckchen Erde, von dem ich dies nie so erwartet hätte.

  

Der Roman beginnt im Jahr 1925, als das Ehepaar Reiner zusammen mit dem Pädagogen Martin Luserke ihren Traum verwirklichen will, ein Internat auf der Insel Juist zu gründen. Sie möchten ihren reformerischen, ganzheitlichen Erziehungsidealen folgen, bei denen auch den musischen Fächern genügend Raum gegeben werden soll. Hierfür gewinnen sie den Musikpädagogen Eduard Zuckmayer, Bruder des Dichters Carl Zuckmayer. Ein hartes, entbehrungsreiches Leben beginnt. Kälte, Krankheit, Brandstiftung, hinterrücks getötete Haustiere, interne Spannungen, dazu die alltäglichen pädagogischen Herausforderungen -  das ist ihr kräftezehrender Alltag. Die Insulaner begegnen dem Internat, seinen Schülern und vor allen Dingen seinen Lehrern, besonders der jüdischen Frau Reiner, mit Misstrauen. Je mehr nationalsozialistisches Gedankengut sich in den Köpfen der Insulaner festsetzt, desto problematischer wird das Leben für die Gemeinschaft…

  

Mich erinnerte von Anfang an das Erziehungsziel des Ehepaar Reiner an die Waldorfpädagogik von Rudolf Steiner, die auch der „Reformpädagogik“ zuzuordnen ist und im Jahr 1920  seinen Anfang nahm. Auch wenn die Bauprojekte auf Juist so viel ärmlicher waren, hatte ich immer irgendwie das Goetheanum, insbesondere seinen beeindruckenden Theaterbau in Dornach vor Augen. Allerdings findet man im Buch keinerlei Information, ob das Ehepaar Reiner von Rudolf Steiner inspiriert war..

 

Sandra Lüpkes Erzählstil ist sehr eindringlich und atmosphärisch dicht und lebendig, wobei die Autorin äußerst geschickt die historisch belegten und sorgfältig recherchierten Tatsachen vermischt mit fiktiven Personen und romanhaften Ausschmückungen. Wer Interesse hat an der Abgrenzung von  Fakten zur Fantasie, der möge das aufschlussreiche Nachwort der Autorin lesen. Wobei mir die (erdachten) Schülerpersönlichkeiten farbiger ausgestaltet vorkommen als die (realen) Lehrerpersönlichkeiten, die für mich etwas blass blieben. Durch die Gratwanderung zwischen detailreich-dichten Schilderungen und einer gewissen Langatmigkeit ließen sich zwar manche Passagen etwas mühsam lesen, aber meistens gelang es mir, völlig abzutauchen in die Welt der Kargheit, der Anfeindungen, des Mutes und in die besondere Schönheit der Farben, des Lichts, der Sprache des Meeres und der Winde auf Juist. Mir hat dieser Roman sehr, sehr gut gefallen.

 

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 Iny Lorentz

 Glanz der Ferne

 

 

 ·         Taschenbuch: 608 Seiten

 ·         Verlag: Knaur TB

 ·         ISBN-13: 978-3426518892

 #GlanzderFerne

  

Gekonnt gestaltetes Zeitgemälde

  

Zu meinem großen Bedauern habe ich die Vorgängerbände „Tage des Sturms“ und „Licht in den Wolken“ nicht gelesen, wurde also sozusagen unwissend hineingeworfen in die Familien-Saga mit ihren zahlreichen Familienmitgliedern und freundschaftlichen oder weniger wohlwollenden Verbindungen. Da war mir das Personenverzeichnis am Ende des Buches durchaus hilfreich. Aber ansonsten erging es mir wie immer bei jedem Buch diesen Autoren-Ehepaares: Man beginnt zu lesen und es vergehen nur wenige Minuten, bis man in der Handlung versunken ist, bis man sich in einer anderen Zeit befindet.

  

Im vorliegenden Buch erleben wir die Jahre des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Berlin. Rätselhafte Auftragsstornierungen schränken die Geschäfte von Theo von Hartung immer mehr ein und bringen die Tuchfabrik letztlich in eine finanzielle Schieflage. Vicky von Gentzsch trägt ein schweres Los, denn ihre Mutter war bei der Geburt gestorben. Ihr Vater gibt ihr am Tod seiner geliebten Frau die Schuld, sie muss ein Leben wie Aschenputtel führen, umgeben von Ablehnung und emotionaler Kälte. Die Lieblosigkeit von Vater und Stiefmutter ließ sie zu einer unangepassten, aufbegehrenden Persönlichkeit heranreifen, die ständig die steifen Gesellschaftsregeln verletzt. Erst durch die Familie mütterlicherseits, durch ihre Großmutter Theresa und Tante Friederike, erfährt sie so etwas wie Herzenswärme.  Doch das Glück hält nicht lange an…

  

Es ist zu bewundern, wie es das Schriftsteller-Ehepaar bei jedem neuen Roman aufs neue schafft, ein Szenario zu gestalten, das dank akribischer Recherche historisch stimmig und dank des farbig-lebendigen Schreibstils so intensiv geschildert wird, dass man als Leser sofort eintaucht in das jeweilige Zeitgefühl, im vorliegenden Buch in die wirtschaftlich und politisch bewegte Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber nicht nur der Zeitgeist nimmt gefangen, auch die Protagonisten werden in ihren individuellen Persönlichkeiten so treffend, so vielschichtig und psychologisch stimmig dargestellt, dass der Leser gar nicht anders kann, als sie zu mögen oder abzulehnen, als mit ihnen zu bangen, mit ihnen zu hoffen oder zu verzweifeln. Und aus der emotionalen Bindung, die der Leser zu den handelnden Personen aufbaut, entwickelt sich eine ganz besondere Lese-Spannung, der man sich nicht entziehen kann.

 

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Elizabeth Strout

Die langen Abende

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

·         Verlag: Luchterhand Literaturverlag

·         ISBN-13: 978-3630875293

·         Originaltitel: Olive, Again

#DielangenAbende

 

Kaleidoskop der Einsamkeiten

 Der Verlag hatte es sich leicht gemacht. Seine Inhaltsangabe zum vorliegenden Buch ist in etlichen Sätzen identisch zur Inhaltsangabe zu „Mit Blick aufs Meer“, insbesondere was die pensionierte Lehrerin Olive Kitteridge betrifft, die uns in „Die langen Abende“ wieder begegnet. Für „Mit Blick aufs Meer“ bekam die Autorin 2009 den Pulitzer-Preis. Jetzt also, 11 Jahre später, taucht Olive Kitteridge wieder auf, sie, „die sich mit siebzig noch in alles einmischt und so barsch ist wie eh und je“. Und die Kleinstadt Crosby an der Küste von Maine  ist ebenfalls die gleiche wie damals, eine Stadt, in der nichts passiert und die sozusagen das Bühnenbild darstellt für die Geschichten, die uns Elizabeth Strout erzählt.

  

Der Roman erscheint mir wie ein Kaleidoskop, eine Sammlung voller bunter Glasstückchen, die sich bei jedem Umblättern von Seite zu Seite verschieben und sich zu neuen Mustern  des Lebens formen. In den „Glasbildern“ kann sich der Leser verlieren, weil das, was uns die Autorin schildert, so schlicht, so normal, so alltäglich ist und durch ihre Sicht durchs Kaleidoskop doch zu etwas Besonderem wird.

  

Ein stilles Buch ist dieser Roman. Man muss sich als Leser Zeit nehmen, sich einlassen auf die leisen Töne, auf sensibles Wahrnehmen von unscheinbar wirkenden Momenten des Glücks.. Gleichzeitig ist das Buch auch aggressiv-kraftvoll. Es greift den Leser an, es springt ihn geradezu gewaltsam an mit seinen dunklen Seiten, mit den Einsamkeiten, mit Bosheiten, Krankheiten, Verlust, mit Versäumtem und dem Altern. Ein hinreißender Roman, wie ich finde, der den Leser sowohl fordert als auch beschenkt.

 

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Noah Martin

Raffael

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 650 Seiten

·         Verlag: Droemer

·         ISBN: 978-3-426-28229-8

#Raffael

 

Welch ein fulminanter Historien-Schmöker

  

Zugegeben, der Umfang des Buches hatte mich erst einmal erschreckt. Was ist, wenn ich mich 630 Seiten lang mehr oder weniger gelangweilt durch das Buch hindurch schleppen muss? Das dem Roman vorgestellte Personenverzeichnis ist gewaltig, was meine Furcht vor dem Buch nicht gerade minderte. Doch was soll ich sagen: Der Roman hat mich gepackt und restlos begeistert und an keiner einzigen Stelle gelangweilt, im Gegenteil. 

 

An der Person Raffael Santi,  dem bedeutendsten Maler seiner Zeit, an seinem unsteten Leben, an seinen Bekanntschaften und Liebschaften, an seinen Verstrickungen in die politischen Ränkespiele, an all den Facetten dieses gefeierten Ausnahmekünstlers entwickelt Noah Martin ein grandioses Romangemälde der Renaissance, wie es lebendiger gar nicht sein könnte.

  

Der Roman ist durchweg spannend zu lesen. Der Autor versteht es auf perfekte Weise, sowohl historisch präzise als auch erzählerisch packend ein bewegtes Zeitgemälde im Kopf des Lesers entstehen zu lassen, oftmals so intensiv, als befinde man sich mitten im geschilderten Geschehen. Ob die Dekadenz des Vatikan, das Darben der einfachen Leute, der Neid unter den Künstlern, das blutige Sterben auf den Schlachtfeldern, alles bildet in seiner Gesamtheit ein Bild der Renaissance, wie ich es in seiner Vielfalt noch nie gewonnen hatte. Da der Autor Kunsthistoriker ist, vertraue ich darauf, dass er historisch Belegtes und Fiktives so gekonnt verwoben hat, dass es dem Roman nicht an Wahrhaftigkeit fehlt. Natürlich darf eine Liebschaft nicht fehlen, die uns die Person Raffael auch emotional näher bringt. Margherita Luti ist im Bild „La Fornarina“ festgehalten, übersetzt „Die kleine Bäckerin“. So wie der Autor es sich im Nachwort wünscht, habe ich mir viele der Werke von Raffael mit einem durch die Romanlektüre geschärften Blick angesehen. Doch am beeindruckendsten ist für mich La Fornarina mit ihrem leicht spöttischen Lächeln. Wenn es irgend etwas an dem Roman zu kritisieren gäbe, dann vielleicht, dass mitunter Raffael etwas zu sehr an den Rand rückt. Hier hätte ich mir noch mehr Einblicke gewünscht.

  

Fazit: Grandios erzähltes, packend-farbiges Zeitgemälde. Unbedingte Leseempfehlung!

 

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Astrid Seeberger

Goodbye Bukarest

 

·         Gebundene Ausgabe: 244 Seiten

·         Verlag: Urachhaus

·         ISBN-13: 978-3825152307

#GoodbyeBukarest

 

 

Poetisch und bewegend

 

 

Ein Buch, das den Verstand ebenso beansprucht wie das Gefühl. Ein Buch, das poetisch ist und politisch. Ein Buch, das mich tief bewegt hat.

  

Der Inhalt ist schnell erzählt. Astrid, die Erzählerin, kommt einem Familiengeheimnis auf die Spur. Es hieß, dass Bruno, der totgeschwiegene älteste Bruder ihrer Mutter, in Stalingrad gefallen sei. Eine Lüge, wie sie erfährt. Und so macht sich Astrid auf die Suche nach Bruno, nach seiner wahren Geschichte zur Zeit des Nazi-Regimes und danach, und dies führt sie von Schweden kommend sowohl nach Deutschland als auch nach Rumänien, nach Bukarest. 

 

Vordergründig geht es demnach um ein Stück Zeitgeschichte, vor allen Dingen um das Rumänien zur Zeit der Herrschaft Ceausescus. Doch dieser historische Hintergrund wirkt auf mich im Buch eher wie ein Bühnenbild im Theater: Schön gezeichnet, wunderbar gestaltet, „… eine Landschaft, die Gott mit streichelnder Hand geformt hat…“. Im Vordergrund der Bühne jedoch entstehen verschiedene Geschichten verschiedener Menschen, immer von einer immensen Kraft, manchmal schön, manchmal entsetzlich, immer aber atemberaubend gut geschrieben. Es sind tagebuchartige Notizen, die man langsam lesen muss, Wort für Wort sorgsam einsammelnd, um nichts zu übersehen, nichts zu verlieren von den feinen Gedankenbildern. Überhaupt hat man den Eindruck, dass die Menschen, denen man im Buch begegnet, durch ihre Geschichten ganz eigene Bilder weben, zu denen die politische Geschichte die Webfäden beisteuert. Es sind die Nebenbei-Sätze, die besonders schmerzhaft sind. Und doch gibt es auch viel Tröstliches, einen Bach-Choral vielleicht, einen Liederzyklus, überhaupt Musik und Literatur zeigen sich als tragende Lebenspfeiler. Astrid Seeberger schreibt wunderbar ausdrucksstark, poetisch, fesselnd, bewegend, immer zutiefst den Menschen zugewandt.  „Menschen können inmitten aller Bedrohung einander Schutzräume errichten, in denen wir das kleine störrische Glück verspüren.“

 

Ein anspruchsvolles, ein einfühlsames, ein ganz und gar wunderbares Buch.

 

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Anna Burns

Milchmann

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 448 Seiten

·         Verlag: Tropen

·         ISBN-13: 978-3608504682

 

Langweilig!

 

Wenn die Presse ein Buch über den grünen Klee lobt, ist zwar Neugier angesagt, aber keineswegs ehrfürchtiges Nachplappern der sich überschlagenden Pressestimmen. Und so scheue ich mich nicht, meine Meinung ehrlich zu formulieren: Ein  Buch, das langweilt, hat seinerzeit schon bei Reich-Ranicki verloren. Genauso bei mir. Denn was nutzt eine vermeintlich brillante Sprache oder die gar vermuteten gesellschaftspolitischen Inhalte, wenn das Buch anödet, sodass man sich durch die Seiten schleppt und letztlich mit einem Seufzer der Erleichterung des Lesens beendet? Was bleibt dann von der angeblichen Genialität des Buches übrig?

  

Das Schönste am Buch ist (für mich) das Cover. Dieser wunderschöne Abendhimmel hat so manchen Leser angelockt, so auch mich. Für den Inhalt, den ich so nicht wirklich erkennen konnte, nutze ich ausnahmsweise die Verlagsankündigung: „Eine junge Frau zieht ungewollt die Aufmerksamkeit eines mächtigen und erschreckend älteren Mannes auf sich, Milchmann. Es ist das Letzte, was sie will. Hier, in dieser namenlosen Stadt, erweckt man besser niemandes Interesse. Und so versucht sie, alle in ihrem Umfeld über ihre Begegnungen mit dem Mann im Unklaren zu lassen. Doch Milchmann ist hartnäckig. Und als der Mann ihrer älteren Schwester herausfindet, in welcher Klemme sie steckt, fangen die Leute an zu reden. Plötzlich gilt sie als »interessant« – etwas, das sie immer vermeiden wollte. Hier ist es gefährlich, interessant zu sein.“

  

Man schlägt das Buch auf und es geht los, dieses endlose Geschwätz über alles und nichts. Und dazu noch in endlosen Bandwurmsätzen verpackt, diese wiederum in endlosen Kapiteln ausgebreitet. Wortreiche Schilderungen von Nichtigkeiten. Neigung der Autorin, dasselbe mit mehreren Wörtern zu benennen. Viel Ekel, viel Abscheu, viel Depression, viel jugendliche Wut. Selten aufblitzender schwarzer Humor. Und entsetzlich langweilig, das vor allem. Nein, für mich ist das Buch keine literarische Offenbarung.

  

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 Sofia Lundberg

 Ein halbes Herz

 

 

 ·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 416 Seiten

 ·         Verlag: Goldmann Verlag

 ·         ISBN: 978-3-442-31494-2

 #EinhalbesHerz

  

 

Welch ein kraftvolles Buch

 

Elin, eine überaus erfolgreiche Fotografin, seit vielen Jahren in New York lebend, erschafft permanent  Inszenierungen, und dies sowohl hinter ihrer Kamera als auch im privaten Leben. Alles ist schön, geschönt, ist Kunst und kunstvoll, künstlich, nichts von der Person Elin ist wirklich fassbar. Niemand hat Zutritt zu ihrem Inneren. Das wahre Leben, das lebendige, oft schmerzhafte, bleibt außen vor. Elin ist die perfekte Fassade, die perfekte Fiktion. Das Echtsein hat sie längst vergessen. Erst als Sam, ihr Mann, es nicht mehr aushält und sie verlässt, kommt Elins routiniertes Schein-Leben in Bewegung. Ein unerwarteter Brief aus Elins Heimat Schweden lässt zudem mit aller Macht Erinnerungen an ihre Kindheit in Gotland über sie hereinbrechen. Doch erst ihre 17-jährige Tochter Alice schafft es, dass Elin bereit wird, sich ihrer Kindheit und einem damit verbundenen tief in der Seele vergrabenen tragischen Geheimnis zu stellen. 

 

Welch ein kraftvolles Buch hat Sofia Lundberg da geschrieben. Es hinterlässt tiefe Eindrücke, denn die Autorin schreibt in starken Bildern und sehr bewegend. In zwei Zeitebenen erzählt sie vom Leben Elins. Zunächst liegt der Schwerpunkt in der Gegenwart 2017 in New York. Elin fotografiert Models, ihre Fotos zeigen makellose Schönheit. Einen harten Kontrast dazu bilden die aufblitzenden kurzen Erinnerungsfetzen an die Kindheit in  Gotland, beginnend im Jahr 1979, einer Zeit großer Armut, mit einer Mutter, die unberechenbar zwischen Gleichgültigkeit und Wut schwankt, gleichzeitig aber auch der Halt durch eine tiefe kindliche Freundschaft zu Frederik, ihrem Seelenverwandten. Je mehr das glatte New Yorker Leben ins Wanken gerät, je intensiver werden die Erinnerungen an Gotland, und die Leser durchleben den äußerst schmerzhaften Prozess, dem sich Elin stellen muss. Erst im letzten Drittel des Buches erfährt man, wieso Elin zu solch einer makellosen Kunstfigur wurde. Und es bricht dem Leser schier das Herz. Ein erschreckend intensives Buch über die immense Kraft der in die Seele eingebrannten Erinnerungen, die sich nicht darum scheren, ob sie wahr sind oder Lüge.

 

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Raphael Romano

Von Menschen und Eseln

 

 

·         Taschenbuch: 212 Seiten

·         Verlag: Schweizer Literaturgesellschaft

·         ISBN-13: 978-3038830795

#vonMenschenundEseln

 

 

Schräg und lebensklug

 

Was ist dieses Buch? Ein Roman? Ein Märchen? Eine Familiengeschichte? Eine philosophische Betrachtung?  Von allem etwas und doch nichts davon, so denke ich. Denn Schubladendenken ist nicht geeignet, sich diesem Buch zu nähern. Besser ist es, mit nichts als Neugier im Gepäck die Seiten aufzuschlagen und sich forttragen zu lassen.

 

Die Geschichte  „Vom Esel, der fliegen wollte“, sehr stimmig illustriert von  Gino Caspari, stellt den Mittelteil des Buches dar, sowohl trennend als auch verbindend, allemal symbolisch passend. Teil 1 beschreibt das Leben von Filomena, Teil 2 das Leben von Lionel, dem Sohn von Filomena. Der Leser wandert durch die Jahre, beginnend 1938 und endend 2015. Mehr erzähle ich nicht vom Inhalt, denn besser ist es, mit nichts als Neugier im Gepäck… siehe oben.

 

Mit dem vorliegenden Buch kann man sich lange beschäftigen. Man begegnet Menschen, die einen nicht mehr loslassen, sei es durch ihre Hilflosigkeit dem Schicksal gegenüber, sei es durch eine in ihnen steckende ganz besondere gute oder schreckliche Kraft. Nicht nur die in bitterer Armut und von ihren Brüdern gequält aufwachsende Filomena oder der ansteckend fröhlich-positive Jean, auch dieser still-nachdenkliche Lionel und all die anderen im Buch auftauchenden Nebenfiguren sind vom Autor so eindringlich, geradezu schmerzhaft eindrücklich gezeichnet, dass man sie nicht mehr vergisst. Es wird viel gestorben in diesem Buch, mit stillen oder grausamen, erlösenden oder qualvollen, überraschenden oder erwarteten Toden. Und es wird viel geliebt, mit Brachialgewalt oder ganz schwerelos. Dem Autor gelingt es auf beeindruckende Weise, dem Leser mit tiefem Ernst und verschmitztem Lächeln gleichermaßen seine Geschichte der Grundfragen des Lebens vorzusetzen. „Ich möchte den Tod zum Leben erwecken“, schreibt der Autor in seiner Schlussbemerkung, und erzählt im Epilog von einer viel besuchten sprechenden Eselskulptur auf dem Grab von Lionel. Schräg und lebensklug, wie es besser nicht geht.

 

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Katya Apekina

Je tiefer das Wasser

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 396 Seiten

·         Verlag: Suhrkamp Verlag

·         ISBN-13: 978-3518429075

JetieferdasWasser

 

Bin vom Psycho-Puzzle genervt

 

Es hilft nichts: Ich mag dieses Buch nicht. Ich mag es gar nicht. Ich finde nichts daran, was ich mögen könnte.

 

Edie und Mae sind Schwestern und haben eine schwere Kindheit und Jugend, da ihre Mutter psychisch krank ist. Nach einem Selbstmordversuch wird sie in einer Klinik für längere Zeit behandelt, und die Geschwister müssen von Lousiana nach New York umziehen zu ihrem Vater Dennis, einem berühmten Schriftsteller. Der hatte schon vor 10 Jahren die Familie verlassen, was ihm Edie nicht verzeihen kann. Auch den Umzug als solchen empfindet Edie wie einen Verrat. Mae dagegen versucht, mit der neuen Situation so gut wie möglich zurecht zu kommen. Im Grunde erlebt sie das neue Leben beim Vater befreiend. Der Bruch scheint  unvermeidlich.

 

Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass die Autorin in diesem Erstlingsroman die Leser missbraucht, indem sie ihre Geschichte auf die Leser loslässt, all die darin enthaltenen Obsessionen und psychischen Irrungen und Wirrungen vor den Lesern ausbreitet, sie dann jedoch damit allein lässt. Die Leser dienen wie in einer Selbsthilfegruppe der Autorin als hilflose und stumme Zuhörerschaft. Das Buch ist ein Puzzle aus vielen, vielen Einzelteilen, denn in teilweise kürzesten Kapiteln berichten viele Menschen aus ihrer Sicht über einzelne Szenen, allen voran natürlich Edie und Mae. Zwar weiten sich die individuellen Bilder des Geschehens, wenn aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, aber obwohl es eine so große Fülle an Kapitel-Schnipseln sind, passen sie letztlich nicht zusammen, ergeben zumindest für mich kein vollständiges Bild, dem man etwas Konkretes, Fassbares, Schlüssiges entnehmen könnte. Unendlich mühsam bis langweilig zu lesen war für mich diese endlose Aneinanderreihung von düsteren Szenen über Ängste, Unsicherheiten, Verwirrnis, Verkennung der Wirklichkeiten und Schuldzuweisungen. Und dies letztlich ohne jegliche nachzuvollziehende Botschaft außer vielleicht der, wie krank Beziehungen in einer Familie sein können.

  

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Charlotte Roth

Die ganze Welt ist eine große Geschichte und wir spielen darin mit

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 432 Seiten

·         Verlag: Eisele Verlag

·         ISBN-13: 978-3961610693

#DieganzeWeltisteinegroßeGeschichteundwirspielendarinmit

 

Berauschend gut geschrieben

 

 

Charlotte Roth, Literaturwissenschaftlerin und Autorin, ist mit dem vorliegenden Buch etwas ganz Besonderes und absolut Bewundernswertes gelungen. Nämlich eine romanhafte, poetisch erzählte Biographie, die so viel mehr als eine Biographie ist. Eher ein Erspüren, ein Nachspüren dessen, was Michael Ende ausmachte. Eine Roman-Biographie also als etwas Er-Dichtetes, als etwas Ver-Dichtetes im direkten Wortsinn. Nein, Charlotte Roth ist keine Biographin, sondern eine künstlerische Gestalterin eines Lebens, in das sie tief, tief eingedrungen ist und das sie mit ihrer persönlichen wunderbar poetischen Sprache wiedergibt. Und womöglich kommt Charlotte Roth und mit ihr somit auch der Leser dem Menschen Michael Ende dadurch sehr viel näher als jegliche theoretische, chronologische Auflistung an Lebens- und Werkfakten es je leisten könnte.

 

Der Titel (ein Zitat aus „Momo“) könnte gar nicht treffender sein, aber verkaufsfördernd ist er vermutlich nicht, denn für den oberflächlich schweifenden Blick eines Menschen in einer Buchhandlung ist er zu lang. Oder wirkt er vielleicht gerade deshalb anziehend? Wie auch immer, hinter dem Titel verbirgt sich ein Buch, das zu lesen mich begeistert hat wie schon lange keines mehr und dem ich viele vorurteilsfreie Leser wünsche.

 

Über den Inhalt muss man nicht viel erzählen. Der Roman beginnt mit dem Elternhaus von Michael Ende. Sowohl der Vater, Edgar Ende, eine schwierige Künstlerpersönlichkeit, als auch die Mutter Luise, erfüllt von geradezu besitzergreifender Liebe zu Michael, lernen wir sehr ausführlich kennen, was dem Leser ein gewisses Grundverständnis für die Persönlichkeit Michael Endes schenkt. Wir verfolgen seinen Lebensweg, sein verzweifeltes Ringen, sein permanentes Suchen, unterbrochen von nur kurzen Zeiten des entspannten Zurücklehnens, des wachsenden Erfolges. Wir erleben mit Michael Ende Lüge und Betrug, Neid und Profitgier und am schlimmsten schmerzend viel Unverständnis.

  

Der Schreibstil der Autorin ist sensibel, inhaltsreich, psychologisch klug, mit großer emotionaler Kraft, deshalb nichts für oberflächliche Schnellleser. Zuviel steckt in den Sätzen. Ihre intensiven Beschreibungen, ihre Wortbilder wirken an manchen Stellen fast so surreal wie die Bilder von Edgar Ende, dem Vater. Allein schon wie es Charlotte Roth gelingt, sich in das Kind Michael einzufühlen, das zwischen Verzärtelung, bitterer Armut, Elternstreit und politischer Zeit-Verzweiflung aufwächst, mit einer Mutter, „die nach innen weint“, das ist unfassbar gut und psychologisch tief. Sie schreibt poetisch, bilderreich, intelligent, einfühlsam,  mit Kopf und Herz gleichermaßen, ohne je zu werten, in den ihr eigenen intensiven Sprachbildern. Eine Roman-Biographie von großer sprachlicher Kraft über einen lebenslang verzweifelt Suchenden, berauschend gut geschrieben.

 

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Milena Agus

Eine fast perfekte Welt

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 208 Seiten

·         Verlag: dtv Verlagsgesellschaft

·         ISBN-13: 978-3423282116

·         Originaltitel:  Terre promesse

#EinefastperfekteWelt

 

Melancholisch und poetisch

 

Die Autorin wünscht sich den idealen Leser als einen, der sich in einer Rettungsaktion engagiert, bei der alles, was verloren zu gehen droht, vor dem Vergessen bewahrt wird. Dieser Gedanke hat mich eine ganz andere Seite des Lesens erkennen lassen: Der Autor beschreibt etwas, und der Leser bewahrt es. Ein Leben vielleicht, Erfahrungen, Erlebnisse, Entdeckungen.  Im vorliegenden Buch geht es um Sardinien, so wie es vor drei Generationen war, steinig, ursprünglich, arm. Und um Menschen auf der Sinnsuche.

  

Nur 200 Seiten, aber diese Seiten sind so prall voller Warten, Sehnsucht, Traurigkeit, Liebe, Hoffnung, Zorn, Gelassenheit – voller Leben.

 

Ester wartet Jahre auf ihren Geliebten, und als sie ihn endlich heiraten kann und nach Genua zieht, ist sie unglücklich, sehnt sich nach ihrem Dorf zurück. Aber auch dort bleibt in ihr diese ewige Sehnsucht. Ihre Tochter Felicita lebt sich leichter, denn sie ist ein in sich ruhender, gelassener Mensch. Deren Sohn Gregorio jedoch ist unstet, es zieht ihn fort, egal wo er ist, er läuft weg.

  

Melancholisch und humorvoll, träumerisch und in zarten Farben, zuweilen in eindringlich dichten Szenen erzählt Milena Agus von Menschen, die auf sehr unterschiedliche Weise ihr Leben teils passiv hinnehmen, teils aktiv gestalten, teils nur davon träumen, was sein könnte. In einer sehr berührenden poetischen Sprache, unaufdringlich und leise beschreibt die Autorin Außergewöhnliches und Alltägliches. Und genau diese leise Erzählweise ist es, die dem Leser im Herz haften bleibt.

 

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David Nicholls

Sweet Sorrow

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 512 Seiten

·         Verlag: Ullstein Hardcover

·         ISBN-13: 978-3550200571

·         Originaltitel: Sweet Sorrow

#SweetSorrow

 

Weniger wäre mehr gewesen

 

Da ich von David Nicholls noch nichts gelesen hatte, sehr wohl aber einiges über ihn bzw. über frühere Bücher von ihm, begann ich den vorliegenden Roman mit relativ hohen Erwartungen. Die leider enttäuscht wurden. 

 

Worum geht es? Charlie Lewis erinnert sich an seine erste große Liebe vor zwanzig Jahren. Er erinnert sich an dieses aufregende Gefühl der Jugend, wenn die Zukunft wie eine Wundertüte an Überraschungen vor einem liegt. Und er erinnert sich, als er, der Durchschnittsschüler mit „Mangel an Eigenschaften“,  mit Fran Fisher einen unvergesslichen Sommer erlebte. 

 

So weit so gut. David Nicholls kann schreiben, keine Frage. Was er jedoch offensichtlich nicht kann, ist, sich im Schreiben zu beschränken, sich zu reduzieren auf Essentielles. Zunächst hatte ich große Mühe mit dem Schreibstil, der mich nicht „mitnahm“. Ich ertappte mich des Öfteren beim rein mechanischen Lesen ohne jegliche innere Beteiligung. Das wurde im Laufe des Buches zwar besser, dafür jedoch wuchs das Gefühl in mir, von der Fülle an Details erstickt zu werden und mich durch das permanente Drehen im Kreis der gleichen Themen schwindlig zu lesen. Auch die oftmals sehr kurzen Zeitsprünge empfand ich als anstrengend. Gut dagegen gefiel mir der immer wieder aufblitzende Humor, der möglichem Abgleiten in den Kitsch keine Chance ließ. Gut gefielen mir auch die schönen Schilderungen der leisen Szenen der Wehmut, der aufblitzenden Erinnerungen an die kleinen Dinge, an Freuden und Niederlagen. Und gut gefiel mir, dass Shakespeare immer wieder durch die Zeilen blinzelte.

 

Fazit: Gut geschrieben, aber weniger wäre mehr gewesen.

 

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Barbara Kunrath

Geteilt durch zwei

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 400 Seiten

·        Verlag: Ullstein

·         ISBN: 978-3-548-06049-1

#Geteiltdurchzwei

 

 

Zweigeteilte Meinung

  

Zweigeteilt hat mich die Lektüre dieses Buches zurückgelassen. Zweigeteilt zwischen Faszination und Genervt-Sein, zwischen Einfühlung und Langeweile. 

 

Nadja hat seit jeher das Gefühl, dass ihr etwas Entscheidendes fehlt, ohne dass sie es konkret benennen kann. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt ein zufriedenes Leben. Dass sie als Kind adoptiert worden war, hatte sie früh erfahren, ohne dass es ihr je Probleme bereitet hätte. Alles verändert sich jedoch schlagartig, als sie zufällig erfährt, dass sie eine Zwillingsschwester hat. Plötzlich weiß Nadja, was ihr über all die Jahre hinweg gefehlt hatte. Aber es tun sich auch viele, viele neue Fragen auf. 

  

Und genau hier beginnt für mich dieser Zwiespalt beim Lesen des Buches. Eigentlich wird die Geschichte sehr detailliert und feinfühlig erzählt. Es gelingt relativ gut, sich in Nadjas Befindlichkeiten einzufühlen. Nadja stürzt sich auf eine Suche nach ihren Wurzeln anhand der Begegnungen mit Pia, ihrer Zwillingsschwester, und dies mit einer Vehemenz bzw. Besessenheit, die für mich nur schwer nachvollziehbar ist. Sie versucht Verbindendes, Vertrautes zu finden und begegnet doch eher Trennendem. Sie begegnet mit dem Blick auf ihre Zwillingsschwester sich selbst wie neu. Und diese Begegnungen wiederholen sich

 

im Buch wie in Dauerschleife, mit neuen Details, auch mit neuen Einblicken in die Kindheitsvergangenheit, aber eben dennoch geht es letztlich immer und immer und immer nur um Nadja und ihre Gefühle, um ihr Aufspüren von Gemeinsamem und Fremdem, um Entdecken von Trennendem und Verbindendem. Der Hintergrund einer durchaus tragisch zu nennenden Familiengeschichte wird zunehmend aufgedeckt, aber irgendwie auch nicht wirklich verarbeitet. So gekonnt dieser Roman einerseits geschrieben ist, so ging er mir doch je länger ich las zunehmend auf die Nerven. Die Protagonisten waren mir allesamt unsympathisch, ich fand sie anstrengend, einerseits überreflektierend, andererseits aber auch wieder völlig unreflektiert. Was soll der Leser an Erkenntnissen aus diesem Roman ziehen? Ich weiß es wirklich nicht.

 

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Simon Strauss

Römische Tage

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 142 Seiten

·         Verlag: Tropen

·         ISBN-13: 978-3608504361

#RömischeTage

 

„Das Alte neu denken“

 

Man könnte es sich als Leser einfach machen und das Büchlein betrachten als eine Autorengrätsche zwischen dem antiken Rom, dem Rom damals und dem lebendig-quirligen Rom, dem Rom heute. Ein  junger Mann, der Autor,  lebt für einige Wochen in der ewigen Stadt, treibt durch Altes, erlebt Neues, trifft Menschen und schreibt es auf. Soweit so gut.

 

Und doch ist dieses kleine Büchlein so unendlich viel mehr. Ich habe mich als Leser vom Autor durch die Gassen treiben lassen, habe mit ihm feinste Beobachtungen bis ins Ameisenleben hinein geteilt, habe mit ihm die 6 Zehen auf dem Ludovisischen Thron entdeckt und in der Sonnenhitze sterbende Katzenkinder, habe mit ihm inmitten merkantiler Koordinaten der Stelle nachgespürt, an der Caesar ermordet wurde und habe mit ihm Kirchen als Schutzräume unserer aufgeriebenen Gemüter erlebt.  Man wird als Leser mit weichen Worten wie auf einer philosophischen Sänfte durch die Gegend über die Zeiten hinweg getragen. Und immer, immer steht irgendwo hinter diesem Füllhorn an Erinnerungen und historisch Belegtem, an diesem ganzen Durcheinander von Heute und Gestern die Angst des Autors vor der eigenen Sterblichkeit. Das Stechen des Herzens treibt an innere Grenzen. Wenn der eigene Puls steigt, steigen die essentiellen Fragen aus dem Dunkel: Wer bist du? Wer willst du sein? Die Steine Roms, diese Großarchivare des Lebens über die Zeiten hinweg – diese ewige Konstante, das unausschöpfliche Rom – lässt den Autor schaudern einerseits und Trost finden andererseits. Denn irgendwie ahnt er durch alle Verwirrungen hinweg, dass es ohne das Vergangene nichts Gegenwärtiges gibt.

 

Eine schöne, eine eindrückliche, eine sprachlich subtile Reise durfte ich da mit Simon Strauss machen. Hat mir gut gefallen.

 

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Susanne Oswald

Der kleine Strickladen in den Highlands

 

 

·         Taschenbuch: 304 Seiten

·         Verlag: MIRA Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3745700442

 

#DerkleineStrickladenindenHighlands

 

Entspannend wie ein Schaumbad

 

Man nehme ein wohlig warmes Schaumbad, randvoll mit duftenden Schaumbläschen, die beim Zerplatzen ein ganz leises Geräusch machen und auf der Haut kitzeln. Man tauche ein in die entspannende Wärme und genieße den Augenblick. Genau so und nicht anders sollte man das vorliegende Buch lesen. Als entspannende Wohlfühlzeit. Nach dem Bad, nach der Lektüre, taucht man wieder ein ins echte Leben, schüttelt ein wenig den Kopf über das Gelesene, fühlt sich aber entspannt und locker.

  

Schottland,  Regen, Kälte, eisiger Wind. Maighread hat sich nach Trennung von ihrem Freund Dylan aufgemacht, um in der Hügellandschaft der Highlands ihre totgeglaubte Großmutter aufzusuchen, die jedoch nicht bereit ist, mit ihr zu sprechen. Ein unausgesprochenes Familiengeheimnis belastet Mutter und Großmutter von Maighread dauerhaft. Wie gut, dass Maighread Unterstützung findet in liebenswerten Menschen, die sie freundlich, ja geradezu freundschaftlich aufnehmen. Besonders Joshua, der Schafzüchter, kommt Maighread näher, als erwartet. Maighread liebt Wolle, sie liebt das Stricken und träumt von einem eigenen kleinen Strickladen. Doch dieser Traum scheint in weiter Ferne…

  

Die vorhersehbare Geschichte wird unterhaltsam erzählt, das ja. Das Buch liest sich leicht, sehr leicht. Ein wenig Humor würzt die Geschichte. Aber, wo bitte gibt es im echten Leben diese Ansammlung von liebenswerten Menschen, wie sie im Buch geschildert werden? Menschen, die ohne jeden Fehl und Tadel sind. Nichts Böses weit und breit. Und wenn sich die Protagonisten mal selber auf den Füßen stehen, hilft das Schicksal ganz schnell wieder auf den richtigen Weg. Ach ja, kann man als Leser nur seufzen, wenn das echte Leben nur auch so wäre. Am ehrlichsten sind noch die Hunde beschrieben. Da ich selbst der Haptik von Wolle verfallen bin und die meditativ-heilsame Wirkung des Strickens überaus schätze, auch viele Jahre in diesem Bereich selbständig war, wurde ich verlockt, das Buch zu lesen. Aber ehrlich gesagt, wurde es mir letztlich etwas zuviel an Weichgespültem. Ich kenne niemanden, der zu Handgestricktem „bezaubernd“ ausruft, eher „zu teuer“, „Wolle verträgt meine Haut nicht“, „ist nicht waschmaschinenfest“ u.v.a. Ich kenne niemanden, der vor Begeisterung über ein Noppenmuster so ausflippt wie Eilidh. Ach ja, und ein kuschliger kleiner Wollladen, in dem durchweg freundliche Kunden Tee trinken, wie ihn sich Maighred vorstellt, der könnte kein halbes Jahr überleben. – Träume sind Schäume. Ein Buch wie ein Schaumbad eben,  weit, weit weg von der Wirklichkeit, egal ob in Schottland oder sonstwo, aber entspannend allemal.

 

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 Bettina Storks

 Leas Spuren

 

 

 ·         Taschenbuch: 464 Seiten

 ·         Verlag: Diana Verlag

 ·         ISBN-13: 978-3453360464

 #LeasSpuren

 

 Bewegend, fesselnd, spannend, ernsthaft

 

Bettina Storks war mir bislang nicht bekannt. Doch die Leseerfahrung des vorliegenden Buches hat mich überzeugt und weckt nachhaltig mein Interesse an dieser Autorin.

 

Die Handlung bewegt sich auf verschiedenen Zeitebenen. Im Jahr 2016 erfährt die Stuttgarter Historikerin Marie von einem lukrativen Erbe, das jedoch erst mit Erfüllung einer Aufgabe anzutreten wäre. Sie soll gemeinsam mit dem französischen Journalisten Nicolas ein verschollenes Gemälde finden und es den möglichen Überlebenden einer jüdischen Pariser Familie zurückgeben. In Rückblicken erleben wir, wie um 1940 Victor Blanc seine Arbeit in der Botschaft aufnimmt, um sich um „herrenlose Objekte“ zu kümmern. Und wir werden 1947  mitten in die Besatzungszeit, in die Nachbeben des Zweiten Weltkrieges, geführt und erfahren von der unerlaubten Liebe zwischen Charlotte, der Großtante von Marie, und Victor, dem Großvater von Nicolas, zwischen Kunstraub und Résistance. Die schwierigen Nachforschungen von Marie und Nicolas 2016 scheinen an einer Mauer des Schweigens zu scheitern, führen aber schließlich immer tiefer in erschreckende Zusammenhänge.

 

„Nur Gefühle beeindrucken die Menschen“ – diesen Satz der von mir überaus geschätzten Autorin Gabriele Diechler scheint Bettina Storks auf perfekte Weise verinnerlicht zu haben. Denn das vorliegende Buch packt den Leser, fesselt ihn und lässt ihn nicht mehr los. Weil man sich jenseits des Geschehens intensiv mit den Protagonisten emotional verbunden fühlt. Weil man ihre geschilderten Empfindungen unmittelbar miterlebt. Auch versteht es Bettina Storks außerordentlich gut, innerseelische Prozesse anhand von äußeren Geschehnissen bildlich spürbar werden zu lassen. Viele Szenen bleiben sehr nachdrücklich im Gedächtnis, auch nach Beendigung der Lektüre. Insgesamt gesehen ist das Buch eine großartig gestaltete Mischung aus historisch Belegtem und romanhaft Erfundenem, spannend, lebendig, intensiv erzählt. Das Buch wirft Fragen auf, denen sich der Leser stellen sollte. Denn welche Verantwortung tragen nachfolgende Generationen für die Gräueltaten der Nazis? Und kann die Schuld des Wegsehens oder gar Mitmachens je getilgt werden?

 

Auf S. 455 steht vielleicht eine Antwort: „Eines der kostbarsten Geschenke ist, dass wir eine Wahl haben….Den inneren Kompass zu finden, ihm zu vertrauen und sich nach ihm als einziger Instanz zu richten, ist eine Lebensaufgabe“…

 

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Gabriele Diechler

Schokoladentage

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 478 Seiten

·         Verlag: Insel Verlag

·         ISBN: 978-3-458-36442-9

#Schokoladentage

 

Eine perfekte Komposition in Dur und Moll

 

„Nur Gefühle beeindrucken die Menschen“. Mit diesem Satz verrät die Autorin eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. Denn ihre Bücher transportieren Gefühle, und zwar ohne Pathos und ohne Kitsch. Warum ist Gabriele Diechler eine meiner Lieblingsautorinnen, vielleicht sogar DIE Lieblingsautorin? Natürlich in erster Linie wegen ihrer gekonnt geschriebenen Bücher, keine Frage. Aber mehr noch, weil ihre herzerwärmend positive Persönlichkeit so direkt, so unmittelbar spürbar wird auf jeder einzelnen Buchseite und sie damit dem Leser auf seltsam individuelle Weise nahekommt, so als sei das Buch ganz allein nur für ihn selbst geschrieben worden.

 

Alwy, eine junge Patissière, kommt aus Tokio zurück. Sie hat sich von ihrem langjährigen Partner getrennt und steigt nun bei ihrer Freundin Tina in Salzburg in deren Patisserie ein. Finanziell befindet sich Tina mit ihrem Laden in einer schwierigen Lage. Gemeinsam mit vielen kreativen Ideen und vollem Arbeitseinsatz schaffen die beiden Freundinnen erste Erfolge.  Doch da wird das „Cake Couture“ erneut bedroht durch die Machenschaften eines Bauinvestors. Der Kampf um den Laden, um die berufliche Existenz wird zum Kampf um das eigene Lebensglück, um Beziehungen, um Freundschaft,  um die Erkenntnis, was wirklich wichtig ist im Leben.   

 

Der Roman erscheint mir in seiner Gesamtheit inszeniert wie eine Mozart-Oper. Und das nicht nur, weil er in Salzburg spielt, in dieser wunderschönen Stadt, deren Lebensimpuls Musik zu sein scheint. Die Ouvertüre ist dramatisch und enthält bereits eine Ahnung des späteren Geschehens. Der Leser weiß vom Paukenschlag des Anfangs an, dass er nicht einen der üblichen Frauenromane in der Hand hält. Mozart hat mit leichter Hand Schweres komponiert. Und so schreibt Gabriele Diechler. Mit leichter Hand erzählt sie Wesentliches. Es gibt viele Tempi-Wechsel, Rezitative, die die Handlung weitertragen und betörend schöne Solo-Arien, deren reine Melodien unmittelbar zu Herzen gehen. Genauso spielt die Autorin mit den Geschehnissen, indem sie das Grundmotiv in vielen Variationen ausarbeitet in der ganzen Bandbreite dessen, was Menschen empfinden können. Eine Fülle schöner Bilder, schöner Gedanken bereichert den Leser. Selbst in schwierigen Situationen wird keiner der Protagonisten abwertend-negativ gezeichnet. Immer bleibt ein Funken Respekt, ein Funken Verständnis. Mozart besaß das Geheimwissen der Freimaurer. Gabriele Diechler hat tiefes Herzenswissen. Das macht das Lesen ihrer Bücher besonders.

 

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 Oliver Pötzsch

 Der Lehrmeister

 

 

 ·         Gebundene Ausgabe: 800 Seiten

 ·         Verlag: List Hardcover

 ·         ISBN-13: 978-3471351604

       #DerLehrmeister

  

800 Seiten Lesegenuss pur

 

Der mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnete Autor legt mit „Der Lehrmeister“ den zweiten Band rund um den berühmten Magier Johann Georg  Faustus vor.  800 Seiten prall gefüllt mit lebendig-farbiger  Erzählfreude. Da ich den ersten Band nicht kenne und historische Romane nicht mein bevorzugtes Genre sind, fürchtete ich mich etwas vor dem schwergewichtigen Werk. Andererseits war ich neugierig darauf, mehr über Faustus zu erfahren, denn ich wohne in unmittelbarer Nähe einer Faust-Stadt, in der Dr. Faustus durch sein Wirken bis heute allerlei Spuren hinterlassen hat.

 

Band 2 beginnt ca. 6 Jahre nach der Flucht aus Nürnberg. Dr. Faustus zieht durch die Lande und verdient sich seinen Unterhalt mit Quacksalberei und Zauberei. Doch er hat viele Feinde, die alles daran setzen, ihn in ihre Gewalt zu bringen. Sowohl Papst Leo als auch König Franz I. von Frankreich glauben wie viele andere, dass Dr. Faustus Gold machen könne, und nichts wollen die Mächtigen mehr, als zu Reichtum zu kommen. Und so befindet sich der Leser mit Dr. Faustus und seinen Lieben unentwegt auf der Flucht von Bamberg über die Pfalz und das Elsass bis nach Rom. Neben einer Fülle von gefährlichen Situationen und schaurig-grausamen Begebenheiten erleben wir auch eindrücklich die Begegnungen mit historisch bekannten Persönlichkeiten des frühen 16. Jahrhunderts, wie zum Beispiel mit dem Genie Leonardo da Vinci.

 

Es ist schon eine große Autorenleistung, dass über das gesamte umfangreiche Buch hinweg keine Langeweile aufkommt. Lebendig und fesselnd im Schreibstil lassen die spannenden Schilderungen die Welt rund um Dr. Faustus und seine Erlebnisse sowie das Denken und Handeln der Menschen in der damaligen Zeit zum farbig-lebendigen Kopfkino werden. Man spürt, dass der Autor sehr sorgfältig und umfassend recherchiert hat, zwar sich gelegentlich der Fantasie bedient, um die Erzählung voranzubringen, aber dennoch sehr nah an den tatsächlich überlieferten historischen Begebenheiten bleibt. Fließende Grenzen zwischen Alchemie, Esoterik, Glauben und recherchierten politischen Hintergründen, die drastisch-schaurig geschilderten Grausamkeiten des Ritters Gilles de Rais und ein Buchschluss mit dem Überlebenskünstler Faustus, der auf eine Fortsetzung hoffen lässt – das Buch ist ein Füllhorn an rasant erzählten Geschichten und Lesegenuss pur!

 

 

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Caroline Bernard

Frida Kahlo

 

 

·         Taschenbuch: 400 Seiten

·         Verlag: Aufbau Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3746635910

      #FridaKahlo

 

Der Schmerz, die Liebe und die Kunst

 

Da ich schon lange ein Fan der ausdrucksstarken, verstörenden Bilder der Malerin Frida Kahlo bin, war ich sehr neugierig auf das vorliegende Buch. Nun, es ist ein Roman, keine Biographie. Darüber sollte man sich von Anfang an im Klaren sein, um keine falschen Erwartungen zu hegen. Die Autorin hat versucht, ein Portrait der Malerin in erzählender Form zu zeichnen, wobei sie den Schwerpunkt ihres Erzählens auf das Thema legt, das in Romanen mehr oder weniger stets zu dem zentralen Thema zählt: die Liebe.

 

Das Buch beginnt im Jahr1925 in Mexiko, und wir erleben Frida Kahlo, gerade eben noch voller Vorfreude auf ihr Medizinstudium, und Minuten später durch einen schrecklichen Busunfall all ihrer Zukunftshoffnungen beraubt. Ein jahrelanger Gesundungsprozess beginnt. Durch Diego Rivera, ein charismatisches Malergenie, lernt sie die Magie der Kunst kennen. Diego glaubt an ihre künstlerischen Fähigkeiten und schenkt ihr Ermutigung. Aber er betrügt sie auch und verletzt sie zutiefst. Es wird sich im Laufe des Buches zeigen, dass die beiden wie mit einem Gummiband lebenslang miteinander verbunden bleiben werden. Sie kommen nicht voneinander los, so sehr sie sich auch darum bemühen. Nicht nur Diego hat zahlreiche Affären, auch Frida lebt alles aus, was sich ihr bietet, trotz der körperlichen Einschränkungen. Das Malen hilft ihr immer wieder, mit den vielen Schicksalsschlägen fertig zu werden. Sie malt verstörende Bilder, in denen der Schmerz das zentrale Thema ist und bleibt. Ihr künstlerisches Talent tritt über die Jahre hinweg immer mehr in den Vordergrund. Viel zu früh stirbt sie im Jahr 1954 mit nur 47 Jahren.

 

Frida Kahlo war eine exaltierte, schillernde Persönlichkeit von enormer innerer Stärke. Und genau hier setzt mein Kritikpunkt an. Denn der Roman hätte, um der Person Frida Kahlo besser gerecht zu werden, genau so eine schillernde  und explosiv-lebendige Darstellungsweise verdient. Der Roman berichtet zwar relativ biographie-getreu, aber genau diese Stärke ist die eigentliche Schwäche des Buches. Denn es gibt zu viele Passagen des eher sachlichen Berichtens von Begebenheiten ohne Belang, und nur zwischendrin finden sich ausgearbeitete, plastische, von Farbigkeit strotzende Szenen, die die zerrissene Persönlichkeit Fridas erahnen lassen. Das verzehrende Feuer einer großen Künstlerin sprang nur gelegentlich auf mich als Leser über. Zuviel wurde dem ewigen Hin und Her zwischen Diego und Frida Platz eingeräumt. Ähnlich erging es mir übrigens mit der Autorin bereits in „Die Muse von Wien“, in der das Essentielle der Beziehung zwischen Alma und Gustav Mahler, nämlich die Musik, auch wenig Platz hatte.

 

Kurzum: Sorgfältig recherchierter, stellenweise biographisch-sachlich erzählter, dann wiederum in packend-farbige Szenen gesetzter Roman, in dem die ungewöhnliche und tiefe Liebe zwischen Frida und Diego in all ihren Facetten den Mittelpunkt bildet.

 

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Cecilia Ahern

Postscript – Was ich dir noch sagen möchte

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 432 Seiten

·         Verlag: FISCHER Krüger

·         ISBN-13: 978-3810530677

#Postscriptwasichdirnochsagenmöchte

 

 

Schweres Thema, zu einfach in Worte verpackt

 

Von Cecilia Ahern hatte ich bislang noch kein Buch gelesen. Da die Autorin offensichtlich außerordentlich erfolgreich ist, war ich sehr neugierig auf sie und auf ihr vorliegendes neues Buch.

 

Es handelt sich um die Fortsetzung zu „P.S. Ich liebe Dich“, wobei ich glaube, dass man das neue Buch durchaus auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes lesen kann, denn durch Rückblicke und Erinnerungen erfährt man genug über die Vorgeschichte, sodass es keinerlei Verständnisprobleme gibt. Holly Kennedy, deren geliebter Mann Gerry vor 7 Jahren im Alter von nur 30 Jahren an Krebs verstorben war, hat es im Laufe der Jahre geschafft, sich wieder dem Leben (und einem neuen Partner) zuzuwenden. Sie ist mutig genug, in einem Podcast von ihrer eigenen Trauererfahrung zu berichten und davon, welch ein Geschenk es für sie bedeutet hatte, dass Gerry ihr eine Reihe von Briefen hinterlassen hatte, durch die sie sich in der schlimmsten Zeit ihres Lebens begleitet fühlte. Davon angesprochen wendet sich eine kleine Gruppe von Menschen an sie, alle unheilbar krank und alle mit dem Wunsch, ihren Liebsten ebenfalls solch hilfreiche Botschaften zu hinterlassen. Holly soll ihnen dabei helfen. Obwohl sie eigentlich nicht mehr in die dunkle Zeit ihres Lebens zurückgezogen werden möchte, beginnt Holly dennoch, sich diesen Menschen ganz individuell zuzuwenden und erfährt dadurch selbst völlig überraschend eine neue Sicht auf ihr eigenes Leben.

 

Mit den ganz großen Lebensthemen beschäftigt sich Cecilia Ahern in diesem Buch. Sterben und Leben, Liebe, Schmerz, Glück, was bleibt von uns, wenn wir nicht mehr da sind? Mich lässt das Buch nach Lektüre gemischt zurück. Denn obwohl ich mich selbst immer wieder mit diesen essentiellen Lebensfragen beschäftige – oder vielleicht gerade weil ich mich damit beschäftige – überwiegt bei mir beim Lesen das Gefühl der Oberflächlichkeit. Da wird beispielsweise ausführlich und detailgenau berichtet, wie die Auswahl an Briefpapier im Geschäft stattfindet. Wenn es dann jedoch um Inhalte gehen sollte, bleibt die Erzählweise vage, unbestimmt, ungenau, undurchdacht geradezu. Zwar gibt es durchaus auch einige kürzere tiefsinnigere Passagen, die bewegen und berühren. Auch gefällt mir der mitunter eingesetzte Humor, der leicht genug ist, um die traurige Grundstimmung zu heben, ohne geschmacklos zu wirken. Ermüdend jedoch empfand ich die sich wiederholenden Stellen des endlosen Hin- und Herdenkens, da sie stets an der Oberfläche hängen blieben. Auch wirkt die Darstellung der Protagonisten insgesamt zu flach, wenig lebendig, gefühlsmäßig nicht wirklich fassbar. Und das wiederum wirkt sich auf das gesamte Buch leider so sehr aus, dass als Fazit für mich bleibt: Schweres Thema, zu einfach in Worte verpackt.

 

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Ulrich Alexander Boschwitz

Menschen neben dem Leben

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 303 Seiten

·         Verlag: Klett-Cotta

·         ISBN-13: 978-3608964097

#MenschennebendemLeben

 

Bedrückende und beschämende Milieustudie

 

1942 torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, auf dem sich der 27-jährige Ulrich Alexander Boschwitz befindet. Boschwitz wird dabei getötet. Zwei Romane sind von ihm geblieben und wurden glücklicherweise von Peter Graf herausgegeben. Unfassbar tiefen Eindruck hinterließ bei mir „Der Reisende“. Aber auch das vorliegende Buch, das Boschwitz mit 22 (!) schrieb, ließ mich in seiner Intensität erschauern. Welch ein Autor!

 

„Menschen neben dem Leben“  könnte keinen besseren Titel haben, denn es schildert das Berlin in den 1930er Jahren, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, und zwar die Welt der „kleinen Leute“, des Lumpenproletariats, der Menschen, die weit weg von Varieté und ausschweifendem Nachtleben um ihr Überleben kämpfen und um jedes Stück trocken Brot betteln müssen. Für die es einem Fest gleicht, wenn sie sich nach einer ertragreichen Betteltour ein Essen in einem der zur damaligen Zeit modernen Automatenrestaurants leisten können. Wir lernen Protagonisten kennen, deren Leben sich reduziert hat auf das Stillen der Grundbedürfnisse, die aber dennoch auch von Sehnsucht nach ein paar unbeschwerten Stunden erfüllt sind. Und so finden sie sich abends immer wieder im Fröhlichen Waidmann zusammen, einer typischen Berliner Kneipe. Der blinde Sonnenberg, der am Tag Streichholzschachteln verkauft und voll innerer Wut steckt, mit seiner geistig zurückgebliebenen Frau, die so gerne in Schaufenster guckt. Oder Tönnchen, der alles verspeist, was sich nur finden lässt. Der feige Grissmann, die verrückte Frau Fliebusch, der zu lang geratene klapperdürre Fundholz - jeder der Protagonisten verkörpert ein für die damalige Zeit typisches Leben als Bettler, Kriegsheimkehrer, Prostituierte, Verrückte. Sie treffen zusammen im Fröhlichen Waidmann, und obwohl sie nichts Gemeinsames haben außer der bitteren Armut, so gelingt es dem Alkohol auf sezierende Weise, ihre wahren Persönlichkeiten zum Vorschein zu bringen. Der Roman schildert diese aus der Zeit ins Elend Geworfenen mit einer Intensität, dass man glaubt, den Geruch feuchter modriger Kellerräume nie mehr loszuwerden. Und immer wieder hatte ich beim Lesen die Zeichnungen von Heinrich Zille vor Augen.

 

Ein unfassbar dichter, intensiver, eindrücklicher, lange nachwirkender Roman, der mich bedrückte und beschämte gleichermaßen, denn wie schreibt der Herausgeber Peter Graf in seinem Nachwort so treffend: „… bei der Lektüre von Ulrich Alexander Boschwitz wird einem … die eigene alltägliche Gleichgültigkeit gewahr, denn man weiß von fremdem Unglück immer so viel, wie man wissen will…“   

 

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William Melvin Kelley

Ein anderer Takt

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 304 Seiten

·         Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH

·         ISBN-13: 978-3455006261

         #EinandererTakt

 

Vollmundige Verlagswerbung – zu Recht?

 

Vor mir liegt die Wiederentdeckung eines Romans, 1962 erschienen, und zwar eines Erstlingsromans eines (fast) vergessenen Autors. „Gigant“ wird der Autor in der Presse genannt, „Eine literarische Sensation“ lobt man den Roman. Warum? Das Thema ist schon in so vielen Variationen behandelt worden, in so vielen unterschiedlichen Schreibstilen verpackt, mal mehr, mal weniger packend. Warum ist dieses Buch eine Sensation? Ehrlich gesagt – ich weiß es nicht.

 

Die Geschichte spielt in dem kleinen Dorf Sutton, in einem fiktiven Staat im Süden der USA gelegen. Der afroamerikanische Farmer Tucker Caliban versalzt seine Felder, schlachtet Pferd und Kuh, brennt sein Haus nieder und verlässt den Staat, gefolgt von dessen gesamter afroamerikanischer Bevölkerung. Was für ein Szenario, diese gesammelte Weigerung, noch länger in Unterdrückung zu leben. Besonders an der Erzählweise ist sicher, dass ein Afroamerikaner aus der Perspektive der zurückbleibenden Weißen berichtet. Wer wird von nun an die Feldarbeit übernehmen? Was soll nun überhaupt geschehen? Zorn und Hilflosigkeit gleichermaßen machen sich breit, schaukeln sich hoch zu einer gefährlichen Mischung…

 

Sehr hilfreich war für mich der dem Roman vorangesetzte erhellende Aufsatz über Leben und Werk des Autors William Melvin Kelley. So konnte ich den Roman etwas besser einordnen, auch den manchmal beißenden Humor besser verstehen. Dennoch hatte ich Mühe mit diesem Buch und habe es insgesamt gesehen einfach nicht gerne gelesen. Mit dem Schreibstil kam ich nicht zu Recht oder anders gesagt, die Sprache gefiel mir überhaupt nicht. Ich fand für mich keinen inneren Bezug zur Handlung und zu den Personen. Ich las das Buch gewissermaßen als Pflichtübung und empfand dies als anstrengend. Auch wenn der Inhalt natürlich letztlich heute noch so aktuell ist wie damals, keine Frage. Aber mir gab das Buch leider nichts, es hat mich nicht gepackt. Auch wenn es etwas Besonderes ist, dass ein schwarzer Autor aus Sicht der Weißen erzählt. Auch wenn es durchaus einzelne fesselnde Passagen im Buch gibt. Nein, für mich war das Buch leider keine Sensation.

 

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Peter Middendorp

Du gehörst mir

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 283 Seiten

·         Verlag: Freies Geistesleben

·         ISBN-13: 978-3772530135

·         #Dugehörstmir

 

Ein schmerzhaft dunkles Buch

 

 

Ein Buch, das verstört. Das den Leser fordert. Das geradezu unerträglich ist. Das gewaltsam gewaltig ist. Aber auch bescheiden. Einfach und schwierig. Und poetisch dazu. Intensiv allemal. Ein Buch, das schwer zu ertragen ist.

 

 

 

Das Buch beginnt etwas trügerisch so, als hätte es ursprünglich ein Thriller werden wollen: Tille, der Junge, erlebt hilflos mit, wie das Bein seines Vaters vom Mähdrescher „aufgefressen“ wird. Und er erlebt, dass er keine Rolle spielt, keiner sieht ihn an. Nicht nach dem Unfall, nicht später. Er ist ein Geringgeschätzter, lebt im Unvorhandensein. Er ist ein Niemand, der heranwächst, Familienvater wird. Tagaus tagein verrichtet er die Arbeit auf dem Bauernhof. Er ist pflichtbewusst, hat klare Regeln. Frau und Sohn bleiben Statisten in seinem Leben. Nur seine Tochter löst in ihm Gefühle aus, verwirrende Gefühle. Ein Mord an einem jungen Mädchen geschieht. Doch der Vergewaltiger und Mörder wird 13 Jahre lang nicht gefunden. Obwohl doch ein Flüchtlingsheim in der Nähe ist.

 

 

 

Ja, der Leser versteht schnell, dass Tille der Mörder war. Und dass das fremde Mädchen  stellvertretend für seine Tochter Opfer seines Begehrens geworden war. Insofern weicht das Buch in seiner Erzählweise völlig ab von allen Regeln des Spannungsaufbaus. Es sammelt Einblicke in das Innenleben von Tille, Puzzleteile eines klaustrophobisch engen Lebens. Der Leser ist gefordert, denn es wird nicht chronologisch erzählt, sondern die Zeiten fallen durcheinander, werden dem Leser wie Scherben vor die Füße geworfen. Wegweiser durch das Buch ist noch am ehesten die Natur, der Wandel der Natur durch die Jahreszeiten, und dann auch die Vögel, immer wieder die Vögel. Einerseits erzählt der Autor hart und nüchtern, was der harte und nüchterne Tille denkt,  beobachtet, sich selbst auferlegt. Andererseits sind Sätze im Buch zu finden, die von einer wunderbar poetischen Sprache sind, wie: „Nachts lag der Mond hinter den Pappeln halb tot auf dem Rücken.“ Oder „Der Herbst verblätterte grau das Jahr.“ 

 

Ein großartig geschriebenes, verwirrendes, dunkles, schmerzhaftes Buch, das aufmerksame Leser fordert und vom Wortmagier Peter Middendorp so tief in unser Buchgedächtnis eingepflanzt wird, dass wir die Erinnerung an so manche Szene nicht mehr loswerden.

 

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Ildikó von Kürthy

Es wird Zeit

 

·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

·         Verlag: Wunderlich

·         ISBN-13: 978-3805200431

·         #EswirdZeit

 

 

Lesen im Schleudergang zwischen Heiterkeit und Traurigkeit

 

Auf dieses Buch war ich nicht gefasst! Kannte ich doch Ildikó von Kürthy als humorvolle Kolumnistin und Verfasserin heiterer Frauenromane. Und jetzt dieses Buch, das mich umwarf, das mich mitten ins Zentrum traf, das mich schier zerquetschte zwischen Lachen und Weinen, das mich in einen Schleudergang versetzte  zwischen Aufbegehren und Einsicht, zwischen Heiterkeit und tiefer Traurigkeit.

Judith, knapp 50, kehrt in ihre Heimat zurück, um ihre Mutter zu begraben. Doch sie kehrt auch zurück zu altbekannten Hoffnungen, Träumen und Albträumen -  und zu einem 20 Jahre alten Geheimnis. Eine wiedergefundene Freundin lebt mit einer todbringenden Krankheit und Judiths bisheriges Leben einschließlich ihrer langjährigen Routine-Ehe gerät zunehmend aus den Fugen.

Leben, Tod, Lieben, Heimat, Verzeihen, Altern, Hoffen – keines dieser Themen bleibt ausgespart.Es wird Zeit handelt davon, dass Hoffnung nie falsch sein und man sich nie zu früh freuen kann. Es geht um die Schuld und die Wahrheit, um das Bindegewebe und die Liebe. Oder um das, was mal das Bindegewebe war. Und die Liebe. Dieses Buch ist ein Versprechen und eine Reise. Eine Reise bis ans Ende der Welt und vielleicht bis darüber hinaus,“ sagt Ildikó von Kürthy selbst über ihr Buch, und auch, dass ihr das Buch am Herzen liegt wie noch keines davor. Zurecht! Die Autorin schafft es auf unvergleichliche Art, geschliffen scharfe Pointen zum Bauchwehlachen zu setzen unmittelbar neben messerscharfe, sezierende, den Atem nehmende Innen- und Außenansichten eines Lebens in seiner Vergänglichkeit. Ja, ja, genau – so möchte man alle paar Seiten ausrufen, fühlt sich ertappt oder verstanden oder beides und bewundert zutiefst, wie die Autorin es schafft, sich genial zweischneidig durch das Innengeflecht des Lebens hindurchzuschreiben, tief traurig und hellauf lachend. Großartig!

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Maxim Huerta

Der Blumenladen der Mademoiselle Violeta

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 360 Seiten

·         Verlag: Thiele & Brandstätter Verlag

·         ISBN-13: 978-3851793772

·         #DerBlumenladenderMademoiselleVioleta

 

Die Poesie der Melancholie

 

 

Das Buch zu lesen war für mich  wie einen der französischen Filme anzuschauen, in denen nicht viel und doch alles geschieht. Romantisch, poetisch, melancholisch…

 

L’Ètoile Manquante ist eine Welt für sich – ein kleiner Blumenladen im Herzen von Saint-Germain. Sein 74-jähriger Besitzer Dominique Brulé liebt seine Blumen über alles, er hat das feine Gespür dafür, welche Blumen welchem Menschen gut tun und mitunter verschenkt er sie. So auch an die beiden älteren Damen Mercedes und Tilde, die regelmäßig in den Laden kommen. Sie sind zwei in der Einsamkeit gestrandete Spanierinnen, streitbar miteinander verbunden. Dominique Brulé selbst ist die Einsamkeit in Person, verloren in einer verlorenen Liebe, und doch aufmerksam für die Menschen um ihn herum. In dieses statische Gefüge einsamer Menschen bricht etwas Neues ein, als die junge Violeta sich als Aushilfe bei Monsieur Dominique bewirbt…

 

Ein leises, nein, ein stilles Buch ist das. Die Menschen sind leise, die Geschehnisse sind leise, die Welt der Blumen ist leise. Es gibt, wie es scheint, nur ein passives Sich-Ergeben dessen, was geschieht, kein Aufbegehren, kein Widerstand, nichts, was laut werden könnte. Der spanische Autor Maxim Huerta schreibt französischer als so manch ein französischer Autor. Es gelingen ihm eindringliche Beschreibungen der Trauer, die über die Jahre hinweg übergeht in einen Zustand des Wartens – warten worauf? Und er beschreibt die grenzenlose Einsamkeit des Menschen, der Mensch-ärgere-dich-nicht gegen sich selbst spielt. Aber Huerta schreibt gleichzeitig auch so tänzelnd-leichtfüßig, mit so viel Charme, so unbeschwert Beschwerliches erzählend, so französisch eben, wie es besser nicht geht. Zugleich ist er ein belesener Autor, der das Erzählte mit Büchern anderer Autoren „bebildert“. Und über allem singt Jacques Brel „Ne me quitte pas“.

 

Ein wunderschönes, ein zartes, ein liebevolles, ein poetisches, ein kluges Buch, traurig und doch das Leben feiernd.

 

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Henrike Scriverius

Die Gärten von Monte Spina

  

 ·         Broschiert: 336 Seiten

 ·         Verlag: Droemer TB

 ·         ISBN: 978-3-426-30758-8

 ·         #DieGärtenvonMonteSpina

  

Versteht die Autorin mehr von Pflanzen als von Menschen?

 

Allem voran: Um das Buch zu mögen, muss man Pflanzen mögen, mehr noch, man muss sie unabdingbar lieben, wie passionierte Gärtner es tun. Denn in diesem Roman ist die Liebe zu den Pflanzen der Wegweiser durchs Geschehen, die eigentliche Stärke des Buches.

 

Worum geht es: Auf der abgelegenen Insel Monte Spina, einer Privatinsel, wird ein neuer Gärtner gesucht. Für Toni, 30, deren Mann vor kurzer Zeit durch einen Autounfall gestorben war, findet das Leben nur noch hinter einem grauen Schleier statt. Sie hängt in ihrer Trauer fest. Da scheint die Aufgabe, als Gärtnerin auf dieser einsamen Insel zu arbeiten, genau richtig. Sie schuftet  hart, trifft auf seltsame Menschen, hört von dem noch seltsameren Inselbesitzer, der immer nur für wenige Wochen auftauchen soll, und je tiefer sie durch ihre Arbeit in die Pflanzenwelt der Insel eintaucht, umso mehr erwacht ihre Neugier – auf Max Bror, den bösartigen, unangenehmen Inselbesitzer, auf merkwürdige Geheimnisse, über die niemand sprechen will, aber auch auf eine neue Lebensneugier bei sich selbst.

 

Könnte es sein, dass die Autorin mehr von Pflanzen als von Menschen versteht? Ihre Protagonisten sind überzeichnete, klischeehafte, durchweg unsympathische Typen, deren Verhalten und Konversationen nicht nachvollziehbar und unrealistisch konstruiert wirken. Lediglich Toni in ihrem Trauergefängnis, aus dem sie Stück für Stück ausbricht, erreicht den Leser emotional. Leon, ihr verstorbener Mann, taucht in kritischen Situationen vor Tonis innerem Auge auf und fungiert wie eine Art Lebens-Souffleuse. Solche Szenen sind gelungen und getragen von einem leisen Humor. Überhaupt ist das Buch eine Sammlung von Stilbrüchen. Wunderschöne Naturschilderungen, unglaublich schöne lyrische Wortbilder wie z. B. „misstrauisch entknittern sich die Stauden“ (nach einem Sturm), wechseln sich ab mit abstoßenden, frauenfeindlichen, widerwärtigen Szenen oder unpassend-lächerlichen Schilderungen wie z. B. „Beine wie Wiener Würstchen“. Kluge Sätze wie „Alleinsein ist die kleine Schwester von Frieden“ wechseln ab mit dem nervigen sprachlosen Einheitskommentar, der wieder und wieder von der Autorin eingesetzt wird:  „Pffff…“.  

 

Und so bleibe ich in meinem Urteil über diesen Debütroman hin- und hergerissen zwischen wunderschön und abstoßend, zwischen gekonnt und laienhaft. Auf jeden Fall ist das Cover wunderschön gelungen.

 

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Frank Maria Reifenberg

Wo die Freiheit wächst

 

·         Gebundene Ausgabe: 384 Seiten

·         Verlag: arsEdition

·         ISBN-13: 978-3845822747

·         Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 17 Jahre

·         #WodieFreiheitwächst

 

 

Dieses Buch schnürt dem Leser den Hals zu

 

Ein Briefroman – wollen Jugendliche einen Briefroman lesen? Ein Buch, das die schlimmen, die schlimmsten Kriegszeiten unter der NS-Diktatur schildert – wollen Jugendliche das lesen? Ich fürchte nein. Oder nur wenige vielleicht. Denn das Buch ist keine Spaßlektüre. Es ist auch nicht besonders spannend. Es schnürt dem Leser einfach nur den Hals zu.

Der Verlag bewirbt das Buch so: „Köln, 1942. Lene Meister ist 16 Jahre alt und Auszubildende in einem Friseursalon. Doch der Zweite Weltkrieg raubt ihr viel von dem, was sich ein Mädchen in ihrem Alter erträumt. Ihre Heimatstadt wird seit einem Jahr regelmäßig von Bombenangriffen erschüttert. Lene lässt sich aber nicht unterkriegen und versucht tapfer, die Familie zusammenzuhalten. Mit jeder neuen Todesnachricht von der Front und mit dem allmählichen Verschwinden ihrer jüdischen Freunde beginnt sie mehr am NS-Regime zu zweifeln. In dieser Zeit zwischen Furcht, Verzweiflung und Hoffnung lernt sie Erich kennen und verliebt sich. Bald entdeckt Lene, dass Erich ein gefährliches Spiel spielt. Er gehört zu den Jugendlichen, die nicht in Reih und Glied marschieren wollen: zu den Edelweißpiraten. Sie tragen keine Uniformen und singen ihre eigenen Lieder. Sie beschmieren die Wände mit Anti-Nazi-Parolen und teilen regimekritische Flugblätter aus. Und das alles ist der Gestapo ein großer Dorn im Auge.“

Dieses großartige Buch braucht den ernsthaft interessierten Leser, denn es hat durchaus, zumindest im ersten Drittel, einige Längen, solange die jugendlichen Briefschreiber sich über ihrem Alter angemessene, naiv wirkende Problemchen austauschen. Durch die unterschiedlichen Briefschreiber öffnen sich jedoch zunehmend wechselnde Perspektiven auf das politische und private Geschehen.  Köln wird zur Steinwüste, kaum jemand hat noch ein Dach über dem Kopf. Es geht bald nur noch um das nackte Überleben. Bei Kalle, dem kleinen Bruder, hat die Nazi-Gehirnwäsche jeglichen Realitätssinn ausgelöscht. Franz, der große Bruder, marschiert auf Stalingrad zu und erlebt Grauenhaftes, wovon er nur in wenigen dürren Worten berichtet. Rosi schuftet bei Bauern auf dem Land und  hat einen distanziert-kühlen Blick auf alles Geschehen. Bei Lene erleben wir eine Wandlung hin zum Erwachsen-Werden, zum Mut, nicht länger zu schweigen.

Dem Autor ist mit den fiktiven unterschiedlichen Briefschreibern und mit der Grundlage sorgfältiger Recherche ein vielschichtiger Blick auf eine entsetzliche, auf eine grauenhafte Zeit gelungen, so intensiv, dass es dem Leser im Verlauf des Buches zunehmend mehr den Hals zuschnürt. Aber meine Frage bleibt dennoch bestehen: Wie viele Jugendliche wollen und werden dieses Buch lesen? Zu wenige, fürchte ich.

 

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 Martina Sahler

 Die Zarin und der Philosoph

 

 

 ·         Gebundene Ausgabe: 496 Seiten

 ·         Verlag: List Hardcover

 ·         ISBN-13: 978-3471351789

 ·         #DieZarinundderPhilosoph

 

Opulent erzählt

 

Mit dem Buch „Die Zarin und der Philosoph“ legt Martina Sahler den zweiten Band rund um St. Petersburg vor. Im ersten Band ist die Hauptfigur Peter der Große, im neuen Buch liegt der Schwerpunkt auf Katharina die Große, und zwar beschränkt auf die Zeit der Aufklärung. Wieder fällt die schöne Ausstattung des Buches ins Auge: Geprägter, mit Glanzschrift versehener Schutzumschlag, mit einem wunderschönen Gemälde aus der Finnischen Nationalgalerie „Blick auf Petersburg“. Innen findet sich ein Stadtplan von St. Petersburg um 1765. Dem Text vorangestellt sind das (dringend nötige) Personenverzeichnis und eine den Überblick verschaffende Zeittafel von 1725 bis 1775. Auch letztere habe ich als überaus hilfreich empfunden als „Roten Faden“ durch die vielfältigen Szenen im Buch. Sehr gut gefallen hat mir auch das Nachwort, in dem Martina Sahler auf sehr interessante weiterführende Literatur verweist, auf einen Fundus an geistesgeschichtlichem, literarischem und politisch-historischem Wissen. Spätestens hier bekommt man eine Ahnung davon, wieviel Arbeit in dem Buch steckte, um die Gratwanderung zwischen historisch Belegtem und Fiktion unterhaltsam und gut lesbar zu absolvieren.

 

Den Buchinhalt umreißt der Verlag so: „Die junge Katharina krönt sich nach einem Putsch selbst zur Zarin. Sie sieht sich als Nachfolgerin von Peter dem Großen und will Russland nach Westen öffnen. Doch die Welt hält den Atem an, kann man der Deutschen auf dem Zarenthron trauen? Preußens König Friedrich II. schickt einen Philosophen nach Petersburg, um die Pläne der neuen Herrscherin auszuspähen. Stephan Mervier ist beeindruckt von Katharina, von ihrer Klugheit, ihrem Charisma, aber Russlands Rückständigkeit und das Elend der Leibeigenen machen ihn wütend. Dabei wächst der Widerstand im Winterpalast längst heran. Eine enge Vertraute Katharinas kämpft auf Seiten der Unterdrückten. Stephan verliebt sich in die mutige Rebellin, die in großer Gefahr schwebt. Denn die Zarin fördert zwar Fortschritt, Bildung und die Wissenschaften, aber ihre Herrschaft ist absolut, und sie setzt ihre Macht mit äußerster Härte durch.“

 

Martina Sahler erzählt in einer opulenten, sehr schönen und sorgfältigen Sprache. Ihre Schilderungen sind anschaulich, bildhaft und detailreich. Dadurch liest sich das Buch weitgehend fesselnd und interessant-lebendig, auch wenn für große Emotionen kein Platz ist. Manchmal hatte ich Mühe, die durch mehrere Erzähl“nebenstraßen“ recht große Anzahl handelnder Personen richtig einzuordnen, auch waren mir manche politischen Exkurse etwas mühsam zu lesen, aber in der Summe bleiben mir nach Lektüre sehr intensive Bilder der Pracht des damaligen St. Petersburg zurück, ebenso wie bleibende Eindrücke der überaus interessanten, etwas zwiespältig zu beurteilenden, geistvoll-intelligenten Persönlichkeit Katharina die Große.  

 

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Christine Jaeggi

Das Gemälde der Tänzerin

  

 

         Broschiert: 400 Seiten

         Verlag: Forever

         ISBN-13: 978-3958183797

         #DasGemäldederTänzerin

 

Opulentes Lesefutter

 

Zwar war mein Lesevergnügen etwas eingeschränkt, weil die digitale Version etliche Fehler enthält, bis hin zu Satzverworrenheiten und Zeilen mit (arabischen?) Unleserlichkeiten. Lesefreude sieht eigentlich anders aus. Dass mich der Roman dennoch gefesselt hat, spricht für die Qualität des Textes.

 

Hauptperson Helena lebt am Existenzminimum. Sie ist arbeitslos und versucht, sich und ihre pubertären Zwillinge durchzubringen. Leider ist sie gezwungen, ausgerechnet in dem Schweizer Hotel als Zimmermädchen zu arbeiten, dessen Besitzer Kronenberg schuld ist an ihrer Lebensmisere. Helena erfährt von einem Mord an einem Zimmermädchen im Jahr 1942   und von einem seitdem verschollenen Gemälde. Nach dessen Verbleib forscht eine Amerikanerin namens Jessica Dixon-Löwenfeld ebenso wie der Sohn Noah der Familie Kronenberg. Helene will helfen, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Doch je weiter sie eindringt in die damaligen Zusammenhänge, desto mehr gerät ihr eigenes bestgehütetes Geheimnis in Gefahr, ans Licht zu kommen.

In verschiedenen Zeitsträngen und Perspektivwechseln wird auf wunderbare Weise in einem großen Zeitbogen ein Familienroman erzählt, dessen verworrene familiäre Verstrickungen mit Schuld und Sühne beladen sind. In überbordener Erzählfreude, mit malerisch ausgearbeiteten, atmosphärisch dichten Schilderungen bringt uns die Autorin mitten hinein in eine Familiengeschichte voller Geheimnisse. Die gefühlvollen Darstellungen der vielen Protagonisten, dazu eine krimigleiche Geschichte um ein verschollenes Gemälde, halten die Lesefreude auf jeder Seite hoch. Die Autorin hat sorgfältig recherchiert und gibt durch die im Roman enthaltenen Einblicke in die politische Lage der Juden während der Nazizeit in der Schweiz  und in das große Thema entartete Kunst bzw. Beutekunst dem Buch eine besondere Tiefe.  

 

Fazit: Absolut lesenswert.

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Anstey Harris

Find mich da, wo Liebe ist

 

 

·         Broschiert: 336 Seiten

·         Verlag: Ullstein Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3548291413

·         #FindmichdawoLiebeist

 

Zerzaust und entflammt

 

Meine ursprüngliche Erwartung an das Buch war, eine leichte, vielleicht sogar ein wenig kitschige, locker und leicht lesbare Sommerlektüre vorzufinden. Ich war nicht darauf gefasst gewesen, dass mich die Geschichte in ihrer Intensität so komplett in ihren Bann zog, dass ich mich nicht mehr davon lösen konnte.

 

Grace steht als leidenschaftliche Cellistin am Beginn ihrer Karriere, bricht diesen Weg jedoch nach einer traumatischen Erfahrung rigoros ab und repariert in einem kleinen Örtchen in England Musikinstrumente. Ihr ganzes Denken und Handeln ist auf David ausgerichtet, der seit 8 Jahren ihre große Liebe ist, David, der beruflich erfolgreich, einfühlsam, liebevoll ist. Grace trifft sich mit ihm immer nur für wenige Stunden oder Tage in Paris, hat sich mit diesem Arrangement abgefunden und zweifelt keine Sekunde an David. Mit Sicherheit wird er irgendwann Frau und Kinder verlassen und das gemeinsame Leben mit ihr beginnen. Doch Grace wird durch ein unerwartetes Ereignis jäh aus ihrem ruhigen und hoffnungsfrohen Lebensgleichmaß gerissen und verliert völlig den Boden unter den Füßen…

 

Soweit klingt die Handlung tatsächlich nach einem üblichen Klischee: Junge Frau ist Geliebte eines verheirateten Mannes, der entgegen seiner Versprechungen die Familie nie verlassen wird. Doch die Autorin schafft es schier unbemerkt, dem Leser seine eigenen Vorurteile vor Augen zu führen und der Handlung eine unerwartete Wendung zu geben. Plötzlich befinden wir uns mitten in einer Geschichte der Selbstfindung, der wachsenden Selbstachtung, der Wertschätzung dessen, was ist, und der Gelassenheit gegenüber Unveränderbarem. Alle Protagonisten sind auf ihre besondere Art sympathisch dargestellt, weshalb es dem Leser unmöglich ist, Distanz zu wahren. Er wird unweigerlich hineingezogen in das Geschehen und erlebt die ganze Welt der Gefühle direkt mit. Die schmerzhaftesten Sätze graben sich ein wie Tattoos in die Haut. Und das Buch ist eine Hymne an die Musik! „Zerzaust und entflammt“ bleiben Nadja und Grace nach dem gemeinsamen Musizieren zurück. Und zerzaust und entflammt bleibt der Leser nach Lektüre dieses wunderbaren Buches zurück.

 

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Johanna von Wild

Die Erleuchtung der Welt

 

 

·         Taschenbuch: 406 Seiten

·         Verlag: Gmeiner-Verlag

·         ISBN-13: 978-3839224281

·         #DieErleuchtungderWelt

 

Lebendig erzählter historischer Roman

 

Biggi Rist, Autorin von Kriminalromanen, hat uns unter dem Pseudonym Johanna von Wild einen wunderbar erzählten historischen Roman geschenkt. In Kurzfassung beschreibt der Klappentext den Inhalt so: „Heidelberg, 1427. Da Helenas Vater seine Schulden nicht bezahlen kann, verkauft er seine Tochter an einen Winzer als Magd. Dem Mädchen widerfährt Schreckliches auf dem Weingut und es flieht. Das Schicksal lässt Helena zur engsten Vertrauten von Prinzessin Mechthild von der Pfalz werden, und sie folgt ihr nach Stuttgart und Urach. Doch ihre Vergangenheit holt Helena ein, sie trifft eine falsche Entscheidung und die Freundschaft zu Mechthild wird auf eine harte Probe gestellt …“

 

Der Roman ist mit routinierter Feder geschrieben. Er fesselt den Leser von Anfang bis Ende. In lebendig gestalteten Szenen erleben wir hautnah die Zeit Anfang 15. Jahrhundert rund um die historische Figur Mechthild von der Pfalz, eine gebildete, fortschrittliche Frau, und die fiktive Figur Helena, Tochter armer Tagelöhner. Der Spannungsbogen spannt sich ohne Unterbrechung über das gesamte Buch. Atmosphärisch dicht und intensiv werden grausamste Geschehnisse detailreich und voller überraschender Wendungen erzählt. Die gut recherchierten historischen Hintergründe, z. B. die Machtkämpfe zwischen dem Geschlecht der Wittelsbacher und der Habsburger, die dominante Stellung der Kirche, die gewaltige Diskrepanz zwischen Arm und Reich, geben dem Roman bei aller Freiheit fantasievoller Gestaltung die nötige solide Substanz, um den aufgeschlagenen historischen Bilderbogen glaubwürdig zu machen.

 

Rundum lesenswert.

 

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Kai Lüdders

Hammonia

 

 

·         Broschiert: 406 Seiten

·         Verlag: Velum Verlag

·         ISBN-13: 978-3947424030

·         #Hammonia

 

Interessante Familiensaga – suboptimal umgesetzt

 

Soeben habe ich das Buch zu Ende gelesen – aber was schreibe ich nun? Ich bin ratlos. Da ist zum einen dieses unsäglich missglückte, fast lächerlich wirkende Cover, bei dem ein Hamburger Gebäude einer gepflegten alten Frau aus dem Kopf wächst. Klar, die Symbolik habe ich schon verstanden, Verbundenheit zur Stadt Hamburg, die Firma steht über allem. Aber ein Cover soll Kaufimpulse auslösen, nicht Kopfschütteln.

 

Worum geht es im Buch? Hamburg 1991 – die Zeit der deutschen Wiedervereinigung und des immer stärker werdenden Konkurrenzkampfes. Adele Bartelsen ist Chefin und Haupteigentümerin tausender BEST-KAUF-Supermärkte. Sie möchte dieses Erbe an ihre Söhne übergeben, doch sowohl Konstantin als auch Gero halten sich aus den Firmengeschäften heraus. Claus, der Älteste, fühlt sich von der Mutter nicht wertgeschätzt und konkurriert stark mit seinem Bruder Hans. Ein scheinbar lukratives Immobiliengeschäft wird an Claus herangetragen, und er sieht darin eine einmalige Chance, sich endgültig zu profilieren und die Achtung aller zu erringen…

 

Eine Trilogie soll es werden. Viel Arbeit für den Autor, der aufgrund familiärer Verbindung zu einem Gründer der SPAR Supermarkt-Kette zu dieser Aufgabe inspiriert wurde. Mit Sicherheit hat Kai Lüdders sorgfältig und fleißig recherchiert, nicht nur was das Wirtschaftsleben in Deutschland bis 1991 betrifft. In locker eingestreuten Rückblicken erfährt man auch von der Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg. Das ist zweifelsfrei interessant und lesenswert. Und trotzdem lässt mich das Buch ratlos zurück. Da sind z. B. die von sehr lockerer Hand eingestreuten Zeitsprünge: 1992, 1943, 1991, 1989 – das alles bereits auf den ersten 40 Seiten! Oder die Cliffhanger… Mir kommt es so vor, als habe der Autor die „Tricks“ der erfolgreichen Thriller-Autoren abgeschaut und dabei vergessen, dass sein Buch die Geschichte einer Kaufmannsfamilie ist, also ein Familienroman, der einer weitgehend linearen Erzählweise bedarf. Der Leser wird sowieso schon sehr gefordert durch die ausschweifenden wirtschaftstheoretischen Einschübe, durch die sehr, sehr breit ausgewalzten Gedankengänge mancher Protagonisten, durch die ermüdenden Wiederholungen. Zum Beispiel genügt es dem Leser, einmal zu lesen, dass Konni ein Freigeist ist und der Kunst zugetan. Und es genügt, einmal die aufrechte Haltung Adeles zu beschreiben. Es braucht keine vielfachen Wiederholungen, es braucht keine Verwirrung durch wahllos eingestreute Zeitsprünge. Und, ach ja, immer ist die Mutter schuld, bei den Bartelsen, bei Broderson. Selbst bei Eggemeyer ist Adele schuld. Nein, lieber Autor, so einfach sind Menschen nicht gestrickt.

 

Fazit: Ein interessanter Plot, suboptimal umgesetzt.

 

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Joel Dicker

Das Verschwinden der Stephanie Mailer

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 672 Seiten

·         Verlag: Piper

·         ISBN-13: 978-3492059398

·         #DasVerschwindenderStephanieMailer

 

Spannend und anstrengend gleichermaßen

 

Eine Leseprobe hatte mich „angefixt“, so dass ich mich mit Begeisterung auf den dicken Wälzer mit fast 700 Seiten stürzte.

 

Die recht verschlungene Handlung wird vom Verlag so erzählt: „Es ist der 30. Juli 1994 in Orphea, ein warmer Sommerabend an der amerikanischen Ostküste: An diesem Tag wird der Badeort durch ein schreckliches Verbrechen erschüttert, denn in einem Mehrfachmord sterben der Bürgermeister und seine Familie sowie eine zufällige Passantin. Zwei jungen Polizisten, Jesse Rosenberg und Derek Scott, werden die Ermittlungen übertragen, und sie gehen ihrer Arbeit mit größter Sorgfalt nach, bis ein Schuldiger gefunden ist. Doch zwanzig Jahre später behauptet die Journalistin Stephanie Mailer, dass Rosenberg und Scott sich geirrt haben. Kurz darauf verschwindet die junge Frau ...“

 

Eigentlich erzählt Dicker so packend und lebendig-fesselnd, dass das Buch leicht lesbar ist. Und doch verlangt das Lesen volle Konzentration, denn nicht nur der oft willkürlich wirkende  Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen mit einem Zeitabstand von 20 Jahren ist irgendwie anstrengend. Auch die Schilderung der Personen in Vergangenheit und Gegenwart  und deren Umgang miteinander empfand ich als anstrengend. Dennoch bin ich dem Autor sehr gerne auf allen von ihm auf den Leseweg gestreuten Puzzle-Teilchen gefolgt, kreuz und quer, hin und her, bildhaft-atmosphärisch füllig erzählend. Immer wenn mich das Lesen zu ermüden begann, packte mich der Autor erneut, mit einem Cliffhanger, mit einer überraschenden Wendung, mit einer skurrilen Nebengeschichte… Kurzum: Der Roman ist sowohl leicht lesbar und packend erzählt, als auch fordernd-anstrengend. Mir hat er sehr gefallen.

 

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 Hermien Stellmacher

 Die Katze im Lavendelfeld

 

 

 ·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 299 Seiten

 ·         Verlag: Insel Verlag

 ·         ISBN: 9783458364078

 ·         #DieKatzeimLavendelfeld

 

  

Ein lebenskluges, warmherziges Buch

 

Schön ist es, ab und zu ein Buch zu entdecken, das den Leser ganz und gar einhüllt in den Kokon seiner warmherzig erzählten Geschichte, ein leicht lesbares Wohlfühlbuch also, so etwas wie eine Seelenwärmflasche.  Genau das schafft Hermien Stellmacher auf bezaubernde, ganz und gar nicht kitschige Weise.

 

Alice, Biologin und Foodbloggerin, ist nach einem Schicksalsschlag, von dem wir erst im Laufe des Buches Näheres erfahren, auf der Suche nach einem, nein, nach dem idealen Haus in der Provence, in dem sie mit ihren beiden Katzen ein Zuhause finden könnte. Doch diese Suche gestaltet sich außerordentlich schwierig. Ein kleines Findelkätzchen vertreibt dann auch noch Alice’s Katzen, die sich in den verwunschenen Garten eines ehemaligen Hotels, heute verlassen und leerstehend, zurückziehen. Doch damit nicht genug, Alice wird ihre kleine Wohnung gekündigt, die 70-jährige Nachbarin Jeanine gleitet mehr und mehr in die Demenz ab und der Restaurantbesitzer Georges muss nach einer gewaltigen Pachterhöhung um seine Existenz fürchten.

 

Wir erleben den Sommer in der malerischen Provence, wir sehen, riechen und schmecken die Natur, die wunderbaren Farben, das leckere Essen – rundum, wir genießen, was uns die Autorin serviert, mit allen Sinnen, bis wir völlig abgetaucht sind in ein entspanntes Urlaubs-Wohlgefühl. Alice selbst und der Freundeskreis um sie herum werden ebenfalls sehr lebendig und lebensnah geschildert. Schön auch, wie leiser Humor immer wieder aufblitzt und dem Buch eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Wir lernen Individualisten kennen, die dennoch mehrheitlich gewillt sind, in Freundschaft auf einander zu achten, die zu kämpfen haben, aber nicht aufgeben. Die weniger sympathischen Protagonisten und die erzählten Lebensprobleme sind wichtig, um dem Roman ein wenig Tiefe zu geben. Und natürlich wünschen wir uns alle beim Lesen das dann tatsächlich eintretende märchenhaft gute Ende. Mit einem wohligen Seufzer schließen wir das Buch ab und fühlen uns gut.

 

Ein atmosphärisch schön geschriebener Roman, warmherzig und lebensklug.

 

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Axel Milberg

Düsternbrook

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 288 Seiten

·         Verlag: Piper

·         ISBN-13: 978-3492059480

·         #Düsternbrook

 

Eine gelungene literarische Collage

  

Kurzweilig ist dieses Buch und leicht lesbar. Ein Buch für zwischendurch sozusagen. Doch Leichtigkeit darf nicht mit Belanglosigkeit gleichgesetzt werden. Denn das Buch hat es tatsächlich in sich.

 

Wir begleiten Axel von der Kindheit bis ins Studentenleben und zur Aufnahme in der Schauspielschule. Wir folgen diesem Werdegang anhand von Erinnerungssplittern, anhand von Momentaufnahmen, die bruchstückhaft auftauchen und als unvollständige Puzzle-Teile erzählt werden. Dies geschieht in einem ganz eigenen Sprachstil, sehr reduziert, dabei punktgenau, mit dem gelegentlich aufblitzenden unterkühlten Humor des Norddeutschen. Es ist eine Lust, als Leser diese Lebenssplitter einzusammeln und der Entwicklung des jungen Axel zu folgen. Dem Autor ist die große Kunst gelungen, sehr genau die Sichtweisen des Kindes in Sprache umzusetzen. So wie sich dem Heranwachsenden neue Erlebnisse in ihrer eigenen Bedeutsamkeit eröffnen, so erweitert sich auch mit zunehmendem Alter die Sprache. Hier schreibt nicht ein wissender Erwachsener über sein Kind-Sein, sondern die gesammelten altersgemäßen und unzensierten Erinnerungsfetzen sprechen für sich selbst. Wir erleben die Gabe des Kindes, sich in träumerischer Weise das Überleben in einer nicht gerade warmherzigen Familie zu sichern. Mit großer Fantasie rückt Axel seine Welt für ihn passend zurecht, und liebenswert-komische Zeitgenossen, wunderbar beschrieben, übernehmen zeitweise die Führungsrolle bei der Suche nach dem Wohin. All das wird durch die kurzen Sequenzen, durch das nicht-lineare Erinnern für den Leser spürbarer und ehrlicher, weil hier eben nicht ein Erwachsener die Erinnerungen zurechtrückt, zurechtbiegt, in einen eitlen Konsens bringt. Es gibt im Buch auch sehr verstörende Puzzle-Teile, die scheinbar nicht ins Gesamtbild passen, aber eben nur scheinbar. Denn auch sie haben ihre eigenen Auswirkungen,  tragen vielleicht sogar dazu bei, dass Axel letztlich seine Heimatstadt verlässt.

 

Das Buch wirkt  lange nach, obwohl oder vielleicht gerade weil es in dieser wohltuend-zurückhaltenden Weise geschrieben ist. Hier pflegt nicht ein Schauspieler seine Eitelkeiten, sondern es hat ein feinsinniger Mensch seine eigene Sprache gefunden, unaufdringlich-eindringlich. Das ist Literatur.

 

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Domenico Dara

Der Postbote von Girifalco

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 480 Seiten

·         Verlag: Kiepenheuer&Witsch

·         ISBN-13: 978-3462051711

·         #DerPostbotevonGirifalco

 

Welch ein anrührender Roman

 

Der Postbote von Girifalco ist ein liebenswerter Sonderling, der viel verborgene Traurigkeit in sich trägt und der Trost für sich selbst und für andere Bewohner des kleinen Örtchens findet, indem er erst zaghaft, dann immer mutiger beginnt, Schicksal zu spielen. „Er konnte die leeren Taschen seiner Existenz mit Fragmenten aus dem Leben anderer füllen…“

 

Vom Verlag wird der Inhalt sehr schön angekündigt: „Süditalien 1969. Im verschlafenen Girifalco geht alles seinen gewohnten Gang – die anstehenden Kommunalwahlen sind schon das Aufregendste, was auf absehbare Zeit zu erwarten ist. Doch im Geheimen zieht ein guter Geist die Fäden, ohne dass die anderen Dorfbewohner es ahnen: Denn der Postbote des Ortes ist ein melancholischer Einzelgänger, der die Philosophie liebt und Zufälle sammelt – und nebenbei heimlich in den Briefverkehr des Dorfes eingreift. So versucht er, den Dingen die richtige Richtung zu geben. Unglücklich Liebende werden zusammengeführt, politische und amouröse Betrugsversuche verhindert, und Mütter bekommen plötzlich Post von ihren in der Ferne verschollen geglaubten Söhnen. Der Postbote von Girifalco scheint sich in seinem zurückgezogenen Dasein eingerichtet zu haben – bis ein mysteriöser Brief aus der Vergangenheit auftaucht, der das Dorfleben im Allgemeinen und seines im Besonderen gehörig ins Wanken bringt.“

 

Die Geschichte wird auf eine so beschwingte und feinfühlige Weise erzählt, in einer mitunter fast lyrisch anmutenden Sprache, dass man mit ganz großem innerem Mitgefühl liest und liest. Man genießt die pittoresk geschilderten Momentaufnahmen eines früheren, ursprünglichen Italiens, man liebt die Einwohner, die oftmals schrullig, immer aber auf irgend eine Weise besonders sind, und man liebt den Postboten, der so unnachahmlich über den Zufall und das Schicksal nachdenken kann, der letztlich in dem sicheren Bewusstsein, das Notwendige zu tun, gesetzte Grenzen überschreitet und gerade dadurch seine Seinsberechtigung erfährt.

 

Das Buch ist eine wunderbare Schulung der Fähigkeit, scheinbar Unzusammenhängendes in seinen Zusammenhängen zu sehen. Nach Lektüre des Buches ist man vielleicht achtsamer, genauer in seinen Wahrnehmungen. Ein anrührend-schönes Buch!

 

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Grit Landau

Marina, Marina

 

 

·         Broschiert: 400 Seiten

·         Verlag: Droemer HC

·         ISBN-13: 978-3426281994

·         #MarinaMarina

 

Über die Unausweichlichkeit des Schicksals

 

Das Buch kommt wie der Wolf im Schafspelz daher. Es verlockt mit einem Cover, das Urlaubsgefühle vermittelt und mit urlaubsmäßigen Szenen Anfang der sechziger Jahre, als für die Deutschen Italien und Urlaub zusammengehörten und der Schlager „Marina, Marina“ durch alle Radiokanäle klang. Und so lehnte ich mich beim Lesen entspannt zurück, erinnerte mich an meine eigene Kindheit in dieser Zeit, an die aufregende Besonderheit, im Ausland Urlaub zu machen, die erste Begegnung mit Strand und Meer. Die Autorin schildert in sehr stimmungsvollen Momentaufnahmen das italienische Lebensgefühl dieser Zeit in einem kleinen Ort, in dem der junge Nino die Mutter seines besten Freundes heimlich und heftig anbetet, die schöne Angebetete namens Marina jedoch eine leidenschaftliche Affäre beginnt mit einem Mann, dessen Identität wir zwar ahnen, aber erst viele, viele Seiten später erfahren sollten. So beginnt eine Zeitreise durch die Jahre 1960 – 1968, lautmalerisch jeweils eingeleitet durch einen für dieses Jahr typischen Hit. Das Schicksal jedoch wirkt schier unausweichlich, und der Leser wird in dieses Spinnennetz des Lebens und Liebens immer mehr hineingezogen. Je weiter man sich lesend in den Schicksalsfäden der verschiedenen Familien verstrickt, umso mehr verlassen uns die anfänglichen urlaubsleichten Gefühle, bis hin zu diesem entsetzlichen Rückblick in das Jahr 1944.

 

Die Autorin hat mich über die Maßen überrascht. Anfänglich plätschert das Buch so dahin, in wechselnd zusammengestellten Szenen unterschiedlicher Intensität erleben wir jugendliche Irrungen und Wirrungen und die Hitze des Sommers und der Gefühle. Dann aber offenbart das Buch zunehmend seine wahre Kraft, denn dramatische Geschehnisse, intensiv geschildert, treffen den Leser mit voller Wucht. Die Autorin beobachtet mit scharfen, geradezu indiskreten Augen die Menschen und ihre Verstrickungen, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und ihr Scheitern, ohne Stellung zu beziehen. Es geschieht was geschieht.

 

Ein Buch, so vielseitig und unvorhersehbar wie das Meer. Still dümpelnde Wellen, die harmlos im Gleichmaß am Strand auslaufen, dann auf einmal gewaltige, kraftvolle, brüllend laute Wellen, die alles verschlingen wollen. Der Rhythmus des Meeres ist der Rhythmus des Lebens: unausweichlich. Überhaupt: Unausweichlichkeit scheint mir die Botschaft des Buches, die Unausweichlichkeit der Gefühle, aber auch die Unausweichlichkeit eines Schicksals, das uns sowohl trägt als auch zerstört, so wie das Meer, unaufhaltsam.

 

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Alessandro Piperno

Wo die Geschichte endet

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 304 Seiten

·         Verlag: Piper

·         ISBN-13: 978-3492058681

·         #WodieGeschichteendet

 

Ein feiner, ein großer Roman

  

Das Cover setzt den Titel des Buches auf besondere Weise bildhaft um: Das Ende eines Mahls, verstreute Brösel, halbleere Gläser, die weißen Mäuse tanzen auf dem Tisch… Wie soll ich nur dieses besondere Buch beschreiben?

 

Mit dem Inhalt mache ich es mir leicht und greife auf den Verlagstext zurück: „Vor sechzehn Jahren musste Matteo aus Rom fliehen, nun kehrt er zurück. Gekonnt pariert er alle Angriffe seiner Ehefrauen – Nummer vier verlangt seine sofortige Rückreise in die USA, Nummer zwei hat noch immer nicht die Scheidung eingereicht –, während seine Kinder die ganze Härte des bürgerlichen Lebens trifft: Martina findet nach einem Kuss nicht in ihre Ehe zurück, und Giorgio hat alle Hände voll zu tun, seit die feine Gesellschaft Roms in seinem Restaurant ein und aus geht. Als ein Unglück sie alle ins Bodenlose stürzt, verkehrt sich die Posse in eine handfeste Tragödie.“

 

Aber ist der Inhalt tatsächlich das Wichtigste an diesem Buch? Die Menschen, die man kennenlernen darf, sind wichtig, das ja, aber nicht unbedingt in ihren Interaktionen, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie sie uns vorgestellt werden. Da ist zum Beispiel Federica Zevi, von der es heißt, sie sei „wie ein Jaguar aus dritter Hand, den die Vorbesitzer regelmäßig haben warten lassen“. Wichtiger als der Inhalt ist mir an diesem Buch demnach eindeutig der Schreibstil. Was für eine wunderbar sorgsame Sprache, samtweich in ihren Wortwendungen und dabei pfeil-genau treffend. Ich habe das Buch „sorgsam“ gelesen, langsam, manche Wendung sogar laut und mehrmals, weil sie sich so schön anhören, so zart und warm, wie sich das Fell von Perserkatzen anfühlt, doch mit darunter lauernden Krallen. Was für eine Schreibekunst: Genau in dem Moment, an dem man sich der Weichheit samtiger Worte hingeben möchte, trifft man auf die untergemixte feine, kleine Prise Humor, gewachsen aus messerscharfer Beobachtung und bildgenauer Beschreibung. Manchmal hatte ich das Gefühl, in einem Roman aus dem 19. Jahrhundert gelandet zu sein, so nach innen gekehrt und gefühlvoll wird erzählt. Dann aber wird mit einer einzigen Redewendung die Romantik spröde zerstört. Die Menschen sind allesamt getragen von ihrer Sehnsucht, Wunsch und Möglichkeit deckungsgleich zu bringen, und sie werden in ihrer individuellen Unausweichlichkeit gleichermaßen klar-präzise und zärtlich beschrieben. Was folgerichtig und konsequent berichtet wird, zerfällt – fast unmerklich – immer mehr und mehr in seine Einzelteile, bis die individuelle und die gemeinsame Geschichte der Protagonisten in einer dramatischen Wendung zerbricht,  wobei Matteo, dieser Gesetzlose, dieser Exzentriker, dieser Blender, auch im Zerfall das Epizentrum ist und bleibt. Wie heißt es im Buch so schlicht: „Eine Geschichte endet, wenn einer der beiden nicht mehr mitmacht.“ So einfach, so schwer…

 

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Dolores Redondo

Alles was ich dir geben will

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 608 Seiten

·         Verlag: btb Verlag

·         ISBN-13: 978-3442757657

 

600 Seiten Lesegenuss pur

 

Über dieses Buch kann ich nur schwärmen. Was für ein wunderbarer und kluger Roman! 600 Seiten prall voll, und jede einzelne Seite ein Lesegenuss!

 

Der Verlag kündigt das Buch so an: „Als der Schriftsteller Manuel Ortigosa erfährt, dass sein Mann Álvaro bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, eilt er sofort nach Galicien. Dort ist das Unglück passiert. Dort ist die Polizei auffallend schnell dabei, die Akte zu schließen. Dort stellt sich heraus, dass Álvaro ihn seit Jahren getäuscht und ein Doppelleben geführt hat. Doch was suchte Álvaro in jener Nacht auf einer einsamen Landstraße? Zusammen mit einem eigensinnigen Polizisten der Guardía Civil und Álvaros Beichtvater stellt Manuel Nachforschungen an. Eine Suche, die ihn in uralte Klöster und vornehme Herrenhäuser führt. In eine Welt voller eigenwilliger Traditionen – und in die Abgründe einer Familie, für die Ansehen wichtiger ist als das Leben der eigenen Nachkommen.“

 

Dieser Roman ist so Vieles:  ein großer Familienroman, eine einfühlsame Charakterstudie, er ist ein spannender Kriminalroman und er ist auch eine Hommage an Galicien und seine besonderen Bewohner. Er ist so vielfältig, wie Menschen und deren Gefühle im Guten wie im Schlechten nur sein können, und er ergreift den Leser mit Haut und Haaren. Bewundernswert, wie die Autorin es schafft, all die feinen Gesten der Interaktion und Kommunikation zu schildern, die weit über das tatsächlich Gesagte hinausgehen. Jede einzelne Sequenz, jede einzelne Szene ist detailreich-liebevoll und feinfühlig auserzählt, und der Leser sieht, hört, riecht und schmeckt alles Geschilderte, als sei er unmittelbar dabei. Selbst das geradezu opernhaft theatralisch anmutende Ende passt irgendwie in den Rahmen der großen Spannbreite zwischen Adel und Personal, zwischen Standesdünkel und Einfachheit. 

 

Rundum: „Alles was ich dir geben will“ ist ein Roman, wie er schöner nicht sein könnte: farbig, gefühlvoll, spannend, lebendig, klug, packend, malerisch – und niemals langweilig. Unbedingt lesen!

 

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Raffaella Romagnolo

Bella Ciao

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 528 Seiten

·         Verlag: Diogenes

·         ISBN-13: 978-3257070620

 

Man muss sich einlesen

 

Das wunderschöne, ausdrucksstarke Cover in bester Diogenes-Tradition zeigt einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Marguerite Kelsey“ von Meredith Frampton, einem Maler, der zwischen 1920  und 1940 als Porträtist wirkte. Leider setzte eine zunehmende Sehschwäche seiner präzisen Malerei ein frühes Ende. Marguerite Kelsey war ein zur damaligen Zeit bekanntes Künstlermodell, das insbesondere deswegen sehr beliebt war, weil es Haltung und Pose außergewöhnlich lang halten konnte. Gibt es eine Beziehung zwischen Cover und Roman? Der Inhalt wird vom Verlag einfach erzählt: „Giulia Masca kommt als gemachte Frau zurück in das Städtchen ihrer Kindheit, wo sie noch eine Rechnung offen hat. Vor fast fünfzig Jahren wurde sie hier von ihrer besten Freundin Anita und ihrem Verlobten hintergangen, weshalb Giulia die Flucht ergriff und sich in New York eine neue Existenz aufbaute. Nach einem halben Jahrhundert will sie Anita wieder treffen – wie werden sie sich gegenübertreten?“

 

Man erlebt im Buch die Zeit zwischen 1900 und 1946 (die wohl einzige Verbindung zum Cover-Bildausschnitt). Der Schwerpunkt des Buches liegt in den Schilderungen Italiens in einer Zeit der bittersten Armut und Ausbeutung. Hunger, Kriegsgemetzel, Partisanenkämpfe gegen Mussolinis‘ wachsender Faschismus, Tote und Verletzte bilden das Szenario. Weniger ausführlich dagegen erleben wir zeitgleich in den USA die Ausgrenzung italienischer Zuwanderer, ihren steten Kampf gegen Vorurteile und um Anerkennung.

 

Mit dem Buch habe ich mich teilweise schwer getan, denn es hat mich nicht wirklich gefangen genommen. Zu spröde war mir mitunter der Text, durch die Fülle an Namen und Begriffen zusätzlich lese-erschwerend. Man muss sich sehr konzentrieren, da die Autorin häufig springt zwischen den Handlungssträngen und Zeiten. Die Protagonisten werden kaum durch wörtliche Rede lebendig, der Leser erlebt sie mehrheitlich nur durch ihre Gedanken und Taten, wenngleich durchaus psychologisch nachvollziehbar. Was mir ausnehmend gut gefiel am Schreibstil der Autorin, waren ihre eindringlich-bildhaften Schilderungen sowohl von schrecklichen als auch von schönen Seiten des Lebens. Wunderbar zum Beispiel die Beschreibung der Hündin Nuxe mit einer „Schnauze mit weichen Falten, die aussieht wie ein Walnusskern, in dessen Mitte der feuchte Knopf der Nase versinkt wie der Steppstich in der Matratze…“ Und genau das bleibt mir als Urteil nach der durchaus nicht leichten Lektüre: Anspruchsvolle, teils anstrengende Lektüre, mit wunderbaren Passagen der Wortmalerei vom Feinsten. So detailliert wie die Arbeiten des Malers Meredith Frampton.

 

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Leo Aldan

Das Feuer der Erde

 

 

·         Broschiert: 304 Seiten

·         Verlag: VA - Verlag Aretz

·         ISBN-13: 978-3944824840

·         Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren

 

Unermesslich spannender Reißer mit ernstem Kern

  

Das ist mir schon länger nicht passiert, nämlich ein Buch nahezu nonstop gelesen zu haben. Von Seite zu Seite stieg mein Puls – an Lesepause war gar nicht zu denken!

 

Den Inhalt gibt der Klappentext recht gut wieder: „Rund um die antarktische Platte registrieren Seismographen merkwürdige Schwingungen. Erdbeben erschüttern Neuseeland und Chile. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes kündigt sich an. Doch niemand, weder Wirtschaftsbosse noch Politiker, will Georginas Warnungen glauben. Mit einem Mal sieht sich die junge Wissenschaftlerin inmitten eines weltweiten Komplotts aus Machtgier und Manipulation. Jayden Turkov, ein skrupelloser Industrieboss, der den Energiesektor ganzer Kontinente beherrscht, setzt alle Hebel in Bewegung, um sie auszuschalten. Viel Zeit bleibt Georgina nicht, um die Umweltkatastrophe und damit den Tod von Millionen Menschen zu verhindern. Sie trifft eine folgenschwere Entscheidung …“

 

Das Buch kam mir vor wie einer der gut gemachten, immer nach gleichem Muster gestrickten amerikanischen Katastrophen-Filme, in denen ein Einzelschicksal gegen Urgewalten oder außer Kontrolle geratene Züge oder nicht mehr steuerbare Flugzeuge kämpft. Da wird dem Leser eine Protagonistin als sehr sympathisch und klug so sehr nahe gebracht, dass man mit ihr schmerzlich hofft und bangt. Und dann gibt es eine sich anbahnende, stetig näherrückende Katastrophe, der sich diese mutige Protagonistin als Einzige entgegenstellt. Und so finden sich allerlei Klischees in diesem Buch, wie zum Beispiel die fähige Sekretärin, die „hässlich wie ein Sumoringer“ ist, während die unfähigeren Damen eine Augenweide sind. Aber es gibt auch wunderschöne Beschreibungen, wie zum Beispiel sich aufbauende Wolken, die „wie eine Armee verärgerter Dschinns, die aus ihrer Flasche entweichen,“ aussehen. Auf jeden Fall ist das Buch gekonnt geschrieben, packend und unermesslich spannend, was durch das Stilmittel der knackig kurzen Kapitel noch intensiviert wird. Mit seinem unheilvollen Szenario in einer sehr nahen fiktiven Zukunft möchte es all denen, die nach wie vor glauben, wir könnten wie eh und je so weitermachen wie bisher, vor Augen führen, wie extrem gefährdet unsere Welt, wie wir sie kennen, ist.

Ein über die Maßen reißerisches Buch, ja, aber genau darin liegt seine Chance, auch die chronisch Uninteressierten zu erreichen.

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Seni Glaister

Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel

 

 

·         Broschiert: 432 Seiten

·         Verlag: HarperCollins

·         ISBN-13: 978-3959672580

·         Originaltitel: Doubler

 

Dieses Buch ist ein Schatzkästlein

 

Allem voran: Dieses Buch ist keines, das man auf die Schnelle konsumieren sollte. Dieses Buch benötigt Zeit. Und es benötigt Leser, die ihm diese Zeit geben, nachdenkend, sich erfreuend, sich offenen Herzens hingebend…

 

Mr. Doubler ist Kartoffelbauer, ein Kartoffelbauer von altem Schrot und Korn, ein besessener Kartoffelbauer sogar, der akribische Forschungen betreibt. An der Welt um ihn herum ist er nicht interessiert. Er liebt die Abgeschiedenheit seiner Farm und verlässt sie nie. Lediglich Mrs. Millwood, die Haushälterin, hat seit vielen Jahren Zugang zum Haushalt und zum schrulligen Mr. Doubler selbst, was ihre ritualisierten mittäglichen Gespräche zeigen. Als Mrs. Millwood ernsthaft erkrankt und nicht mehr kommen kann, ändert sich so allerlei…

 

Dieses Buch ist eine Goldgrube! Es kommt recht unscheinbar daher, und die erzählte Geschichte ist im Grunde auch unspektakulär. Und doch birgt es gerade in seiner Schlichtheit die tiefsten Weisheiten, so ganz nebenbei, zwischen heiteren Sequenzen versteckt. Es sind weise Botschaften, über die man immer wieder nachdenken kann und die den Leser, wenn er es zulässt, unmittelbar selbst betreffen. Denn es geht um die großen Grundfragen des Lebens, die außerordentlich hübsch verpackt, in diesem Schatzkästlein ruhen und ihren Reichtum denen zeigen, die offenen Herzens in das Buch eintauchen. Es ist ein Buch zum langsamen Lesen, zum Genusslesen, zum Mehrfachlesen. Ein Buch, dessen Sorgsamkeit der Sprache, dessen Sorgsamkeit der Gedanken gefangen nimmt und dessen geistreicher Humor die nötige Leichtigkeit gibt, damit man bereit ist, in die teils sehr bewegenden Tiefen der Themen einzusteigen, nachdenkend, vielleicht mit anderen diskutierend. Dieser jahrzehntelang auf sich selbst zurückgeworfene, nachdenkliche  Mr. Doubler fasst auf ganz überraschende Weise Mut, seine Rolle im Leben aktiv zu spielen. Was für ein wunderbares, reiches Buch, gewissermaßen große Philosophie in Taschenformat.  „Das Gute im Inneren ist wertlos, wenn es nicht geteilt wird.“

 

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Andrea Stift-Laube

Schiff oder Schornstein

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 192 Seiten

·         Verlag: Kremayr & Scheriau

·         ISBN-13: 978-3218011549

 

Ein Buch wie eine gespaltene Persönlichkeit

 

 

Soeben habe ich das Buch beendet und frage mich nun ratlos, wie ich meine Rezension formulieren soll. Denn das Buch verwirrt mich über die Maßen. Vielleicht sollte ich schreiben, dass mich das Buch von Anfang an in die Irre gelockt, mich vorsätzlich getäuscht hat. Mit seinem Titel zum Beispiel. Mit dem ich gar nichts anfangen konnte. Oder mit dem Cover, mit dem tiefschwarzen Umriss einer Katze mit leuchtend gelben Augen. Ein Katzenbuch, hatte ich zunächst gedacht, ein humorvolles vielleicht. Auf jeden Fall ein sympathisches Buch – so hatte ich gedacht. Und jetzt ist das Buch beendet, und ich bin voller Zorn, Ekel, Abscheu, Entsetzen. Und gleichzeitig lache ich über all die skurrilen Einfälle, über die leichtfüßig geschriebenen Episoden, über witzige und liebevolle Detail-Beobachtungen.

 

Worum geht es? Der Verlag formuliert es so: „Franziska ist verschwunden. Das ist sie schon öfter. Dann sagt man, sie ist wohl wieder irgendwo Tiere befreien, im Wald, am Nordpol, irgendwo auf einem Schiff. Aber dieses Mal kommt sie nicht mehr zurück. Sie ist spurlos verschwunden und niemand weiß, was passiert ist. Ihre Schwester Ila begibt sich auf die Suche, wühlt in ihrer beider Vergangenheit und trifft den Umweltaktivisten Konstantin, der unglücklich in Franzi verliebt ist. Ila und Konstantin werden Freunde und bewältigen ihre Trauer in einem schrägen Kunstprojekt, das ein Statement gegen Massentierhaltung und Fleischkonsum sein soll: einem Online-Versand für Katzenfleisch…“

 

Das Buch kommt mir vor wie eine gespaltene Persönlichkeit: So wie das Buch aus zwei Perspektiven geschrieben ist, nämlich aus der von Ila, der Schwester, und Konstantin, dem stumm Liebenden, so werden genauso gespalten einerseits einfache, teils idyllische Kindheitserinnerungen und tier- und naturliebende Erinnerungen erzählt, andererseits brutalste, schier unerträgliche Details von Tiermisshandlungen, Vogeltötungen, Kükenmuser. Eben hat sich der Leser lächelnd und entspannt zurückgelehnt, schon jagt einem die scharfzüngige Autorin hinterrücks ein Messer mitten ins Herz.

 

Und ebenso gespalten bleibt mein Urteil: Gekonnt geschriebene Passagen, zu Herzen gehend, psychologisch feinfühlig, wechseln mit extremen Hässlichkeiten sowohl sprachlich („heißer Scheiß“) als auch inhaltlich (Fliegen mit der Lupe verbrennen). Ob mit solch einer uneinheitlichen wirren Mischung wirklich mehr Umweltbewusstsein zu wecken ist? Aber vielleicht wollte die Autorin etwas ganz anderes? Ich weiß es nicht. Ich bleibe verwirrt.

 

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Wladimir Kaminer

Die Kreuzfahrer

 

 

·         Audio CD

·         Verlag: Random House Audio

·        ISBN-13: 978-3837142822

 

Langweilig 

 

Was für ein großartiges Thema für Kaminer, so dachte ich. Kreuzfahrten zu allen Sehenswürdigkeiten der Welt, während derer es in der Hauptsache um Essen und Trinken geht und um das Bemühen, den Kreuzfahrern keinen Moment, ja keine Sekunde der Langeweile zuzumuten. Das war doch genau die Szenerie, in der Kaminer zu Höchstform auflaufen könnte, dachte ich. Und so erwartete ich Pointen und freundlich-entlarvende Szenenschilderungen in der gewohnten Kaminer-Weise.

 

Was ich jedoch erhielt, war genau die Langeweile, die es doch eigentlich zu vermeiden galt, nicht nur bei den Kreuzfahrern, sondern auch bei Lesern bzw. Hörern. Sicher, Kaminer nimmt sich auch hier selbst auf den Arm. Hin und wieder spürt man seinen verhaltenen, leicht bissigen Humor, aber alles in allem ödete mich die Hörbuch-Fassung an. Zumal mir die vorsätzlich kultiviert-russische, etwas grobschlächtig wirkende  Aussprache von Wladimir Kaminer zunehmend auf die Nerven ging. Da habe ich ihn schon viel scharfzüngiger und unterhaltsamer erlebt.

 

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Pierre Lemaitre

Die Farben des Feuers

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 479 Seiten

·         Verlag: Klett-Cotta

·         ISBN-13: 978-3608963380

 

Fordert volle Aufmerksamkeit

 

Ein Buch, das mich einerseits faszinierte, mich fesselte, aber auch streckenweise langweilte. Ein Buch, das es mir einerseits schwer machte, es zu mögen, andererseits hinreißende Szenen enthielt. Ein Buch, das viel Zeit und die volle Aufmerksamkeit des Lesers fordert.

 

Zentrum allen Geschehens ist Madeleine, Tochter und Alleinerbin des berühmten französischen Bankiers Marcel Péricourt. Am Tag der Beerdigung von Marcel Péricourt stürzt Madeleines Sohn Paul aus dem 2. Stock. Er überlebt, bleibt aber gelähmt. Madeleine liebt ihren Sohn abgöttisch und unternimmt alles Erdenkliche, um ihm sein Schicksal zu erleichtern. Doch sie ist von Neidern umgeben. Im Jahr 1927, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, bestimmen Habgier,  Börsenskandale und politische Wirrnisse die Geschehnisse. Und so gelingt es tatsächlich diesen Neidern, das Bankimperium zu Fall zu bringen und damit Madeleine und ihren Sohn in die Armut zu stürzen.. Doch Madeleine zieht für ihren Sohn auf einen raffinierten Rachefeldzug.

 

Die Erzählweise des Autors ist streckenweise nicht ganz einfach zu lesen. Lange Sätze schildern oft ganze Welten, meist innere Welten, in einer überaus gepflegten Sprache, in die man sich einlesen muss. Kleine eingestreute Bosheiten, ein fein-entblößender Humor würzen das Geschehen. Viele Namen tauchen auf, die teils verwirren. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass ich immer wieder neu nach dem roten Faden angeln musste. Durch die Fülle der Namen, der Liebschaften, der Intrigen und der wirtschaftlich-politischen Exkurse ging mir dieser rote Faden oftmals verloren, tauchte dann unerwartet plötzlich wieder auf, intensiv und beeindruckend. Die Protagonisten blieben mir leider irgendwie fern. Sie agieren wie in einem Historienfilm, kostümiert, etwas blutleer, in übergestülpten Rollen. Lebendig-fesselnde Schilderungen wechseln ab mit mich etwas ermüdenden trocken-politischen Ausführungen.

 

Als Fazit ausgedrückt wirkte das Buch auf mich wie ein großer, mit viel Aufwand und akribischer Recherche ausgearbeiteter historischer Film, in dem es eine Fülle von außerordentlich malerischen Szenen mit geistreichen Dialogen zu bewundern gilt, der aber letztlich keine Emotionen hervorruft und den Leser in einer distanzierten bewundernden Achtungshaltung zurücklässt.

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 Takis Würger

 Stella

 

 

 ·         Gebundene Ausgabe: 224 Seiten

 ·         Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG

 ·         ISBN-13: 978-3446259935

  

 

 

Sensibel und brutal gleichermaßen

 

Als ich Takis Würger bei einer Lesung seines ersten Buches Der Club beobachten konnte, erschien er mir seltsam zwiegespalten. Einerseits unerfahren, unsicher, fast ein wenig linkisch, auf der anderen Seite auf eine vornehm-sichere und privilegierte Weise von sich überzeugt. Und ebenso zwiegespalten erscheint mir das vorliegende Buch: sowohl leise-vorsichtig, scheu, als auch von einer inhaltlichen und sprachlichen Wucht, wie sie kaum zu ertragen ist.

 

Der Klappentext lässt uns nur Fakten wissen: „Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: "Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt.“ Was im Klappentext jedoch fehlt, ist für mich ein entscheidender Teil der Geschichte. Denn Friedrich war nicht immer so still gewesen. Seine Vorgeschichte, wie und warum es zu seiner entstellenden Gesichtsverletzung kam, wie er dadurch die Liebe seiner Mutter und noch viel mehr verlor, das ist aus meiner Sicht die Grundlage des Buches, denn es steht Friedrich im Mittelpunkt, nicht Stella. Es wird mit den Augen Friedrichs das Geschehen, sowohl das politische als auch das individuelle, beobachtet, und für den Leser wird nachvollziehbar, weshalb Friedrich eher passiv und leidend geschehen lässt, was geschieht. Seine bedürftige, obsessive Liebe zu Stella verschließt ihm die Augen vor den Wahrheiten um ihn herum.

 

Die Erzählweise ist besonders. Schlichte Wörter, schlichte Sätze, und dabei eine so dichte Atmosphäre schaffend und so treffgenau, wie es manch einem Autor mit vielen Wörtern und langen Sätzen nicht gelingt. „Berlin ist ein Ort, an dem sogar Friseure sagen, was sie denken.“ An anderen Stellen knallen dem Leser die kurzen Sätze nur so um die Ohren, dass man sich ducken möchte vor den Bildern, die angeschossen kommen. Ein Buch, sensibel und brutal gleichermaßen, Fakten und Fiktion genial vermischend. Ein großes Buch.

 

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Julia Hanel

Dein Bild für immer

 

 

·         Taschenbuch: 416 Seiten

·         Verlag: Ullstein Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3548291185

 

 

Gefühlstiefe ohne Kitsch

 

Für die Lektüre dieses Buches habe ich außerordentlich viel Zeit benötigt. Was nicht daran lag, dass das Buch schlecht ist. Im Gegenteil, es lag daran, dass mich die erzählte Geschichte vollkommen verführte. Sie verführte mich dazu, zeitintensiv in meinen eigenen Bali-Erinnerungen zu schwelgen. Und sie verführte mich dazu, mehrere Filme, die im Buch von Filmfreak Niklas angesprochen werden, auch noch einmal mit „Niklas“-Augen anzuschauen.

 

Worum geht es? Sophie‘s Verlobter Maximilian stirbt durch einen Unfall, und Sophie verliert sich nun in unendlicher Trauer, aus der sie nicht herausfindet. Eine von Maximilian gebuchte Bali-Reise tritt sie nach einigem Zögern allein an und begegnet dabei Niklas, einem jungen, begabten Fotografen, dessen Leben nach einem Trauma ebenfalls aus den Fugen geraten ist. Schließlich verlässt Sophie ihr Luxushotel und reist mit Niklas auf einer Fototour über die Insel. Zwei vom Schicksal verletzte Menschen, die sich mit einer Schutzmauer umgeben haben…

 

Man könnte sicher sagen, dass die Geschichte vorhersehbar ist. Stimmt. Man könnte auch sagen, dass die ziemlich schlichte Geschichte lebt durch die perfekt gelungenen, lebendigen, bildhaften Schilderungen der unglaublich schönen Naturkulisse auf Bali. Auch das stimmt. Was aber den Schreibstil der Autorin auszeichnet und sie damit die Grenzwanderung zum Kitsch ohne Absturz erfolgreich bestehen lässt, ist der Humor, sind die witzigen Dialoge, die genau an den richtigen Stellen dem Buch eine gewisse Würze geben. Kurzum: Eine leicht lesbare Geschichte mit Gefühlstiefe und Humor.

 

Schön wäre es allerdings, wenn die Autorin nicht regelmäßig scheinbar und anscheinend verwechseln würde. 

 

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 Nicolas Barreau

 Die Liebesbriefe von Montmartre

  

 ·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

 ·         Verlag: Thiele & Brandstätter Verlag

 ·         ISBN-13: 978-3851794106

  

  

Herzzerreißend und hoffnungsfroh gleichermaßen

  

Dieses Buch bricht dem Leser das Herz – und setzt es ganz neu wieder zusammen.

 

Julien Azoulay ist Autor von humorvollen Liebeskomödien. Doch als seine Frau Hélène im Alter von nur dreiunddreißig Jahren an Krebs stirbt, kann Julien nicht mehr schreiben. Sein Verleger zeigt lange Zeit Verständnis und wartet geduldig auf das neue Manuskript, aber Julien ist ein gebrochener Mann, der nichts als Schmerz empfindet. Dennoch hatte er seiner Frau ein Versprechen gegeben. Er soll ihr nach ihrem Tod 33 Briefe schreiben, für jedes gelebte Lebensjahr einen. Nach einer Zeit der Erstarrung in Trauer beginnt Julien mit diesen Briefen. Er berichtet Hélène von seiner abgrundtiefen Verzweiflung, von seinem alltäglichen unglücklichen Leben, vom gemeinsamen Söhnchen Arthur, von der gemeinsamen Freundin Cathérine, von all dem, was ohne sie, ohne Hélène, sinnlos erscheint. Die Briefe legt er in ein geheimes Fach in Hélènes Grabstein auf den Friedhof am Montmartre. Eines Tages sind die Briefe verschwunden. Stattdessen findet Julien seltsame symbolhafte Antworten, ein Herz aus Stein zum Beispiel oder Kinokarten, ein Blumensträußchen… Julien klammert sich an den Glauben, dass ihm Hélène auf wundersame Weise aus dem Jenseits antwortet.

 

Es rankt sich ein Geheimnis um den Autor Nicolas Barreau. Es gibt keine Vita, kein Foto, nur Mutmaßungen, wer sich hinter diesem erfolgreichen Autorennamen verstecken könnte. Mir gefällt der Gedanke sehr, dass es sich um eine dem Verlag nahestehende Person handeln könnte, denn ich bin absolut sicher, dass nur eine Frau in dieser subtilen, feinsinnigen, ergreifenden, humorvollen, einfühlsamen Weise schreiben kann.

 

Die einzelnen Briefe, die Julien an seine verstorbene Frau schreibt, sind wie einzelne Schritte der Seele, zu Beginn im Dunkeln, in abgrundtiefer Traurigkeit, in der Vergangenheit verhaftet. Dann aber Schritt für Schritt beginnt sich der Weg zurück ins Leben abzuzeichnen. Diese Entwicklung ohne Kitsch, ohne Larmoyanz, aber bewegend-tröstlich zu gestalten, ist große Schreibekunst. Die vielen klugen Verweise in die Literatur und Musik verlocken zum Nachforschen, Nachlesen, Nachhören und dadurch Mitempfinden dessen, was uns Barreau an Gefühlen vermitteln will. Das Buch hat eine geradezu magische Wirkung in seiner Intensität, in dem es uns das Leben zeigt in seiner ganzen Fülle, traurig und komisch, ungerecht und erschreckend, und doch voller Wunder und unsagbar schön, um den Leser ein Stück weit mutiger, hoffnungsfroher und gestärkter zurückzulassen. Ich kann es nicht besser sagen: Dieses Buch bricht dem Leser das Herz und setzt es ganz neu zusammen.

 

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Lucie Castel

Weihnachten wird wunderbar

 

 

·         Broschiert: 272 Seiten

·         Verlag: Thiele & Brandstätter Verlag

·         ISBN-13: 978-3851794083

 

 

 

 

Wohlig, witzig, weihnachtlich

 

Hinter dem weihnachtlich geschmückten Cover, Schneeflocken inklusive, steckt zwar in der Tat ein Buch, das seine Handlung rund um die Festtage ausbreitet, aber es ist kein Weihnachtsbuch im klassischen Sinn. Es ist, um es kurz zu sagen, ein zauberhaftes Buch, das es verdient, mit Kuscheldecke, Zimtsternen und einem mit orientalischen Kräutern versetzten Tee auf dem Sofa gemütlich gelesen zu werden. Und wenn der Tee bereits kalt geworden ist und die Zimtsterne aufgegessen sind, bleibt nach Lektüre der Geschichte ein wunderbar gemütlich-wohlig-warmes Gefühl zurück, irgendwie in der Tat weihnachtlich…

 

Zum Inhalt: Als die beiden Schwestern Scarlett und Mélanie die Weihnachtstage bei ihrer verwitweten Mutter in der Bretagne verbringen wollen, legt ein Schneesturm den Flugverkehr lahm und die beiden sitzen im Flughafen von Heathrow fest. Über Stunden. Und weil bei Scarlett stets alles schiefgeht, was schiefgehen kann, landet sie aus Versehen in der Herrentoilette und trifft dort auf einen englischen Gentleman, dessen distinguierte und ironische Art Scarlett sowohl herausfordert als auch verunsichert. Als schließlich klar wird, dass an diesem Tag kein Flugzeug mehr starten wird, lädt William, besagter Gentleman und Kunsthändler, die beiden Schwestern höflich dazu ein, vorerst in seinem Haus in Kensington zu bleiben. Dass dort unerwarteter Weise plötzlich auch noch Williams gesamte englische Familie vor der Tür steht, mit all ihren Schrullen und Verrücktheiten, schafft ein Chaos an Gefühlsverwirrungen und ungeahnten Überraschungen, wie sie turbulenter gar nicht sein könnten.

 

Die Autorin erzählt diese lebendige Geschichte über verrückt-liebenswerte Menschen gekonnt mit ganz leichter Hand. Für mich standen absolut im Vordergrund die brillanten Dialoge, spritzig und mit geistreichem Witz versehen. Sie geben der Geschichte die richtige Würze, damit sie nie ins Kitschige abgleitet. Aber auch eine leise Melancholie hat zwischen den Zeilen Platz. Sie ist besonders geeignet, „Fäden zwischen die Seelen zu knüpfen“. Natürlich ist das Geschehen vorhersehbar, aber bis es zum erhofften Finale kommt, hat der Leser viel Vergnügen mit all den so schwungvoll und frisch erzählten Fettnäpfchen, Missverständnissen und Komplikationen, mit den mit englischer Vornehmheit gepaarten Verrücktheiten, mit all dem Wortwitz, aber auch mit den leiseren Passagen. Ich kann mir kein besseres Weihnachtsbuch vorstellen!

 

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Ruth Hogan

Vielleicht tanzen wir morgen

 

 

·         Broschiert: 320 Seiten

·         Verlag: List Hardcover

·         ISBN-13: 978-3471351703

·         Originaltitel: The Particular Wisdom of Sally Red Shoes

 

Dieses Buch ist ein Kleinod!

 

Die letzte Seite ist gelesen und ich schließe langsam das Buch. Dieses Buch, das mich so tief berührt hat wie schon lange keines mehr. Und ich weiß nicht, wie ich die passenden Worte finden kann, um von diesem Buch zu erzählen.

 

Mascha lebt nach dem Tod ihres Sohnes über viele Jahre hinweg wie unter Wasser. Die einzigen „Freunde“, die sie näher an sich heranlässt, sind die Toten auf dem Friedhof, denen sie ihren täglichen Besuch abstattet. Erst die Begegnung mit der obdachlosen Sally Red Shoes bewirkt eine vorsichtig-langsame Veränderung in Mascha. Und mit der inneren Veränderung bekommt auch die äußere Wirklichkeit neue Chancen, ins Leben von Mascha zu treten.

 

Diese kurze Inhaltsangabe klingt nach dem Inhalt zahlloser anderer Bücher: eine trauernde Mutter, die durch eine besondere Begegnung neuen Lebensmut erhält. Soweit richtig und doch meilenweit entfernt. Denn die Einmaligkeit des Buches liegt nicht im Inhalt, sondern in der Schreibekunst der Autorin, in den unzähligen feinen und feinsten Details, die sich auf jeder Seite finden lassen, in den feinsinnigen Beobachtungen und Erinnerungen, in den wunderschönen, bilderreichen, geradezu lyrischen Beschreibungen, in der faszinierenden Gabe der Autorin, mit wenigen Worten innere Bilder entstehen zu lassen so intensiv verdichtet, als würde man Lyrik lesen. So beschreibt sie zum Beispiel den Teil des Friedhofs mit alten, nicht mehr gepflegten Grabstätten, auf denen die Grabsteine schief und krumm dastehen, als das „Feld der Trunkenheit“, und Mascha stellt sich vor, wie sich die Begrabenen an die Ränder ihrer schiefen Särge klammern, um nicht vollends den Halt zu verlieren. Und nur diese großartige Autorin kann den ständigen Begleiter von Mascha, den riesigen Wolfshund Haizum, so liebevoll-treffend beschreiben als einen Hund „mit den Augen eines Engels und dem Atem eines Kobolds“. Überhaupt möchte ich ständig aus dem Buch zitieren. Wie könnte man die Erstarrung, die manche Trauernde erfasst, besser ausdrücken als die Autorin: „Wir wickelten unsere Trauer fest ein in erstickende Selbstbeherrschung“. Überhaupt liegt über dem ganzen Buch, abgesehen vom überraschenden Ende, so etwas wie ein feiner glänzender, grauer Organzastoff, nämlich die Lebenstraurigkeit, nicht heilbar, duftig zwar, ganz leicht, aber dennoch jede Minute des Lebens mit einem grauen Schleier überziehend. Gleichzeitig aber liegt unter diesem grauen Schleier auch eine dicke Schicht Humor, bissig und schrullig. Wenn ich noch wie früher Kurse in Kreativem Schreiben geben würde, wäre „Vielleicht tanzen wir morgen“ ein Lehrbuch, eine Pflichtlektüre, insbesondere zur besonderen Kunst der Autorin, Menschen zu schildern, skurril-liebevoll, kreativ, wie Karikaturen auf ihr Wesentliches reduziert. Ein dickes Lob auch an die Übersetzerin, die es schaffte, die Einzigartigkeit der Sprache von Ruth Hogan samt der „verhuddelten“ Wörter von Sally Red Shoes kongenial wiederzugeben.

 

Ich wünsche diesem Buch viele einfühlsame, empfindsame Leser, die Freude haben an der überreichen poetisch-sprachlichen Kunst der Autorin, denn dieses Buch ist ein wahres Kleinod!

 

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John Jay Osborn

Liebe ist die beste Therapie

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 288 Seiten

·         Verlag: Diogenes

·         ISBN-13: 978-3257070439

·         Originaltitel: Listen tot he Marriage

 

 

 

Kammerspiel zu dritt

 

Mit dem Buch habe ich ein großes Problem.  Ich konnte es nicht unvoreingenommen lesen, weil ich mein psychotherapeutisches Fachwissen beim Lesen nicht ausblenden konnte. So war ich teils verwundert, teils nahm ich kopfschüttelnd die Vorgehensweisen der Therapeutin zur Kenntnis, teils auch ebenso kopfschüttelnd die Verhaltensweisen der Probanden und ihren geschilderten Weg des reiferen Miteinanders. Der Autor ist nicht „vom Fach“. Vielleicht hat er selbst eine Paartherapie erfahren und aus seinen daraus resultierenden persönlichen Erkenntnissen einen Roman gebastelt. Dazu sollte man vielleicht auch noch berücksichtigen, welch anderen Stellenwert therapeutische Interventionen in Amerika haben im Vergleich zu Deutschland. Wie auch immer – für mich war der Roman leider kein Aha-Erlebnis.

 

Der Roman ist inszeniert wie ein Kammerspiel: Das gesamte Geschehen spielt sich ausschließlich in der Praxis der Paartherapeutin Sandy ab. Dort suchen Steve und Charlotte, Mitte 30, zwei Kinder, seit einiger Zeit getrennt lebend, Rat und Beistand. Beide hatten in der Zwischenzeit Affären, und doch gibt es etwas zwischen den beiden, das sie, ohne dass sie es sich wirklich eingestehen wollen, noch hoffen lässt. Dem Leser wird anhand des Verlaufs der Therapiestunden klargemacht, dass ein Teil der Problematik in der unterschiedlichen Art und Weise der Kommunikation zwischen den Ehepartnern liegt. Sorry, aber für diese Erkenntnis braucht es keine 300 Seiten. Auch nicht für die Erkenntnis, welche Verletzungen Ehebruch mit sich bringt. Die geschilderten Vorgehensweisen/Fragen der Therapeutin sind so oberflächlich, so nichtssagend, dass sie im realen Leben mit Sicherheit keine großen Entwicklungen von Paaren in Not hervorrufen würden. Dass wir als Leser dann auch noch immer wieder in die Gedankenwelt der Therapeutin mit ihren eigenen Problemen hineingezogen werden, empfinde ich als absolut störend und unnötig.

 

Als Roman ist das Buch mäßig fesselnd, es fehlt der Spannungsbogen, es fehlen Höhen und Tiefen, es fehlen überraschende Entwicklungen oder echte Aha-Erlebnisse. Wer glaubt, er würde durch das Buch etwas über kompetente Paartherapie erfahren, sei gewarnt. Denn es ist und bleibt ein  Roman, also per definitionem eine fiktive Lang-Erzählung, mehr nicht.

 

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Annette Hess

Deutsches Haus

 

 

Gebundene Ausgabe: 368 Seiten

Verlag: Ullstein Hardcover

ISBN-13: 978-3550050244Hörbuch: Spieldauer: 8 Stunden und 56 Minuten

Version: Gekürzte Ausgabe

Verlag: Hörbuch Hamburg HHV GmbH

 

 

Ein wichtiges Buch!

 

Obwohl ich nicht oft Hörbücher „konsumiere“, weil ich beim Hören meist nicht so konzentriert bin auf den Text wie beim Lesen, habe ich mich dieses Mal ausnahmsweise für das Hörbuch entschieden, weil mir die Hörprobe so gut gefallen hatte. Die angenehme und lebendige Stimme von Eva Meckbach machte es mir leicht, über fast 9 Stunden die Geschichte zu verfolgen. Dennoch werde ich das Buch auch noch einmal lesen, denn es ist meines Erachtens ein sehr wichtiges Buch, das volle Aufmerksamkeit verdient.

1963: Die junge Dolmetscherin Eva wird gebeten, in einem Prozess Zeugenaussagen zu übersetzen. Verwunderlich, dass sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter von diesem Auftrag abraten. Dennoch übernimmt sie, ihrem Bauchgefühl folgend, die Aufgabe an und verfolgt dadurch den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt im Nachkriegsdeutschland, einen Jahrhundertprozess, der alles verändern wird, auch im Leben von Eva.

Das Buch hatte für mich  - neben der geschichtlichen Relevanz – eine besondere Eindringlichkeit, denn ich war im gleichen Alter wie Eva. So viele geschilderte Szenen des täglichen Lebens dieser Zeit habe ich genauso erlebt, und das Buch rief eine Fülle an Erinnerungen wach. Ich konnte so ganz direkt die muffige Spießigkeit derer nachempfinden, die alles nur noch hinter sich lassen wollten, auch die politische Naivität so vieler junger Menschen, denen ihre Eltern das während der Kriegszeiten Erlebte nicht erzählt hatten. Intensiv und atmosphärisch dicht erzählt die Autorin von den frühen sechziger Jahren, in denen die Menschen mehrheitlich nur noch nach vorne blicken und sich mit Fragen von Schuld oder Scham nicht auseinandersetzen wollten. Faszinierend und nachvollziehbar wird die Wandlung Evas vom naiven jungen Mädchen hin zu einer gereiften jungen während des Verlaufs des Prozesses geschildert. Überhaupt werden alle im Buch geschilderten Personen sehr authentisch und psychologisch folgerichtig geschildert. Dass neben der Fiktion des Romans reale Szenen der Zeugenbefragungen aus dem Prozess sparsam eingestreut sind, lässt uns die geschehenen Grausamkeiten umso eindringlicher erahnen und wirft viele, viele Fragen auf, was Mut und Feigheit, Verantwortlichkeit und Wegschauen betrifft und wie es heute um unsere Mitmenschlichkeit bestellt wäre, wenn wir nur unter Gefahren dafür einstehen könnten.

 

Ein wichtiges Buch, dem ich viele, viele aufgeschlossene Leser wünsche.

 

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Ellen Sandberg

Die Vergessenen

 

 

·         Broschiert: 512 Seiten

·         Verlag: Penguin Verlag

·         ISBN-13: 978-3328100898

 

 

Ein grandioses Buch, das jeder lesen sollte

 

 

 

Das vorliegende Buch ist für mich eines der wichtigsten und packendsten Romane dieses Lesejahres!

 

Es ist bereits viel, sehr viel darüber geschrieben worden, deshalb nutze ich ausnahmsweise für den Inhalt den Klappentext: „1944. Kathrin Mändler tritt eine Stelle als Krankenschwester an und meint, endlich ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Als die junge Frau kurz darauf dem charismatischen Arzt Karl Landmann begegnet, fühlt sie sich unweigerlich zu ihm hingezogen. Zu spät merkt sie, dass Landmanns Arbeit das Leben vieler Menschen bedroht – auch ihr eigenes.
2013. In München lebt ein Mann für besondere Aufträge, Manolis Lefteris. Als er geheimnisvolle Akten aufspüren soll, die sich im Besitz einer alten Dame befinden, hält er das für reine Routine. Er ahnt nicht, dass er im Begriff ist, ein Verbrechen aufzudecken, das Generationen überdauert hat ...“

 

Grundlage des Buches ist die akribische Recherche historischer Faktoren bestimmter Örtlichkeiten, verbunden mit der fantasievollen Ausgestaltung von Geschehnissen, die dennoch auch jenseits der Fiktion in ähnlicher Weise geschehen sein könnten. Genau das hebt den Roman aus dem Romanhaften heraus und macht uns Leser schaudern, aber auch nachdenklich werden über die Frage, die uns letztlich die Protagonisten stellen: Was hätte ich in dieser oder jener Situation getan? Es ist leicht, sich heute vorzugaukeln, man hätte damals  moralisch lobenswert gehandelt. Aber wie integer sind wir noch unter Angst, unter Lebensbedrohung?

 

Dass hinter dem Pseudonym Ellen Sandberg die erfolgreiche Autorin von Kriminalromanen Ingrid Löhnig steckt, spürt man diesem tiefgründigen Roman auf jeder Seite an. Der Handlungsaufbau ist routiniert ausgearbeitet, die Protagonisten sind psychologisch nachvollziehbar gezeichnet. Der Roman ist insgesamt so packend geschrieben, so intensiv in seiner Wirkung, dass man sich dem Buch nicht entziehen kann und geradezu atemlos von Seite zu Seite getragen wird.

 

Fazit: Gekonnt geschrieben und eindringlich in Szene gesetzt wird in diesem Roman ein Kapitel aus einer noch nicht so lang vergangenen Zeit des Grauens. Der Autorin ist es meisterhaft gelungen, einen außerordentlich wichtigen und gleichzeitig fesselnden Roman zu schreiben, der lange, lange über das Lesen hinaus in uns Wirkung zeigt. Ein grandioses Buch, das jeder, wirklich jeder lesen sollte!

 

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Miriam Maertens

Verschieben wir es auf morgen

 

 

·         Seitenzahl der Print-Ausgabe: 272 Seiten

·         Verlag: Ullstein

·         ISBN: 978-3-96366-002-3

 

 

Ein Lehrbuch für die Kraft des Willens

 

 

 

Auf der Rückseite des Buches steht die eigentliche Botschaft des Buches, der in meinen Augen wichtigste Satz: „Fast alles liegt in meiner Hand, mein Wille hat einen enormen Einfluss auf mein Leben.“

 

Miriam Maertens lässt uns teilhaben an ihrer Kindheit und Jugend, an ihrem gesamten Werdegang, aber auch an ihrer Familie und ihren Freunden. Miriam Maertens ist an Mukoviszidose erkrankt, die Ärzte prognostizieren ein kurzes Leben. Und Miriam Maertens ist Schauspielerin, und zwar Bühnenschauspielerin. Ein Widerspruch in sich, eigentlich eine Unmöglichkeit!

 

Die Autorin schildert fast emotionslos und ohne jegliches Selbstmitleid ihren Lebens- und Leidensweg bis hin zur – fast zu späten – Lungentransplantation. Schon als Kind beschließt sie, einfach so zu leben, als sei sie gesund. Sie will am Leben teilhaben, es in vollen Zügen ausschöpfen, und vor allen Dingen will sie ihren Traum leben, nämlich Schauspielerin zu werden. Dies alles trotz körperlicher Schwäche, trotz der lebensnotwendigen Inhalationspausen, trotz der kräftezehrenden immer wiederkehrenden Kämpfe gegen Infektionen. Doch damit nicht genug! Sie will ein Kind, und sie bekommt einen Sohn. Ihr Körper unterwirft sich immer wieder neu dem unermesslich starken Willen der Autorin. Und sie schafft das Unvorstellbare, wechselt je nach Engagement zigmal den Wohnort, versorgt ihren Sohn und ihren Hund, verschweigt ihre Krankheit, widersetzt sich den Ratschlägen der Ärzte, feiert Erfolge – und ignoriert weitgehend die Zeichen, die ihr Körper setzt. Denn auf der Bühne gibt es keine Schonung und im Selbstverständnis von Miriam Maertens auch nicht. Bis es fast zu spät ist. Und noch einmal baut sie mit enormer Willensstärke die allerletzte Kraft auf, um die Lungentransplantation zu überstehen.

 

Das Buch hat mich tief beeindruckt und bewegt, es hat mich das Glück spüren lassen, ganz selbstverständlich atmen zu können und es hat mich gelehrt, welch immense Kraft in Disziplin und Willenskraft stecken. Ein Mut machendes, ein starkes Buch!

 

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John Crowley

KA

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 576 Seiten

·         Verlag: Golkonda Verlag

·         ISBN-13: 978-3946503453

 

 

Gemischte Gefühle

 

Wir leben an einem Ort, der durch seine „Krähenplage“ in den Zeitungen zu besonderer Berühmtheit gelangte. Ich dagegen fühlte mich noch nie von den Krähen geplagt, sondern habe bisher stets mit großem Interesse diese so überaus klugen und geschickten Vögel beobachtet, die ja leider mit einer nicht gerade melodischen Stimme gesegnet sind. Insofern sprach mich das Buch spontan an, obwohl Fantasy nicht unbedingt mein bevorzugtes Genre ist.

 

Den Inhalt in komprimierter Form gibt der Klappentext perfekt wider: „Dar Eichling ist die erste Krähe der Weltgeschichte, die einen eigenen Namen bekommt. Sie erfindet eine Sprache für das Krähenvolk, fliegt in die Anderswelt und stiehlt versehentlich die Unsterblichkeit. In zahlreichen Leben freundet sie sich mit Menschen aus verschiedenen Epochen an und entdeckt an der Seite des Heiligen Brendan Amerika – immer auf der Suche nach der Wahrheit über Leben und Tod. Bis sie in einer Zeit, in der unsere Welt bereits in Trümmern liegt, einen Menschen findet, dem sie ihre Geschichte erzählen kann. Denn wahre Unsterblichkeit liegt in den Geschichten, die immer weiter erzählt werden ...“

 

Leider hat mich das Buch jedoch mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Es mäandert zwischen Fantasy und Sachbuch hin und her und ist dadurch streckenweise regelrecht langweilig zu lesen. Große Themen werden berührt, manchmal auf sehr wunderbare, feinsinnige Art und Weise, dann wieder schweift der Autor ab und wird episch breit und sachlich-nüchtern, was mir die Freude am Buch ziemlich verleidete. Bestechend gut ist die Beobachtungsgabe des Autors! Durch seine präzisen Schilderungen habe ich gelernt, noch viel genauer diese wunderbaren Vögel zu beobachten. Mal sehen, ob ich eines Tages von ihnen eine der zahllosen Geschichten  erzählt bekomme, die unsterblich sind.

 

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Jess Kidd

Heilige und andere Tote

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 382 Seiten

·         Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

·         ISBN-13: 978-3832198909

·         Originaltitel: The Hoarder

 

Überbordende Bilderwelt

  

 

Die Autorin war mir bislang unbekannt. Umso überraschter war ich bereits nach den ersten Seiten von der immensen Kraft ihres Schreibstils, ihrer Beschreibungen, von den eindringlichen Wortbildern, die sich im Kopf auftun wie eine Dia-Show: Klick, klick, klick – Bild für Bild entstand vor meinem inneren Auge. Immer mehr Bilder. Immer mehr. Und noch mehr. Nach einer Weile musste ich aufpassen, die Aufmerksamkeit nicht zu verlieren. Schnell-Lesen wäre eine Beleidigung für dieses Buch! 

 

Der Verlag beschreibt den Inhalt so perfekt, wie ich es gar nicht könnte: „Seit dem Tod seiner Frau und den ewigen Streitereien mit seinem Sohn vertreibt Cathal Flood jeden, der sich ihm nähern will. Einst Antiquitäten- und Kuriositätenhändler ist er längst zum Messie verkommen. Sein Sohn hofft, ihn auf Dauer in ein Altenheim verfrachten zu können. Die Neueste in der Riege erfolgloser und unterbezahlter Sozialbetreuer, die Cathal zur Räson bringen soll, ist Maud Drennan. Unter den wüsten Beschimpfungen des Alten zieht sie beherzt gegen Dreck und Müll zu Felde. Doch trotz aller Unerschrockenheit ist ihr Bridlemere unheimlich. Überall im Haus scheinen verschlüsselte Botschaften zu warten. Wie das Foto von zwei Kindern, auf dem das Gesicht des Mädchens ausgebrannt ist. Hat Flood eine Tochter? Wieso weiß niemand von ihr? Und warum hasst er seinen Sohn so sehr? Auch der Tod seiner Frau löst Fragen über Fragen aus. Maud würde am liebsten alle erdrückenden Hinweise ignorieren. Doch ihre leicht bizarre Vermieterin Renata, die für ihr Leben gern Detektiv spielt, und eine Horde marodierender Heiliger, die nur Maud sehen kann, wittern längst ein Verbrechen.“ 

 

In der schier grenzenlosen Fülle an Ideen und Bildern war mir die Sozialarbeiterin Maud Drennan in ihrer zupackenden Art eine gute Leitfigur. Immer wenn ich mich in den Skurrilitäten verlor, konnte ich mich neu an Maud orientieren, kehrte mit ihrer Hilfe zur Handlung zurück, bis ich mich wieder neu in den Rausch der Bilder verlor, verführt von einer grandiosen Autorin, die eine Horde seltsamer Heiliger in die Handlung einschleppt, die nur von Maud gesehen werden,  oftmals arg schlecht gelaunt sind, aber letztlich doch hilfreich wirken. Aber ganz ehrlich: Die Handlung war mir nicht wichtig. Ich habe mich durcheinander wirbeln lassen von der grenzenlosen Fantasie der Autorin, die vor nichts halt macht, die mit Grausigem genauso spielt wie mit Mystischem, mit Kuriosem ebenso wie mit poetischen Momenten, mit Metaphern und feinsinnigem Humor. Während ich das Buch las, fühlte ich mich wie unter Wasser, von Satz zu Satz mich treiben lassend, schwerelos… Anrührend, komisch, wunderschön!

 

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 Anthony Ryan

 Das Heer des weißen Drachen

 

 

          Gebundene Ausgabe: 699 Seiten

          Verlag: Klett-Cotta

          ISBN-13: 978-3608949759

      Originaltitel: The Legion of Flame

 

  

Für mich zu verwirrend

 

  

Zwar ist Fantasy nicht mein bevorzugtes Genre, aber weil mich die Leseprobe zu diesem Buch so fasziniert hatte, wollte ich es unbedingt lesen. Was ich nicht bedacht hatte: Es handelt sich um den zweiten Band zu Draconis Memoria. Band 1 kenne ich nicht. Und hierin mag der Grund für meine Schwierigkeiten mit diesem Buch liegen. Trotz der geschickten Einführung bzw. Rückblick auf den ersten Buchseiten hatte ich erhebliche Mühe, der Geschichte wirklich zu folgen. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass sich ständig neue Wissenslücken auftun und ich mich nicht auskenne. Weiter erschwerend kam für mich hinzu die Angewohnheit des Autors, die Kapitel unvollständig zu beenden und erst viele Seiten später fortzusetzen. Diese Cliffhanger und die fehlenden Vorkenntnisse haben mir das Lesen des Buches ziemlich verleidet.

  

Da ich nicht sicher bin, ob ich den Inhalt mit eigenen Worten richtig wiedergeben würde, nutze ich ausnahmsweise den Klappentext: Jahrhundertelang baute das gewaltige Eisenboot- Handelssyndikat auf Drachenblut – und die außergewöhnlichen Kräfte, die es verleiht. Als die Drachenblutlinien versiegen und Kundschafter ausgesandt werden, um neue Quellen zu entdecken, kommt ein verheerendes Szenario in Gang.
Claydon Torcreek ist einer der Überlebenden der gefahrvollen Reise durch das unerforschte Hinterland des Corvantinischen Reiches. Statt der neuen Blutquellen, die die Zukunft seines Volkes hätten sichern können, entdeckt er jedoch einen Albtraum. Der legendäre Weiße Drache ist aus seinem Jahrtausende währenden Schlaf erwacht und giert danach, die Welt der Menschen in Schutt und Asche zu legen. Und noch schlimmer: Er befehligt eine Armee aus Verderbten, die ihm hörig sind.“

 

Eigentlich eine tolle Story, die das Zeug dazu hätte, den Leser mitzureißen. Mich konnte sie leider nicht erreichen. Ich war zu oft verwirrt, wusste nicht, wo ich mich in der Geschichte befand, es fehlten mir Orientierungspunkte, auch emotionale Anknüpfungspunkte. Zu viele Handelnde, zwar immer wieder spannende Episoden, die mich aber nach einer Weile wieder im Unklaren entließen. Für Fantasy-Liebhaber, die es gewohnt sind, in erdachten Universen zu reisen, mag dies alles kein Problem sein. Für mich jedoch war dieses Buch letztendlich wieder eine Bestätigung, dass Fantasy nicht mein Genre ist. Was letztlich nicht der sicher vorhandenen Qualität des Buches angelastet werden darf.

 

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Eva Meijer

Das Vogelhaus

 

·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

·         Verlag: btb Verlag

·         ISBN-13: 978-3442757947

·         Originaltitel: Het Vogelhuis

 

 

Ein behutsames Buch

 

 

„Das Vogelhaus“ hat es mir angetan. Es ist zwar ein Roman, aber doch kein richtiger. Es ist eine Biographie, aber auch keine richtige. Und es ist ein Vogelkundebuch, aber auch das kein richtiges. Und genau deshalb, weil das Buch vieles ist, sich nicht festlegen lässt, mag ich es sehr. Immer ist es kurzweilig, man liest und liest, man lässt sich von den Geschichten wegtragen, genießt die teilweise so poetisch schöne Sprache, die nicht viele Worte machen muss, um Kopfbilder zu erzeugen, und wenn man das Buch schließt, ist man völlig unbemerkt und ungewollt zum Vogelbeobachter geworden, mit größter Achtung vor der Natur.

 

Der Autorin ist es gelungen, uns das Leben und Forschen der vergessenen Vogelkundlerin Len Howard (1894-1973) auf eine ganz spezielle, wunderbar kurzweilige Weise näherzubringen. Von Kindesbeinen an hatte Len eine besondere Affinität zur Natur, insbesondere zu Vögeln, aber auch schon sehr früh in ihrem Leben zeigte sich, dass sie sich mehr zur Natur hingezogen fühlte als zu ihren Mitmenschen. Sie lebte als erfolgreiche Geigerin in London, ihre Freizeit jedoch gehörte ausschließlich der Beobachtung und Deutung von Verhalten und Gesang von Vögeln. Der Wunsch, sich ganz diesem Hobby zu widmen, führte schließlich dazu, dass sie sich in ein Cottage weitab von der lauten Großstadt zurückzog und die nächsten 40 Jahre sozusagen in Extremform in Wohngemeinschaft mit Vögeln verbrachte. Über ihre Beobachtungen und Erkenntnisse schrieb sie Bücher und Geschichten. Tragisch zu hören, dass ihr Vermächtnis, ihr Haus dem Sussex Naturalists‘ Trust als Auffangstation zu vermachen, ignoriert wurde, das Cottage teuer verkauft und die Bäume des Gartens abgeholzt wurden. 

 

Die Mischung zwischen fiktiven und überlieferten biographischen Szenen aus dem Leben der Vogelforscherin und eingestreuten Geschichten über Sternchen, einer ganz besonderen Kohlmeise, macht das Geheimnis des Buches aus. Auf ganz unspektakuläre Weise gewinnen wir einen Einblick in das Fühlen und Denken eines Menschen, der völlig aufging in seiner wahren Berufung. Die Autorin konnte auf großartige Weise die Faszination des genauen Hinschauens vermitteln einschließlich der Entbehrungen, die die Besessenheit für eine Sache mit sich bringt. Dass ein Mensch, der auf solch intensive Weise mit scheuen Wesen zusammenlebt, zum menschenfeindlichen Einsiedler wird, lässt Eva Meijer völlig wertfrei im Raum stehen. Den eigenen Weg zu gehen mit allen Konsequenzen als eine Möglichkeit, das Leben zu gestalten, das vermittelt Eva Meijer in wunderbarer Weise, so leise und behutsam, wie es die Annäherung an Vögel erfordert.

 

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René Freund

Ans Meer

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 144 Seiten

·         Verlag: Deuticke Verlag

·         ISBN-13: 978-3552063631

 

 

Ein feinsinnig-humoriger Roman, der zu Herzen geht

 

 

Anton ist Fahrer eines Linienbusses. Tagaus tagein steigen Dorfbewohner und Schulkinder ein und aus. Anton legt Wert auf anständiges Grüßen seiner Fahrgäste, denn seiner Meinung nach ist sogar an der Himmelspforte ein höfliches Grüß Gott angebracht. Essen ist sein größtes Hobby. Ohne Butterbrezen wäre das Leben in seiner Routine nicht erträglich, umso mehr, wenn man eine Mutter hat, die Mechthild heißt und sich auch so benimmt. Seit einiger Zeit jedoch ist Anton verliebt, und zwar in Doris, eine Nachbarin, obwohl gestern Nacht auf deren Balkon ein fremder Mann hustete. Und dann bereitet der Chef auch noch Antons baldige Entlassung vor. Am Tag darauf steigt die krebskranke Carla in den Bus und fordert vehement, dass sie ein letztes Mal das Meer sehen möchte, jetzt und gleich.  Anton steht vor der Herausforderung seines Lebens: Soll er einmal im Leben abweichen vom Kurs, einmal die Monotonie des Alltags durchbrechen und Mut beweisen?

 

Eine bunte Mischung von Fahrgästen befindet sich im Bus. Neben der krebskranken Carla und ihrer kleinen Tochter, die ganz selbstverständlich mit der Krankheit und den Einschränkungen der Mutter umgeht, sitzt unfreiwillig die demente Frau Prenosil im Bus, die von Eva, der man ihre soziale Ader gar nicht zugetraut hätte, geschickt durch alle Tücken des Tages geführt wird. Aber auch Totti, das Kaninchen, und die Geschwister Helene und Ferdinand werden ungewollt Teil einer Reisegruppe, die um Anton geschart etwas erlebt, was mit Mut zu tun hat, mit dem Wagnis, ungewöhnliche Entscheidungen zu treffen, und mit dem Lernen, Verständnis füreinander in all unserer Unterschiedlichkeit aufzubringen.

 

René Freund hat uns mit einem überaus liebenswerten Kurzroman beglückt, der einem Märchen gleich alles mit sich bringt, was uns zum Nachdenken über das Leben, über das was wichtig ist im Leben, herausfordert. Der Autor versteht es, eine perfekte Mischung aus Märchen, Roadmovie, Unterhaltungsroman und Humoreske zu mixen und dies alles mit einem verhaltenen Schuss Tiefgang zu würzen. Dazu in einer so feinsinnigen Sprache, die in schlichten Sätzen scheinbar harmlos vor sich hin plaudert und durch das Prisma unterschiedlichsten Humors von gemein bis schlitzohrig, von entlarvend bis emotional, immer aber treffsicher, oft eine tiefe Traurigkeit verdeckend, mitten hinein in unser Herz zielt. „Manchmal muss man vielleicht ein bisschen von der Linie abweichen, um das Glück zu finden.“ Wie wahr!

 

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Lukas Rietzschel

Mit der Faust in die Welt schlagen

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

·         Verlag: Ullstein Hardcover

·         ISBN-13: 978-3550050664

 

 

 

Weiterhin bleibe ich ohne Verständnis für ostdeutsches Befinden

 

Dass der Autor erst 23 Jahre alt ist, hat mich überaus erstaunt. Zum einen wegen des Schreibstils, der eine eindringliche Wirkung hat, teilweise geradezu poetisch zu nennen ist. Aber auch wegen einer über allem liegenden Hoffnungslosigkeit im Buch, die man von einem jungen Menschen wie dem Autor nicht erwarten würde. 

 

Wir befinden uns in Sachsen wenige Jahre nach der Wende. Tobias und Philipp sind Brüder, ihre Eltern starten mit einem Hausbau in ein neues Leben. Doch die DDR-Vergangenheit lässt sich nicht leugnen. Sie scheint über das Land einen permanenten Schatten der Perspektivlosigkeit geworfen zu haben, der die Menschen in eine uneingestandene Angst treibt, was nicht zuletzt am Thema Flüchtlinge in Wut umschlägt.

 

Ich konnte mit dem Buch wenig anfangen, auch wenn es gut zu lesen war. In seiner Tristesse war es mir als immer schon im Westen lebend keine Hilfe, auch nur einen Funken Verständnis zu entwickeln für die geschilderten Probleme der Menschen im Osten. Im Gegenteil. Das Buch machte mich zornig. Diese immanent passive Erwartungshaltung, „es“ möge besser werden, irgendwie, irgendwann, irgendwer soll es richten, das bessere Leben, das macht mich zornig. Das Leben selbst in die Hand zu nehmen statt nur Bier zu trinken und herumzuhängen, scheint wohl keine Option zu sein. Und die Schuld sucht man bei anderen, natürlich. Auch das macht mich zornig. Der Autor schildert eine Welt, die lethargisch und stoisch auf dem Elend des Alltags beharrt. Die chronische Grausicht, dieser nicht wegwischbare Grauschleier, der über allem liegt, und diese so unreif wirkende Schuldsuche bei anderen, zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge, wurde mir vom Autor nicht wirklich nachvollziehbar erklärt. Ich weiß nicht, wofür dieses Buch gut sein soll. Höchstens vielleicht als Chronik des Scheiterns, wenn Menschen nicht gelernt haben, selbstverantwortlich zu handeln, sich Ziele zu setzen, Idealen nachzustreben. Verständnis für ostdeutsches Befinden hat mir das Buch jedenfalls nicht gebracht, eher noch mehr Kopfschütteln…

 

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Deb Spera

Alligatoren

 

·         Gebundene Ausgabe: 432 Seiten

·         Verlag: HarperCollins

·         Sprache: Deutsch

·         Originaltitel: Alligator

 

 

Starkes, großartig erzähltes Südstaaten-Epos

  

Der überaus starke Buchbeginn nimmt sofort gefangen, und dieser Einstieg in seiner Intensität, auch in seiner Grausamkeit und Unabdingbarkeit zeigt, wohin die Geschichte zielt: auf die enorme Stärke von Frauen, wenn sie sich verbünden, egal woher sie kommen, egal welche Vorgeschichte sie mit sich herumschleppen, egal welche Sehnsüchte sie antreibt. Freiheit und Selbstbestimmung als Selbstverständlichkeit des Lebens sind die nicht ausgesprochenen Ziele.

  

Wir befinden uns in den Südstaaten in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und tauchen ein in das Leben von drei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Gertrude hat einen brutalen, gewalttätigen Ehemann und vier Töchter, die sie nicht ernähren kann. Oretta ist die schwarze Haushälterin von Annie Coles, hat eine scharfe Beobachtungsgabe und willigt ein, eines der kranken Mädchen von Gertrude zu pflegen. Als dritte Frau lernen wir Annie Coles kennen, Ehefrau des Tabakplantage-Besitzers. Sie führt eine Näherei für Getreidesäcke und will ihr Geschäft mit der Anfertigung von Herrenhemden und Damenbekleidung ausweiten, jedenfalls solange ihr Ehemann ihr dies erlaubt.

  

In wechselnden Kapiteln berichten diese drei Frauen jeweils als Ich-Erzählerin ihre Geschichte, was von der Autorin gekonnt durch unterschiedliche Schreibstile, passend zum Bildungsgrad, ausgedrückt wird. In ruhiger, unaufgeregter Erzählweise wird uns jede der drei Frauen nahe gebracht, und zwar auf eine subtil so eindringliche Weise, dass man als Leser Seite um Seite liest, von einer merkwürdigen, nicht erklärbaren Spannung getragen. Die Schwüle des Klimas in Sumpfnähe, die Beklemmung der Lebensumstände, Rassismus, häusliche Gewalt – viele große Lebens- und gesellschaftskritische Themen werden wohltuend zurückhaltend in die Geschichte eingewoben. Ein detailreich und lebendig ausgearbeitetes Südstaaten-Epos in drei „Variationen“, in drei Perspektiven, großartig erzählt, lange nachwirkend. 

 

 

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Guido Maria Kretschmer

Das rote Kleid

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 256 Seiten

·         Verlag: Goldmann Verlag

·         ISBN-13: 978-3442314898

Hörbuch

gelesen von Guido Maria Kretschmer, Katharina, Anna und Nellie Thalbach

 

 

Bin ruck-zuck zum Stoffling geworden

 

Alle lieben Guido Maria Kretschmer. Wo immer er auftaucht, fliegen ihm die Herzen zu aufgrund seiner sympathischen und respektvollen Art. Und genauso ergeht es auch dem Leser dieses Buches, denn es ist ebenso sympathisch, rundum liebenswert, eben ganz und gar eine Kreation von Guido Maria Kretschmer.

  

Ausnahmsweise bemühe ich den Klappentext zur Inhaltsangabe: Anascha ist ein wunderschönes rotes Kleid aus Seide. Sie hängt an einem Filmset in der Garderobe und wartet gespannt auf ihren Auftritt. Aber Anascha ist noch ein junges Textil, und so ist sie froh, dass sie in guter Gesellschaft ist: Da gibt es Eric, den alten Mantel, der bald ihr engster Vertrauter wird, ein liebenswertes Nachthemdchen, das immer vom Bügel stürzt, oder Lulu, das charmante Revuekleid aus Las Vegas. Nur gut, dass sie alle zusammenhalten wie aus einem Garn genäht, denn bald müssen sie so manche Herausforderung meistern. Und vielleicht gelingt es Anascha am Ende sogar, ihren großen Traum zu erfüllen – ein richtiges Zuhause zu haben und einen Menschen, der sie wirklich liebt, für immer …

 

Mich hat in allererster Linie fasziniert, mit welch ideenreichen Wort- bzw. Satz-Schöpfungen der Autor die Welt „des Textils“ zu schildern versteht. Da schließen sich die müden Knopflöchlein, da muss man dem eingebildeten Dior-Kleid den kalten Saum zeigen und dass Kleider ein Herz aus Fäden haben, versteht sich von selbst. Je länger man mit Anascha, dem roten Kleid, die Zeit verbringt, desto mehr entsteht tatsächlich so etwas wie eine neue Achtung vor Kleidung, man wandelt sich zunehmend zum „Stoffling“.  Wir verstehen plötzlich, dass Kleider geliebt werden möchten, dass sie sich sehnen nach Wärme, nach Bügelwärme, und dass sie ihre Energie ziehen aus unserer Aufmerksamkeit und Pflege.

 

Die Hörbuch-Version ist ein Highlight! Dass Guido Maria Kretschmer so feinfühlig lesen kann, hätte ich nicht erwartet. In der Kombination mit den drei Generationen Thalbach, die gewohnt großartig und sehr differenziert gestalten, gewinnt das Buch noch mehr an eindringlicher Lebendigkeit. Ein ideenreicher, feiner Spaß!

 

Einziger Minuspunkt: Dass die weiße Bluse aus Wuppertal spricht, als sei sie aus Köln, ist leider ein grober Fehlgriff. Wer immer dies zu verantworten hat, sollte zu einem Sprachkurs in Wuppertal verdonnert werden!

 

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Debbie Macomber

Eine Schachtel voller Glück

 

 

·         Taschenbuch: 416 Seiten

·         Verlag: MIRA Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3956498060

·         Originaltitel: Twenty Wishes

 

 

Gefühlvolles Lesefutter

 

  

Da bin ich also wieder in der Blossom Street gelandet, zum zweiten Mal schon, mit fast heimatlichen Gefühlen. Wobei mir, dies gleich vorweg angemerkt, dieser Band erheblich besser gefiel als „Der Sommer der Wünsche“. Beim letzten Buch hatte mich meine Leidenschaft für das Stricken in Lydias Wollladen „A Good Yarn“ geführt, dieses Mal führt mich meine Liebe zu Büchern direkt in den Buchladen von Anne Marie Roche.

 

Anne Marie ist, wie mehrere Teilnehmerinnen ihres Lesekreises, Witwe. Zwar hat sie keine finanziellen Sorgen, ihre Buchhandlung läuft gut, aber es fehlt doch etwas Wesentliches in ihrem Leben. Zusammen mit ihren Freundinnen hat Anne Marie die Idee, dass jede von ihnen eine Wunschliste anlegt: zwanzig Dinge, die sie schon längst einmal hätten tun wollen. Und in der Tat – das Nachdenken über die eigenen Wünsche, über Mögliches und Versäumtes, bewirkt bei jeder der Witwen eine Veränderung. Weg vom Selbstmitleid, hin zu neuen Gedanken und Projekten.

  

Debbie Macomber gelingt es auf sehr einfühlsame Art und Weise, eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Um einen Weg aus Trauer und Einsamkeit heraus zu finden, muss man Neues wagen, muss man von sich selbst weg auf andere Menschen achten, auf andere Menschen zugehen, etwas für andere tun. Jede der Freundinnen findet im Laufe des Buches einen für sich stimmigen Weg, sie lernen voneinander, und insbesondere Anne Marie erlebt auf ganz besondere Weise, wie das Leben ungeahnte Dinge für sie bereit hält, wenn man sich öffnet – öffnet für Menschen, öffnet für das Leben.

 

Ein gefühlvoller, romantischer Roman, sicher stellenweise ein wenig kitschig, mit Klischees versehen, sehr amerikanisch, aber durchaus mit einer ernst zu nehmenden Botschaft. Das ideale Buch, wenn man Lust auf gefühlvolle, entspannte Lektüre hat.

 

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Didi Drobna

Als die Kirche den Fluss überquerte

 

·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

·         Verlag: Piper

·         ISBN-13: 978-3492059206

 

 

 

Ein tief bewegendes Buch

  

Lt. Klappentext ist das vorliegende Buch ein Entwicklungsroman. Überrascht hat mich der Begriff, vom Verlag gewählt, denn in der Gegenwartsliteratur ist die Bezeichnung selten geworden. „Der Ausdruck Entwicklungsroman bezeichnet einen Romantypus, in dem die geistig-seelische Entwicklung einer Hauptfigur in ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Umwelt dargestellt wird“ sagt Wikipedia. Ja, es stimmt, dieser Roman ist in der Tat ein Entwicklungsroman. Daniel ist die Hauptfigur, und wir verfolgen sein inneres Reifen in quälend langsamen Einzelschritten. Als sein Vater, für Daniel und seine Schwester völlig überraschend, auszieht und sie mit der etwas unberechenbaren Mutter allein lässt, gerät Daniel in ein Gefühlschaos, das über Jahre anhält. Daniel erlebt eine gewaltige Sturm- und Drang-Zeit, er mäandert zwischen Größenfantasien, depressiver Lethargie und unkontrollierter Wut. Er versteigt sich obsessiv in eine kompensatorisch übersteigerte Zuneigung zu seiner Schwester. Er erstickt geradezu im permanenten Zwiespalt zwischen Anerzogenem und zaghaft auftauchendem eigenen Willen. Wir erleben mit Daniel und seiner Schwester zwei tief beschädigte Kinderseelen, Kinder, die sich schuldig fühlen für die Flucht des Vaters, für das Vergebliche im Leben der Mutter und die sich ein Leben lang nicht wirklich daraus befreien können. Erst als die Parkinson-Demenz der Mutter nicht mehr zu leugnen ist und die Familie auf ganz neue Weise gefordert wird, gewinnt auch Daniel endlich Konturen…

  

Didi Drobna lässt uns tief Einblick nehmen in ein Familiengefüge, das auseinanderbricht und sich wieder in neuer Weise zusammenfügt. Ihre pointierte Erzählweise von vermeintlich komischen Familienszenen könnte allerdings zu Missverständnissen führen. Nein, es ist kein komisches Buch, es erzählt nicht einfach schräge Erlebnisse von schrägen Menschen. Es ist ein tragisches, tief trauriges Buch voll von Angst, Versagen, fehlgeleiteter Suche nach Verlorenem, wenngleich auch zugegebenermaßen gekonnt verpackt in pseudo-fröhlichem Geschenkpapier.

 

Die Autorin verfügt über eine gewaltige und gleichermaßen poetische Sprachkraft. Ihre Wortbilder kommen ganz einfach daher, ganz unspektakulär, geradezu minimalistisch, und zielen doch mit einer unglaublichen Präzision auf das Wesentliche. Umfassender und tiefergehend kann man zum Beispiel Demenz nicht schildern: „… wie sie in ihrem Kopf herumirrte…“

 

Ein großartiger Roman, in poetischer Sprache Tiefen des Mensch-Seins auslotend, bewegend, zum Wieder- und Wiederlesen.

 

 

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Steve Alten

MEG

 

 

·         Taschenbuch: 400 Seiten

·         Verlag: Heyne Verlag

·         ISBN-13: 978-3453439016

·         Originaltitel: Meg

 

 

Nervenkitzel und Wissenswertes

 

Pünktlich vor Kino-Start erscheint eine komplett überarbeitete Neuauflage des Buches MEG von Steve Alten. Action-Star Jason Statham nimmt den Kampf auf gegen den 20 m langen Killerhai in der tiefsten Tiefe des Ozeans zur Rettung einer Crew in einem Tiefsee-U-Boot. Eine Geschichte, wie man sie sich gar nicht besser vorstellen könnte für Spannungs-Kino.

 

Das Buch zeigte sich mir zu Beginn etwas spröde. Ich musste mich erst einmal einigermaßen geduldig durch recht viel technisches Beiwerk arbeiten, durch Hick-Hack der Zuständigkeiten, durch Unpässlichkeiten des Tiefseeforschers Jonas Taylor und reichlich Gedankenwust. Aber dann nimmt die Geschichte immer mehr Fahrt auf, umklammert uns geradezu und spielt gekonnt mit unseren tiefsten Ängsten. Aber auch der geschickte Perspektivenwechsel, den der Autor hinlegt, indem er uns Einblicke gibt in die Welt des Megadolon und damit in die Welt der Haie, ist absolut faszinierend. Ich bin gespannt, ob und wie der Film diese informative Seite des Buches umsetzt.

 

Das Buch hat mich rundum gepackt, denn es erzeugt enorm starke innere Bilder und lässt einen nicht mehr los. Deshalb unbedingte Leseempfehlung für dieses spannende und gleichzeitig faszinierende Buch

 

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Jessica Fellowes

Die Schwestern von Mitford Manor

 

 

·         Broschiert: 496 Seiten

·         Verlag: Pendo

·         ISBN-13: 978-3866124523

·         Originaltitel: The Mitford Murders

 

Genussvolles Lesefutter

 

Manchmal gibt es sie noch, diese dicken Bücher, die man liebevoll Schmöker nennt und damit Bücher meint, denen Tiefgang fehlt und die uns doch gnadenlos gefangen nehmen, kaum dass die ersten Seiten gelesen sind, in die man geradezu hineinfällt und von denen man sich nach der letzten Seite schmerzlich trennen muss, von den liebgewonnenen Menschen, die man lesend eine Weile begleitet hat und vom Inhalt, der aufs Feinste unterhalten hat. Ich habe dieses schön im Art Déco Stil gestaltete Buch in genau dieser Weise gelesen: als leichte, aber gekonnt geschriebene und gut unterhaltende Lesekost. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

 

Wir befinden uns in London im Jahr 1920. Durch glückliche Umstände erhält die 19-jährige Louisa, die in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen war, eine Anstellung als Kindermädchen bei den Mitfords, einer herrschaftlichen und glamourösen Familie. Sie erringt sich aufgrund ihrer klugen und freundlichen Art schnell die Freundschaft von Nancy, der 19-jährigen ältesten Tochter des Hauses. Zeitgleich wird Florence Nightingale Shore, eine Freundin der Familie und zu Kriegszeiten sich selbstlos aufopfernde Krankenschwester während einer Bahnfahrt grausam ermordet. Nancy und Louisa beginnen aufgrund von  merkwürdigen Beobachtungen eigene Nachforschungen anzustellen. Doch nichts ist so wie es scheint…

  

Die Autorin hat den real geschehenen, bis heute unaufgeklärten Mord an der Krankenschwester Florence Nightingale Shore in ihrem Buch fantasievoll zur Aufklärung gebracht und damit über fast 500 Seiten hinweg einen großen Spannungsbogen gesetzt. Die bei uns relativ unbekannten Mitford Schwestern bzw. deren Leben und Umfeld unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg wurden von der Autorin sorgfältig recherchiert und lebendig-sympathisch dargestellt. Die seelischen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, aber auch gesellschaftliche Zwänge, die zu dieser Zeit noch herrschten, lassen das Buch zwar zu einer leichten, aber keineswegs zu einer seichten Lektüre werden.

 

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Anna Mitgutsch

Die Annäherung

 

 ·         Taschenbuch: 448 Seiten

 ·         Verlag: btb Verlag

 ·         ISBN-13: 978-3442715916

 

 

 

Ein tiefes, ein intensives Buch

 

 

Hier schreibt eine der ganz großen Gegenwarts-Autorinnen, die mich im Jahr 1987 mit dem auf mich erschreckend intensiv wirkenden Buch „Die Züchtigung“ fesselte und seither nicht mehr losgelassen hat.

 

Theo ist 96. Er erleidet einen Schlaganfall, kann sich nur noch mit Mühe mitteilen. Zu Frieda, seiner Tochter, besteht seit vielen Jahren kaum mehr Kontakt, woran Berta, Theos zweite Frau, einen wesentlichen Anteil hatte. Als Frieda einen Anruf aus dem Krankenhaus erhält, entwickelt sich in der Folgezeit ganz langsam eine neue Chance der Annäherung. Der pflegebedürftige Theo verliert die Gegenwart völlig aus dem Blick, erst der ukrainischen Pflegerin Ludmilla gelingt es, zu Theo vorzudringen.

  

Es wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Theo erlebt seine letzte Lebenszeit, schildert sehr bewegend seine Gedanken zu dem, was bald kommen wird. Und er lebt in Erinnerungen, in den guten und weniger guten. Frieda hingegen berichtet in der ihr eigenen spröden Art von ihrer Sicht auf ihre Kindheit und Jugend, auf ihre gescheiterte Ehe, auf alles, was sie lebenslang vermisst hat. Weder Theo noch Frieda ist es je gelungen, offen miteinander zu sprechen. So viele offene Fragen, so viele Unsicherheiten auf beiden Seiten. Dieses entsetzliche Schweigen zwischen den Menschen, aus dem heraus so viel Verletzendes entsteht – dieses große, große Schweigen macht dem Leser das Herz schwer.

 

Anna Mitgutsch erzählt das Große und das Kleine im Leben, Krieg und Schuld, aber auch die Wirkung eines überraschenden Händedrucks. Sie beschreibt Menschen mit einer weisen, beobachtenden Toleranz, ohne Wertung, ohne Stellungnahme, in deren feinsten Regungen wahrnehmend, immer aber so lebensnah, dass man Frieda und Theo und Berta und all die anderen genau vor sich sieht und mit ihnen durch den Park spazieren möchte oder einfach nur am Bett sitzend mit kleinen Gesten wie dem Falten-Wegstreichen auf der Bettdecke Nähe zeigen möchte. In ihrer wunderbar langsamen, elegisch schönen Sprache zieht die Autorin den Leser hypnotisch in ihren Bann, und man landet, ob man will oder nicht, in diesem Buch in einer Welt des Passiven, des scheinbar Unausweichlichen, des Ausgeliefert-Seins und des lebenslang Versäumten. Aushalten muss man die Intensität und Tiefe dieses Buches, aushalten und bestenfalls eigene Bilanz ziehen.

 

 

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Hiltrud Baier

Helle Tage helle Nächte

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

·         Verlag: FISCHER Krüger

·         ISBN-13: 978-3810530387

 

 

 

Wenn die Stille Lapplands die Seele heilt

 

Ein Buch, in dem nicht viel geschieht, und doch so viel Entscheidendes. Gemächlich erzählt, der Landschaft Lapplands angepasst in seiner Weite und Einsamkeit und Stille.

 

Eine Kleinstadt, am Fuß der Schwäbischen Alb. Hier lebt Anna Albinger, knapp über 70, an Lungenkrebs erkrankt, einsam, durch eine jahrzehntelange Lüge niedergedrückt. Und Frederike, Nichte von Anna, von ihr als Kind liebevoll aufgezogen, knapp über 50, frisch geschieden, orientierungslos, was ihr zukünftiges Leben betrifft. Als Anna sie bittet, einen Brief persönlich zu überbringen, und zwar an Peter Svakko, 3.000 km entfernt im schwedischen Lappland lebend, lässt sich Frederike nur sehr widerwillig darauf ein, diese eindringliche Bitte ihrer Tante zu erfüllen.  Doch schließlich macht sie sich mit ihrem Campingbus auf eine lange, lange Reise…

  

Der Roman wird wechselnd aus zwei Perspektiven erzählt. Anna berichtet über ihr stilles Leben, in der die Krankheit eine große Bandbreite an Gefühlen auslöst, Selbstmitleid und Kampfgeist, Depression und trotzigen Überlebenswillen, Verunsicherung und Angst. Über allem jedoch stehen Erinnerungen, intensive Erinnerungen an ihre eigene Kindheit.

 

Dramaturgisch von der Autorin geschickt eingestreut, werden in jedem Anna-Kapitel mehr und mehr Erinnerungen lebendig, und einem Puzzle gleich entwickelt sich ein Bild, das das alles überschattende Schuldgefühl Annas‘ erklärt. In den Frederike-Kapiteln machen wir uns mit ihr auf eine lange Reise, äußerlich und innerlich. Auch Frederike hat aufgrund ihrer Lebenserfahrungen eine eher negative Sicht auf die Dinge, lässt sich aber doch ein auf das, was ihr auf dieser Reise begegnet und erfährt eine ungeahnte Wandlung.

  

Die Autorin erzählt so hautnah, dass ich Annas‘ Schmerzen fast körperlich spüre, mit Herzklopfen zum ersten Mal in einem Helikopter sitze oder die Juni-Morgenkälte Lapplands in meine Knochen kriecht. Und ich erlebe mit den Augen der Autorin eine überwältigend schöne Landschaft, die den Menschen zurückführt auf das, was wesentlich ist. Die Liebe der Autorin zu Lappland teilt sich unmittelbar mit und hallt noch lange nach Beendigung des Buches nach. Es ist nicht wichtig, dass die Geschichte vorhersehbar endet. Wichtig ist, wie gekonnt Hiltrud Baier die großen Lebensthemen mit leichter Hand skizziert und gerade durch die Leichtigkeit und Ruhe eine Intensität erreicht, die mich im Innersten bewegt und nicht mehr loslässt.

 

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Clara Maria Bagus

Der Duft des Lebens

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

·         Verlag: Ullstein Leben

·         ISBN-13: 978-3963660016

 

 Besonders empfehlenswert

 

 

 

Poesie der Weisheit

 

 

Es gibt Bücher zur Unterhaltung, zum Ängstigen, zur Wissensvermittlung, zum Ärgern – und es gibt ganz, ganz selten ein Buch wie dieses hier: Märchen, Weisheit, Poesie, Literatur, unausschöpflich, zum immer wieder Lesen, zum Schwelgen in schönen Worten, in tiefen Sätzen, in poetisch formulierten Feinheiten. „Der Duft des Lebens“ ist ein Buch, so unglaublich schön, so unglaublich tief, dass ich es nicht einfach nur lesen konnte im Sinne von Konsumieren. Ich gönnte mir dieses Buch in ganz kleinen Teilen, wie wenn man etwas besonders Gutes zu essen auf dem Teller hat und es ganz klein schneidet, damit man es länger genießen kann.

  

Die Geschichte spielt in irgendeiner Vergangenheit, vielleicht auch in einer nahen Gegenwart oder in einer zeitlosen Zeit, wer weiß das schon bei Märchen. Sie geschehen einfach immer wieder und wieder, in der Hoffnung, dass sie verstanden werden.

 

Aviv, dessen Mutter Helene bei seiner Geburt gestorben war, wurde von der Hebamme Selma liebevoll aufgezogen. Aviv wird Glasbläser und erhält von Kaminski, einem Arzt mit schwarzer Seele, den Auftrag, 50 Glasfläschchen zu fertigen. Diese sollen einem perfiden Plan des Arztes dienlich sein, nämlich die gute Essenz von menschlichen Seelen einzufangen, damit er letztlich sich selbst einverleiben könne, was seiner eigenen Seele fehlt.

  

Das Buch zu lesen, erfordert es, ganz leise zu werden in unserem lauten Leben, und abzurücken von all dem ewigen Geplapper der Welt um uns herum. Und erst wenn es uns gelingt, ganz still in uns selbst zu werden, erst dann, so glaube ich, können wir all die Klänge, Farben und Düfte der Worte dieser Erzählung nachempfinden. Kein Wort im Buch steht zufällig da, keines ist zuviel. Und ich hatte das Gefühl, über den Zeilen zu schweben, ganz vorsichtig, um den Zauber nicht zu zerstören. Der Text ist wie ein Gedicht zu lesen, Zeile für Zeile, Bild für Bild, sorgsam, langsam, um die Schönheit der Sprache nicht zu zerstören.

 

Vielleicht ist das Buch eine Allegorie des Sich-Bemächtigens des eigenen Schicksals, oder vielleicht will es uns das Wissen um die Einzigartigkeit jedes Menschen vermitteln. Jeder mag seine eigene Botschaft im Buch finden. Auf jeden Fall bleibt mir:  „… weil jeder ein kleines bisschen Verantwortung in sich trägt, das, was ihm vom Leben geschenkt wird, in die Welt zu tragen und zu einem Geschenk an alle zu machen.“ (S. 343)

 

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Gabriele Diechler

Lavendelträume

 

 

·         Taschenbuch: 410 Seiten

·         Verlag: Insel Verlag

·         ISBN-13: 978-3458363507

 

Besonders empfehlenswert

 

Die Kraft der Herzenswärme

 

Normalerweise lese ich Bücher gemäß des Rezensionsauftrages mit Offenheit, mit Neugier, aber auch mit einem gewissen Maß an fachlich-nüchterner Distanz, um mir ein sachlich fundiertes Urteil erlauben zu können. Das vorliegende Buch jedoch ermöglichte mir diesen Blickwinkel erst einmal nicht. Es bahnte sich auf ungeahnten direkten Wegen mitten hinein in mein emotionales Zentrum, und ich brauchte eine Weile Abstand, um für die Rezension zurück auf die Ebene der Sachlichkeit zu finden.

 

Den Inhalt möchte ich nur extrem verkürzt andeuten: Julia, die sich schuldig fühlt am Unfalltod ihrer Mutter und sich generell in ihrem eigenen Leben nicht mehr zurecht findet, entdeckt im Nachlass der Mutter den Liebesbrief eines Parfümeurs aus der Provence. Um dem vermuteten Geheimnis ihrer Mutter auf die Spur zu kommen, reist sie nach Frankreich. Allerdings ist der Absender des Briefes zwischenzeitlich verstorben, Julia trifft stattdessen auf seinen Sohn Nicolas und lernt in der Folge viel, sehr viel über die wirklich wichtigen Themen des Lebens.

 

Was macht nun dieses Buch zu einem besonderen Buch? Es ist ohne Zweifel die faszinierend  starke emotionale Kraft, der sich der Leser nicht entziehen kann. Was bedeutet, dass das Buch gekonnt geschrieben ist. Leichte, eingängige, vielleicht sogar romantisch zu nennende, gut lesbare Geschichten zu schreiben, ohne ins Seichte oder Kitschige abzugleiten, ist große Schreibekunst. Gabriele Diechler erzählt lebendig, bildhaft und fesselnd, sie malt geradezu mit Wörtern. Mit allen Sinnen schildert sie feine und feinste Wahrnehmungen so intensiv, dass die erzählte Farbigkeit sofort im Kopfkino ihr reiches Leben entfaltet. Man schmeckt den Käse, man riecht das Parfüm, man schwelgt in der Schönheit der Landschaft, man fühlt den Wind, man wird Teil des Geschehens. Man sitzt mitten unter den Protagonisten, isst und trinkt mit ihnen, hört ihnen zu und verfällt, ohne es zu merken, geradezu rauschhaft dem Buch. Eine weitere Stärke des Buches sind die Schilderungen der Menschen. Die Autorin taucht tief in die Seelen der Protagonisten ein und legt ihre eigene Lebensklugheit den Romanfiguren in ganz unterschiedlicher Weise in den Mund. Sie zeichnet psychologisch stimmig und empathisch sympathische, individuelle Charaktere, in all ihren Stärken und Schwächen, aber stets mit wohlwollendem Blick.

Und diese positive Sicht der Autorin teilt sich unmittelbar dem Leser mit. Ihre im Buch so deutlich spürbare Herzenswärme lockt auch im Leser das Beste hervor. Ich wüsste nicht, was es Besseres über ein Buch zu sagen gäbe…

 

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Thomas Montasser

Der Sommer der Pinguine

 

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 143 Seiten

·         Verlag: Insel Verlag

·         ISBN-13: 978-3458363460

 

 

 Ganz große Schreibekunst

  

Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein gemütliches Kaminzimmer, weiches Licht, dicker weich-flauschiger Teppich, darauf Sie im Schneidersitz, vor Ihnen in einem alten großen Ledersessel ein gut gekleideter, gepflegt wirkender älterer Herr mit weißen Haaren und Goldrandbrille. In wohlgesetzten Worten und gestenreich erzählt er Ihnen eine Geschichte, ein Märchen wie es scheint. Er macht Pausen, ändert das Erzähltempo je nach Geschehen, er blickt verwundert, wenn er Unglaubliches berichtet, schiebt sachliche Beschreibungen ein, wo er sie für erforderlich hält und an manchen besonderen Stellen blitzt der Schalk in seinen Augen auf. Immer aber sind seine Worte wohlgesetzt, die Sätze gar trefflich geraten… Genauso fühlte ich mich beim Lesen dieses wunderbaren kleinen, feinen Geschenkbandes, entrückt und verzaubert.

 

Die überaus liebenswerte Mrs. Annetta Robington vergisst beim Schmökern  in einer kleinen Buchhandlung in London Ort und Zeit – und macht eine unglaubliche Entdeckung: Der rücksichtsvolle Buchhändler ist ein Pinguin! Und nicht nur ihn, auch den Cellisten im Konzert, den Portier im Hotel, und noch so manch anderen sieht Mrs. Robington plötzlich mit anderen Augen und erkennt in ihnen ebenfalls Pinguine. In ihr reift ein raffinierter Plan, diese besondere Spezies von Lebewesen zu retten, und sie wächst über sich selbst hinaus.

 

Was für eine unglaublich schöne, bestechend „sorgfältige“, oder sollte ich sagen, „sorgsame“ Sprache. Allein schon für diesen überaus gepflegten Sprachstil liebe ich das Büchlein. Dazu kommt die feine Schilderung der sehr englischen Kulisse und der sehr englischen Denk- und Handlungsweise speziell von Mrs. Robington, die man jederzeit in einem der Filme rund um den Ermittler Barnaby wiederzufinden meint. Die liebenswert zauberhaften Zeichnungen von Isabel Pin passen perfekt zum Erzählstil. Dass uns Pinguine den Spiegel vorhalten, uns in unserer Beschränktheit entlarven und dies alles mit einem stillen Lächeln – das ist ganz große Schreibekunst.

 

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Federica de Cesco

Der englische Liebhaber

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 360 Seiten

·         Verlag: Europa Verlag

·         ISBN-13: 978-3958900806

  

 

Ein vielschichtiger, ein wichtiger, ein grandios geschriebener Roman

 

Aus dem Europa Verlag habe ich zuletzt den großartigen Roman „Ein Held in dunkler Zeit“ von Christian Hardinghaus gelesen, der mich sehr beschäftigte. Und nun vorliegender Roman im gleichen Verlag, von einer Autorin mit großem Namen – das weckte in mir höchste Erwartungen. Und ganz kurz gesagt: Der Roman „Der englische Liebhaber“ übertraf sogar noch meine höchsten Erwartungen, umso mehr, als man erfährt, dass es sich um die Ausgestaltung einer wahren Begebenheit handelt.

 

Der Roman bewegt sich in zwei Zeitebenen: Münster 1988 - Charlotte, 1947 geboren, Filmemacherin, findet im Nachlass ihrer verstorbenen Mutter Anna Tonbänder und Notizhefte. In diesen Aufzeichnungen wird die zweite Zeitebene lebendig, nämlich Münster 1946. Die Stadt ist zerstört, es ist Winter und Anna versucht, als Dolmetscherin bei den britischen Besatzern ihr Überleben zu sichern. Als ihr der englische Captain Jeremy begegnet, beginnt eine gefährlich-leidenschaftliche Beziehung, denn mit dem Feind lässt sich eine deutsche Frau nicht ein, sie wird zu einer „Britenschlampe“.  Anna wird schwanger, und Jeremy ist von einem Tag auf den anderen verschwunden, die Ämter verweigern jegliche Auskunft. Je mehr Charlotte in den Aufzeichnungen ihrer Mutter eintaucht in deren Leben und Lieben, desto lebendiger wird für den Leser die immense Kraft einer Liebe, die mehr aus Hoffen denn aus Leben bestand. 

Jenseits der Erzählung des Geschehenen liegt noch eine dritte Ebene, und die verleiht dem Roman die eigentliche Tiefe. Es ist die Ebene der Reflektion, des Erkennens, der Information, auch der Ernüchterung. „Man hatte uns nicht zur Kritik erzogen.“ Wir erfahren viel über ein Kapitel deutscher Nachkriegszeit, einer Zeit, in der die Menschen noch nicht wirklich frei waren von den Nachwirkungen der nationalsozialistischen Gedankenwäsche und in der die kollektive Schuld verdrängt werden musste, damit man weiterleben konnte.

 

Federica de Cesco schreibt hinreißend, mitreißend, lebendig, intensiv. Die von ihr beschriebenen Menschen verkörpern jeweils eine individuelle Ausprägung ihrer Zeit: Manfred steht für die Verleugnung des Ich zugunsten einer Ideologie. Jeremy bleibt trotz seiner glaubhaften Liebe zu Anna ambivalent, schillernd, eine Projektionsfläche für Anna’s Gedanken und Sehnsüchte. Anna wiederum ist hart mit sich und anderen, verschlossen, unerreichbar auch für ihre Tochter. Und Charlotte bleibt provokant, ohne echtes Einfühlungsvermögen, eine zutiefst beschädigte Seele, voller Bitterkeit.

 

„Im Alter geht man vom Leben weg“, schreibt Anna. Und dem Leser bricht das Herz.

 

Fazit: Ein vielschichtiger, ein wichtiger, ein grandios geschriebener Roman!

 

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Felicity Everett

Das Paar aus Haus Nr. 9

 

 

·         Taschenbuch: 368 Seiten

·         Verlag: HarperCollins

·         ISBN-13: 978-3959672122

·         Originaltitel: The People at Number 9

 

 

Langer Tanz um‘s Feuer

 

 

Viel geschieht eigentlich nicht in diesem Buch: Sara und Keith mit ihren beiden Kindern leben ein geordnetes, strukturiertes und durchaus glückliches Familien- und Berufsleben. Als die neuen Nachbarn, Gavin und Louise, im Nebenhaus einziehen, beobachtet sie Sara erst verstohlen, dann immer offenkundiger. Nach ersten vorsichtigen Kontaktaufnahmen werden Sara und Keith mehr und mehr in die unkonventionelle Welt der neuen Nachbarn hineingezogen. Da gibt es altersfleckige Bettwäsche, vor Schmutz klebende Fußböden, halb abgebeizte Türen, völlig vernachlässigte und unerzogene Kinder. Alles nimmt Sara, die perfekte Hausfrau, wahr, durchaus erst mit Schaudern, dann aber zunehmend mit einer unerklärlichen Faszination. Je mehr Zeit Sara und Keith mit ihren neuen Nachbarn verbringen, umso mehr löst sich ihr eigenes wohlgeordnetes Leben auf.

 

Ich habe das Buch gelesen, als sei ich selbst eine neugierige Nachbarin, stünde hinter einer imaginären Gardine und könnte es einfach nicht lassen, die beiden Ehepaare zu beobachten. Und ich war, wie Sara, gleichermaßen angezogen und abgestoßen von diesen so verschiedenen Lebensformen. Ich schaute fasziniert zu, wie Sara und Keith zunehmend sich selbst verloren, indem sie, wie sie selbst glaubten, mehr Weltoffenheit gewannen. Voyeuristisch schaute ich als Leserin diesen Menschen beim Leben zu und wartete gespannt auf das entscheidende Drama. Eine seltsame Spannung liegt über dem gesamten Buch, sehr eindringlich ist es geschrieben, mit großartiger Beobachtungsgabe in Szene gesetzt, mit schönen Wortbildern („… wie eine psychedelische Trappfamilie…“) farbig gemalt. Auch psychologisch stimmig werden die Menschen dargestellt, von sehnsüchtiger Unsicherheit bis zur exaltierten Selbstüberschätzung wird eine große Bandbreite menschliche Eigenschaften anhand von kleinen Szenenschnippseln bildlich nachvollziehbar  gemacht.  Für mich erscheint dieses gelungene Buch wie ein langer, sehr langer Tanz um das Feuer und der voyeuristische Leser wartet von Seite zu Seite darauf, wann sich wer wie schwer verbrennen wird.

 

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Antje Wagner

Hyde

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 408 Seiten

·         Verlag: Beltz & Gelberg

·         ISBN-13: 978-3407754356

·         Vom Hersteller empfohlenes Alter: 15 - 17 Jahre

 

  

Grandios erzählt

 

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an, nein, schon beim genaueren Betrachten des Covers, in seinen Bann gezogen und bis zur letzten Seite nicht mehr losgelassen! Da ich den Inhalt nicht erzählen kann, ohne Wesentliches der Geschichte zu verraten, bemühe ich dieses Mal ausnahmsweise den Klappentext: „Seit sie denken kann, ist Hyde Katrinas Zuhause gewesen. Hier ist sie aufgewachsen, mit ihrer Schwester Zoe und ihrem Vater. Jetzt ist Hyde verschwunden – und Katrina auf sich allein gestellt. Von dem, was geschehen ist, weiß sie nur noch Bruchstücke. Als sie beginnt, ein verfallenes Haus zu renovieren, mit dem sie sich auf seltsame Weise verbunden fühlt, führt sie dies auf die Spur eines ungeheuren Geheimnisses. Ist sie überhaupt diejenige, die sie glaubt zu sein?“

 

Das Buch ist meiner Meinung nach grandios geschrieben. Zwei Erzählstränge, Gegenwart und erinnerte Vergangenheit, werden aus Sicht von Katrina erzählt. Katrina ist eine seltsame Achtzehnjährige, Tischlerin auf der Walz, mit einer undeutlichen Aussprache und einem Tuch vor dem Gesicht. Die beiden Erzählstränge bewegen sich erst einmal in langsamen Schritten aufeinander zu, aber je mehr die Handlung voranschreitet, desto schneller finden die Sprünge von Jetzt zu Früher und zurück statt, wobei von Abschnitt zu Abschnitt immer neue Wendungen, neue Fragen, Rätsel und Ungewissheiten auftreten. Allein schon dieses Stilmittel schafft eine Steigerung der Spannung, die atemlos macht. Die Person Katrina, überhaupt alle Personen im Buch, werden außerordentlich lebendig beschrieben, man kommt Katrina im Laufe des Buches als Leser sehr nahe, was ebenfalls einen Teil der Spannung ausmacht. Und dann ist da für mich persönlich das wichtigste Element, der großartige Sprachstil, der teilweise fast expressionistisch mit Wörtern malt wie z. B. die Abendstimmung wie „Johannisbeersirup – ausgelaufen am Himmel“, und so die Geschehnisse, die durchaus auch etwas Mystisches haben, ganz und gar stimmig erzählt. Das Buch löst einen gewaltigen Sog aus, so dass man sich als Leser restlos im Geschehen verliert und die vielen angeschnittenen Themen und damit verbundenen Gefühle hautnah erlebt.

 

Fazit: Ein grandios erzähltes Buch, fesselnd, erschreckend, intensiv – und keinesfalls „nur“ ein Jugendbuch!

 

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Julie Peters

Mein wunderbarer Buchladen am Inselweg

 

 

·         Broschiert: 320 Seiten

·         Verlag: Aufbau Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3746634135

 

  

 

Unaufgeregt-sympathische Sommerlektüre

 

Noch ein letzter Auftrag für die Redaktion, dann Abflug in ein neues Leben in Boston, zusammen mit Freund Harald, zur Gründung einer eigenen Agentur! Frieke ist Journalistin, liebt ihr Smartphone und liebt es zu twittern. Und nun soll sie noch schnell vor Abreise auf die Insel Spiekeroog, um einen verschrobenen Ornithologen, Bengt Gerjets, zu interviewen. Dieser Vogelkundler lebt zurückgezogen und fern aller Bequemlichkeiten der modernen Zeit in einem Bauwagen und beobachtet Brandseeschwalbenkolonien. Oder hat ihr Chef, der auch ein guter Freund von Frieke ist, noch andere Gedanken, Frieke auf die Insel zu schicken? Denn ihr leibliche Vater, den Frieke nie gesehen hat, lebt auch auf Spiekeroog, schwer an Krebs erkrankt. Und dann gibt es noch die Inselbuchhandlung, deren Betreiber sich sehnlichst einen würdigen Nachfolger wünschen, damit sie selbst in einem Cottage in Irland ihren Lebensabend verbringen können.

 

Ja, richtig, das klingt nach Schmonzette. Und es klingt nach einer vorhersehbaren Geschichte. Und doch hat das Buch Qualitäten, die es von der befürchteten verkitschten Groschenheftchenromantik weit entfernt. Zum Beispiel hat es Humor. Da gibt es so manch eine schräge Situation, so manchen „wortreichen“ Ausspruch, der es auf den Punkt bringt. „Du bist Frieke“. „Und du bist Ole.“ Mehr nicht. So begegnen sich Frieke und ihr Vater erstmalig und gehen wieder ihrer Wege. Ostfriesisch knapp halt. Und dann ist da auch die unbedingte Liebe zur Literatur, zu Büchern. Ebba, die Betreiberin der Inselbuchhandlung, hat die Gabe, für jeden Menschen in seiner speziellen Situation genau das richtige Buch zu finden. Man ist als Leser überrascht, mit wieviel Literaturkenntnis solche Szenen geschrieben sind. Und dann ist da die Fähigkeit der Autorin, sehr bildhaft nachspürbar die besondere Ausstrahlung der Insel Spiekeroog in Worten zu malen, die Kraft der Natur geradezu fühlbar zu machen. In einem lebendig-frischen Erzählstil bringt uns die Autorin ihre Protagonisten näher, die alle besondere, eigenständige, psychologisch nachvollziehbare, aber vor allen Dingen sympathische Persönlichkeiten sind. Insgesamt gesehen eine anrührend-unterhaltsam und wohltuend unaufgeregt erzählte Geschichte, eine wohltuend sommerleichte Sommerlektüre.

 

Lediglich einige Rechtschreibfehler, insbesondere in der Großschreibung, stören den guten Gesamteindruck. Und jemand sollte der Autorin noch die alte, aber immer noch gültige Regel beibringen: „Wer brauchen ohne „zu“ gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen.“

 

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Evelyn Kühne

Dünenzauber

 

 

·         Taschenbuch: 320 Seiten

·         Verlag: Forever

·         ISBN-13: 978-3958189706

 

 

 

Sommerleichte Lektüre

 

Eingestellt war ich auf eine vorhersehbare  und seichte Geschichte. Aber dann hat mich die Autorin doch überrascht, denn ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann es als angenehme Urlaubs- oder Sommerlektüre empfehlen, auch wenn die Handlung hauptsächlich usseliges Novemberwetter aufweist.

Die Verlagsankündigung verrät nur einen Teil der Geschichte: Klara fällt aus allen Wolken, als ihre Freundin Jessi ihr eröffnet, dass sie heiraten möchte und zwar schon in drei Wochen. Doch beste Freundinnen sind füreinander da, also packt Klara kurzerhand ihre Sachen und fährt zusammen mit Jessi nach Prerow an die Ostsee, wo die Hochzeit stattfinden soll. Die Hochzeitsplanung gestaltet sich jedoch mehr als schwierig, vor allem als Jessi Klara ein Geheimnis anvertraut, was deren Welt ins Wanken bringt. Und dann ist da auch noch ein mysteriöser Fremder, der Klara immer wieder über den Weg läuft und ihr Herz höherschlagen lässt. Wird die Hochzeit trotz aller Widrigkeiten stattfinden? Und wer ist der Mann, zu dem sich Klara auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt?

 

Das Anliegen der  Autorin ist, den Leser zu berühren und ihn aus dem Alltag zu entführen. Dies ist ihr mit dem vorliegenden Buch perfekt gelungen.  Evelyn Kühne erzählt sehr lebendig und anschaulich, wie die zwei Freundinnen, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, mit den reichlich auftretenden Problemen umgehen. Die Charaktere sind glaubhaft und nachvollziehbar ausgearbeitet, und an Spannung fehlt es auch nicht. Eine Prise Humor und die eindrücklichen Landschaftsschilderungen geben der Handlung das rechte Maß an „Würze“. Das Buch ist eine wunderbare Hommage an die Freundschaft und vor allen Dingen an den Ort Prerow an der Ostsee, letzteres so sehr, dass man gerne selbst die Gegend kennen lernen möchte – vielleicht nur nicht ausgerechnet im November…

 

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Caroline Bernard

Die Muse von Wien

 

·         Broschiert: 496 Seiten

·         Verlag: Aufbau Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3746633923

 

 

 

 

Prächtiges Zeitgemälde ohne Tiefgang

 

Beginn 20. Jahrhundert. Alma Schindler, privilegiert aufwachsend in einer wohlhabenden Wiener Künstlerfamilie, erhält eine sehr umfasssende kulturelle Bildung, ist vielseitig interessiert und offen-neugierig für all die vielfältigen künstlerischen Entwicklungen in Wien. Sie liebt es, am Klavier zu improvisieren und zu komponieren. Jeder, der ihr begegnet, ist fasziniert von ihrer Schönheit und Intelligenz. Aus den Begegnungen mit Klimt, der sie malen möchte,  entsteht eine jugendlich-schwärmerische Liebe, die erst ein Ende findet, als Alma Gustav Mahler kennenlernt und seinem alles überragenden Genius verfällt. Als seine Ehefrau muss sie alle eigenen Wünsche hintanstellen, was sie viele Jahre auch gerne tut, denn Gustav liebt sie sehr und Alma weiß, dass sie mit einem der größten Musiker dieser Zeit verheiratet ist. Erst einige Jahre und Schicksalsschläge später findet Alma zurück zu sich selbst…

 

Es empfiehlt sich, das Buch ohne viele Unterbrechungen zu lesen. So taucht man völlig ein in die Welt des Jugendstil, der Wiener Bohème, der Wiener Secession. Das Buch beschreibt sehr farbenprächtig und eindringlich das schillernde künstlerische Leben in Wien, das einerseits mit Judenfeindlichkeit und an Konventionen gebunden kleinbürgerlich wirkt, andererseits aber auch neuen Kunstrichtungen ein Podium gewährt und bereit ist, seinen Künstlern frenetischen Beifall zu zollen. Die Schilderungen des Wien dieser Zeit, in der Kunst einen so großen Raum einnahm wie sonst nie, sind großartig gelungen. Man spürt in so manchen geschilderten Details die mühevoll-sorgsame Recherchearbeit, die dem Roman zugrunde liegt. Aber auch die der Fantasie der Autorin entsprungenen Details sind so gut eingearbeitet, dass sie durchaus als möglich angesehen werden können. Viele Künstlerbegegnungen werden sehr lebendig geschildert, Richard Strauß mit seiner dümmlichen, tratschsüchtigen Frau zum Beispiel. Überhaupt begegnet man vielen großen Namen, Caruso, Schaljapin, Sigmund Freud, Walter Gropius und viele andere finden im Buch mehr oder weniger ausführlich ihren Platz.

 

Mit der Darstellung Alma’s, ganz Kind ihrer Zeit, konnte ich mich allerdings nicht in allen Passagen anfreunden. Sie wird beschrieben einerseits als eine kluge, hochgebildete, vielseits verehrte und begehrte Frau, andererseits wirkt sie aus der Sicht der Autorin, was Beziehungen, Mutter-Sein oder Selbstwahrnehmung betrifft, oftmals fast kindlich-naiv und unreflektiert, für den Leser deutlich spürbar in etwas langatmigen Erzählteilen. Mein persönlich größter Kritikpunkt ist allerdings, dass an keiner Stelle im Buch die Musik von Gustav Mahler dem Leser wirklich nahe gebracht wird. Es wird von der Musik erzählt, das ja, von Sinfonien, von Kindertotenliedern, aber ich fand keine einzige Stelle im Buch, an der es der Autorin gelungen wäre, den Leser in die unglaublich intensive und tiefe Musik von Gustav Mahler eintauchen zu lassen. Denn nur so, wirklich nur so, wäre die Hingabe Alma’s an den Genius Gustav Mahler nachvollziehbar gewesen. Insofern bleibt das Buch für mich ein gut und farbenprächtig erzähltes geschichtliches Zeitgemälde ohne echten Tiefgang.

 

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Michael Nast

 

Egoland

·         Broschiert: 432 Seiten

·         Verlag: Edel Books - Ein Verlag der Edel Germany GmbH

·         ISBN-13: 978-3841905963

 

 

 

 ... keine Zwiebelschale wert

 

 Im Grunde sagt der Titel alles: Egoland – Egoismus – Egomanie. Der Autor kreist um sich selbst, um seine oberflächliche Welt, und verkauft das Ganze als Gesellschaftskritik. Kann man mit 30 vielleicht so machen und sich dabei genial gut fühlen. Aber ich als Leser muss das nicht haben. 

Ich brauche keine Schilderung blutleerer Protagonisten, die ihre Lebenszeit – und über sie  lesend damit meine Lebenszeit - verplempern. Mich interessiert dieses oberflächliche Hin und Her, dieses narzisstische Selbstbespiegeln in seelenloser Leb- und Lieblosigkeit nicht. Mich stößt das abfällige Betrachten anderer ab. Ich kann mit den Filmzitaten nichts anfangen, denn ohne die Filme zu kennen, verfehlen die Zitate völlig ihre Wirkung. Die häufigen Perspektivewechsel sind behindernd im Lesefluss, sinnlos verwirrend. All die Verallgemeinerungen, Plattitüden, all diese unbedeutenden, detailverliebten Nichtigkeiten, all dieses endlose Herumschwadronieren um nichts, all diese austauschbaren Beziehungen, wobei deren höchste Form der Kontaktfähigkeit in dem gemeinsamen Vernichten von reichlich Alkohol besteht – die Summe all dessen hat bei mir nach anfänglichem guten Willen nur noch zu müdem Gähnen geführt. 

Geradezu folgerichtig und passend zum belanglosen Inhalt erscheint mir die Gleichgültigkeit, ja geradezu Schlampigkeit von Autor, Verlag und Lektor gegenüber der Fülle an Grammatik- und Setzfehlern. 

Wie sagt Rafik Schami so schön: „Dein … gesellschaftliches Engagement ist nicht einmal eine Zwiebelschale wert, wenn du langweilst.“

 

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Christian Hardinghaus

Ein Held dunkler Zeit

 

·         Gebundene Ausgabe: 368 Seiten

·         Verlag: Europa Verlag

·         ISBN-13: 978-3958901193

 

 

Lesen Sie dieses Buch!

 

Als ich las, dass der Autor des vorliegenden Buches Historiker ist, machte sich in mir die Befürchtung breit, dass das Buch mühsam zu lesen sein würde, vielleicht trocken oder belehrend geschrieben. Dass ich jedoch tatsächlich einen mitreißenden, emotional aufwühlenden, spannend-lebendig geschriebenen Roman lesen durfte, war eine wunderbare Überraschung!

 

Es wird eine tatsächlich geschehene Geschichte in die Romanwelt versetzt, mit allen Zutaten versehen, die einen guten Roman ausmachen, und zusätzlich mit vorsichtiger Fantasie und gnadenloser, präzise recherchierter Zeitgeschichte unterlegt. Dass diese Kombination so genial gelungen ist, lässt für mich das Buch zu einem der herausragenden Leseerlebnisse werden.

Der Augenarzt Wilhelm Möckel erzählt selbst, wie er die Halbjüdin Annemarie kennen und lieben lernt und sich schließlich freiwillig zum Dienst in der Wehrmacht meldet, da er hofft, durch Erringen besonderer Verdienste zu ermöglichen, dass Annemarie als deutschblütig anerkannt wird und ihr und den Kindern Max und Martin somit alle bislang verweigerten Rechte zugestanden werden. In den geschilderten Kriegsjahren an der Front erweist sich Wilhelm als ein geradezu wagemutiger Mensch, der sich mit großem Können und unermüdlichem Einsatz um die Verletzten kümmert. Erzählt werden diese Jahre an der Front von Friedrich Tönnies, dem jungen Sanitätsgehilfen, der sich freiwillig als Bursche Wilhelm unterstellen lässt und zu seinem treuen Freund wird.

 

Das Buch hält für den Leser eine Achterbahn der Gefühle bereit. Wir sind angerührt von der Liebesgeschichte zwischen Annemarie und Wilhelm. Wir erschauern, wie zunehmende Judenfeindlichkeit langjährige Freundschaften zerreißt und Spitzeltum um sich greift. Wir sind gelähmt vor Entsetzen über das Menschenschlachten an der Front. Wir sind dankbar, wenn sich mitten im Kugelhagel etwas Menschlichkeit findet. Und weinen über den ertrinkenden Hund Norka. Christian Hardinghaus schreibt klar, schnörkellos, ohne jegliches Pathos, und genau damit packt er den Leser, zieht ihn ins Buch, ins Geschehen, in ein Stück Zeitgeschichte und lässt ihn bis zum Schluss und darüber hinaus nicht mehr los.

Viel gäbe es noch über das Buch zu erzählen. Aber ich kürze ab mit dem Satz, den ich nur ganz selten schreibe: Auch wenn Sie dieses Jahr nur ein einziges Buch lesen wollen - lesen Sie dieses Buch! 

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Michelle Marly

Mademoiselle Coco und der Duft der Liebe

 

 

·         Taschenbuch: 496 Seiten

·         Verlag: Aufbau Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3746633497

 

 

Sa ljubow! (Auf die Liebe!)

 

Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, blieben mir zwei Wünsche: Noch mehr über Coco Chanel zu erfahren und einen Flakon Chanel N° 5 zu besitzen.

 

Der eindrückliche Prolog lässt uns zurückschauen auf das Jahr 1897. Gabrielle, zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt, lebt in einem von Zisterzienserinnen streng geführten Waisenhaus in Frankreich. Der Vater hatte sie nach dem Tod der Mutter dort einfach abgegeben. Gabrielle ist neugierig, wissbegierig und voller Sehnsucht, Sehnsucht nach schönen Dingen, vor allen Dingen aber voller Sehnsucht nach Liebe.

 

Dann springen wir unmittelbar in das Jahr 1919. Coco Chanel besitzt bereits ein erfolgreiches Modeunternehmen. Durch ihr untrügliches Gespür für Eleganz und Stil und durch ihre unkonventionellen Ideen erlangt sie Berühmtheit. Als jedoch die Liebe ihres Lebens Boy Capel bei einem entsetzlichen Autounfall stirbt mit nur 38 Jahren, erlahmt jegliche Schaffenskraft. Coco verschließt sich vor der Welt und versinkt in Lethargie. Erst nach einer quälend langen Zeit der Trauer erinnert sie sich an den ursprünglich mit Boy zusammen entwickelten Plan, ein besonderes Parfüm zu entwickeln. Und genau diesen Plan beginnt sie akribisch zu verfolgen: Sie möchte einen ganz besonderen Duft, den Duft der Liebe, in Erinnerung an ihren Geliebten kreieren.

 

Das Buch beschreibt den nur kurzen Zeitraum von 1919 bis 1922. Und doch hat man das Gefühl, als sei das gesamte Lebensgefühl der Belle Epoque in das Buch eingefangen worden. Ein Lebensgefühl und eine Welt, Coco’s Welt, geprägt von zahlreichen Liebesaffären, von Begegnungen mit Ausnahmekünstlern wie Jean Cocteau, Igor Strawinsky, Pablo Picasso, und vor allen Dingen von intensiven Freundschaften  zu zahlreichen aus Russland emigrierten Angehörigen der Zarenfamilie wie zum Beispiel zum russischen Großfürsten Dimitri Pawlowitsch Romanow und seiner Schwester Marija Pawlowna Romanowa. Streckenweise brachte mich das Buch dem damaligen russischen Lebensgefühl sehr viel näher als dem französischen. Überhaupt besticht das Buch durch die mit viel Feingefühl und Sensibilität beschriebenen Schilderungen der menschlichen Begegnungen über Stand und Herkunft hinweg. Die aufwändige Recherche der Autorin führte zu der Gewissheit, dass es nur sehr wenige verlässliche Angaben zu Coco Chanel gibt. Umso höher ist die schriftstellerische Leistung von Michelle Marly zu bewerten, die einen solch dichten und intensiven Roman schuf, so nahe der historischen Wirklichkeit wie möglich, aber atmosphärisch gekonnt ausgeschmückt und damit mit Begeisterung zu lesen. Dass der Mensch Coco Chanel nach Lektüre des Romans immer noch in gewisser Weise ein Mysterium bleibt, ist nur vordergründig bedauerlich, denn indem das Buch mit der Entwicklung des Parfüms Chanel N° 5 der alles überdauernden Liebe ein geniales Denkmal setzt, verrät es ganz ohne Worte alles über das innerste Wesen von Coco Chanel.

 

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Tania Schlie

Der Duft von Rosmarin und Schokolade

 

       Taschenbuch: 304 Seiten

       Verlag: MIRA Taschenbuch

          ISBN-13: 978-3956497810

 

 

Kein Buch für die Fastenzeit

 

Sind Sie gerade dabei abzunehmen? Oder haben Sie den festen Vorsatz, während der Fastenzeit auf so manchen Genuss verzichten zu wollen? Dann kaufen Sie dieses Buch,  verstecken es ganz hinten im Bücherregal und holen Sie es erst wieder hervor, wenn Sie offen sind für Genuss, für das Schwelgen in Spezialitäten, in Gewürzmischungen  und deren exotischen Gerüchen, in allerlei Schleckereien …

Maylis Klinger arbeitet zuverlässig und fleißig in dem alteingesessenen Feinkostgeschäft Radke. Eigentlich ist Maylis eine großartige Köchin mit viel Gespür für das wirklich Gute, aber nachdem ihr Mann sie von einem Tag auf den anderen verlassen hatte, lebt sie von Fastfood und kümmert sich nicht mehr um sich selbst. Da sie jedoch ihre recht unterschiedlichen Kunden großartig beraten kann und von diesen sehr geschätzt wird, möchte ihr Chef ihr das Geschäft eines Tages überschreiben. Doch Maylis ist sich unschlüssig, wohin ihr Weg sie führen soll…

 

Tania Schlie schreibt so intensiv bildhaft und mit allen Sinnen, dass man die teils skurrilen Kunden plastisch vor Augen hat. Man hat das Gefühl, selbst mitten im Laden zu stehen und an den lebendigen Gesprächen teilzunehmen, man glaubt, schnuppernd durch den Laden zu laufen, die unterschiedlichen Käsesorten zu kosten, von Marmeladenkreationen zu naschen und sich von Maylis‘ Rezeptvorschlägen inspirieren zu lassen. Die Autorin hat einen sinnlichen und rundum positiven Genuss- und Wohlfühl-Roman geschrieben, den zu lesen einfach nur guttut. Der Roman ist warmherzig, lichtbringend, vergnüglich und unterhaltsam. Mir kommt das Buch vor wie eine Aquarellzeichnung: zart, hingetuscht, ineinanderfließende Schattierungen, ohne jegliche Härte. Wunderbare leichte Unterhaltung.

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Eva Völler

Tulpengold

Gebundene Ausgabe: 480 Seiten

Verlag: Bastei Lübbe

ISBN-13: 978-3431040845

 

 

Reiche Welt der Bilder

 

 

Amsterdam, 1636. Im Hause des Malers Rembrandt von Rijn zieht als neuer Maler-Lehrling Pieter ein. Pieter ist ein ungewöhnlicher Mensch, heutzutage würde man ihm wohl das Asperger-Syndrom bescheinigen. Er nimmt alles wortgenau, bedenkt seine Antworten sehr lange, hat wenig Zugang zu Gefühlen und besitzt nicht nur großer Mal-Talent, sondern auch eine tiefe Begeisterung für alles, was sich mit mathematischen Formeln berechnen lässt.

 

Es ist die Zeit der Tulpen-Mania. Die Preise für Tulpenzwiebeln steigen und steigen, auch Rembrandt lässt sich davon anstecken. Bereits am ersten Tag seiner Lehrzeit sieht Pieter, wie ein Tulpenhändler auf dem Markt zusammenbricht und stirbt. Bleiwasser-Vergiftung! Im Laufe der Geschichte sterben weitere Tulpenhändler, allesamt Kunden von Rembrandt. Insofern gerät Rembrandt sehr schnell unter Verdacht. Pieter jedoch stellt ganz andere Berechnungen an… 

 

Historische Romane sind normalerweise nicht das von mir bevorzugte Genre. Oftmals sind sie überfrachtet mit Wissensvermittlung, mit Darstellungen von recherchiertem Wissen, und die Lesefreude tritt dadurch in den Hintergrund.

 

Ganz anders bei Eva Völler! Sie schreibt unglaublich bildhaft und fesselnd. Man spürt ihre gründlichen und intensiven Nachforschungen und Vorbereitungen, aber nicht anhand von theoretischem Beiwerk, sondern all ihr Wissen fließt ein in eine Bilderwelt, die sie gekonnt vor uns Lesern ausbreitet. Ich sah fasziniert Rembrandt über die Schulter, wie er besessen malte. Ich stand mit Pieter in der Kneipe und sah den biertrinkenden und diskutierenden Tulpenhändlern zu. Ich sah mit dem klaren und wohlwollenden Blick der Autorin einen Ausschnitt der Welt im 17. Jahrhundert, die Welt der Kunst, aber auch der Gefahren, der Habgier, der Eifersucht und immer wieder die Welt der Farben, des künstlerischen Arbeitens, oftmals nur um überleben zu können. Ich lernte Menschen aus dieser Zeit kennen, sympathische und unsympathische, wunderbar fein beschrieben in ihrem individuellen So-Sein. Der Leser wird dank der Autorin schnell vertraut mit ihnen, leidet mit ihnen, bewundert sie, hofft mit ihnen. Und so verführt uns Eva Völler, ohne dass wir es merken, in diesen besonderen Zeitabschnitt in Amsterdam, sodass wir uns beinahe als zugehörig empfinden und völlig das oftmals so als dröge belastete Wort „historisch“ vergessen. Dass auch gleichzeitig die Aufklärung mehrerer Morde zusätzlich Spannung in das Buch bringt, ist für mich ein dankbar angenommenes  Beiwerk.

 

Fazit: Ein spannend zu lesender, farbig-lebendig geschriebener Roman, der mir einen intensiven und plastischen Einblick in einen mir bislang fernen Zeitabschnitt und in die damalige Welt der Kunstschaffenden gewährte. 

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Petra Hartlieb

Wenn es Frühling wird in Wien

Gebundene Ausgabe: 176 Seiten

Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG

ISBN-13: 978-3832198480

 

 

Klein und sehr fein

 

 

Wien, 1912. Im Haushalt von Arthur Schnitzler lebt Marie als Kindermädchen. Marie stammt aus einfachsten Verhältnissen, hat wenig Bildung, aber sie ist neugierig und hat vor allen Dingen, so jung sie auch ist, Herzensbildung. Die ihr anvertrauten beiden Kinder von Arthur und Olga Schnitzler betreut sie sehr liebevoll. Durch Zufall begegnet sie Oskar, einem mittellosen Buchhändler, und durch ihn lernt sie die Welt der Bücher, des Lesens, der Buchhandlungen kennen. Das zarte Pflänzchen der Zuneigung wächst…

 

Wir dürfen in diesem zauberhaften Buch durch das Schlüsselloch schauen in die Zeit der Belle Èpoque in Wien, in den durchaus herrschaftlich geführten Haushalt von Arthur Schnitzler und seiner Familie. Und wir schauen auch auf das klaglose Leben der Dienstboten. Ich war hingerissen von der Fähigkeit des Staunens bei Marie, von dem arbeitsamen, aber gerechten Miteinander im Hause Schnitzler. Ich erlebte mit ihnen intensiv  all ihre kleinen und großen Erlebnisse, ihre Wünsche und Hoffnungen, ihre Unsicherheiten und Glücksgefühle. Und ebenso hingerissen war ich von den Schilderungen der Welt der Wiener Buchhandlungen in jener Zeit und der Liebe zu Büchern, von der Verführung zum Lesen.

 

Petra Hartlieb schreibt unaufgeregt und fein beobachtend. Und noch viel wichtiger: sie schreibt mit dem Herzen. Der Leser entwickelt ganz konkrete innere Bilder beim Lesen, und das liegt nicht nur an der bildhaften Erzählweise, sondern auch an der sorgfältigen Recherche-Arbeit der Autorin, die ganz unauffällig in den Text hineinfließt, ihn aber so authentisch macht.

Fazit: Ein liebevoll gezeichnetes kleines und sehr feines Zeitbild, das hoffentlich eine Fortsetzung erfährt. 

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Monika Detering

Der Sommer des Raben

Seitenzahl der Print-Ausgabe: 200 Seiten

Verlag: edition oberkassel

ISBN: 978-395813-1170

 

 

 

Ein Buch wie Bitterschokolade

 

 

 

Es fällt mir schwer, diesem kleinen großen Roman gerecht zu werden.

 

Da gibt es eine klare Handlung: Felix stirbt durch einen unglücklichen Unfall und Siri, seine Lebensgefährtin, erlebt die dunkelste Zeit ihres Lebens. Sie flieht in ohnmächtiges Verharren, lässt andere bestimmen, gewährt dem inneren Stillstand und aufblitzenden Erinnerungsbildern sehr viel Raum. Schließlich nimmt sie, von Beruf Agentin für Puppenexponate, die von Felix begonnene Suche nach der Raben-Marionette Havran aus der weltberühmten tschechischen Werkstatt Spejbl & Hurvinek wieder auf, und mit dieser geradezu besessenen Suche beginnt sich auch ihr inneres Leben wieder in Bewegung zu setzen.

 

Mir war beim Lesen dieses Buches meistens kalt. Die beschriebene Trauer fiel mich an wie eine plötzliche Erkältung. Und Siri’s ergebenes Stillhalten ließ auch mich erlahmen. Die sehr detailgenau erzählte Welt der Marionetten war einerseits faszinierend, andererseits blieben die Puppen und Marionetten und Raben im gesamten Buch leblos. Ursprung und Besitz, ja – aber an keiner Stelle des Buches wurden sie zum Leben erweckt, nahm sich ein Puppenspieler ihrer an und hauchte ihnen Persönlichkeit ein. Und so fühlte ich mich auch beim Lesen: An den Fäden der Autorin hängend, ihrer erzählten Geschichte folgend, aber ohne eigenes Leben. Hingerissen von ihrem intensiven, feinsinnigen Schreibstil, in dem sich eine nüchterne, fast abgehackte Schreibweise mit Stellen von lyrischer Schönheit abwechselt. Übrig bleibt mir vom Buch der Geschmack von Bitterschokolade – süß und bitter gleichermaßen.

 

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Ralf H. Dorweiler

Das Geheimnis des Glasbläsers

Taschenbuch: 576 Seiten

Verlag: Bastei Lübbe

ISBN-13: 978-3404176274

 

Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren

 

 

 

Besser geht nicht

 

Anno Domini 1452 bekommt Kaiser Friedrich III. im Heiligen Römischen Reich als Geschenk anlässlich seiner Hochzeit Glas geschenkt, durchsichtig wie Wasser. So etwas Reines hatte er noch nie gesehen, denn bislang gab es nur grünliches Waldglas. Er entsendet Simon den Glasbläser nach Venedig, damit er ihm von dort die geheime Rezeptur des Kristallglases bringt.  Begleitet wird der etwas unbedachte Simon von Ulf, einem sanften Riesen mit schlichtem Gemüt, und der Eselin Lilly. Nach einer gefahrvollen Reise über die Alpen und nach Ankunft in Venedig warten eine Fülle weiterer gefährlicher Abenteuer auf Simon und Ulf. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, eine Bordellbesitzerin erweist sich als ungewöhnlich hilfreich und ein wunderschönes Mädchen lässt Simon fast seine eigentliche Mission vergessen. Die Schlacht um Konstantinopel bringt die entscheidende Wende…

Historische Romane gibt es unzählige. Dick sind sie meistens. Mal mehr mal weniger gut recherchiert sind sie. Mal mehr mal weniger gut lesbar sind sie. Sie werden geliebt, weil man als Leser abtauchen kann in eine Zeit, die es wirklich gab, die aber für den Leser so fern ist wie eine fremde Galaxie. Noch nie jedoch habe ich bisher je einen historischen Roman gelesen, der mich so atemlos machte, der mich fiebernd Seite um Seite verschlingen ließ, der mich aufs Intensivste um die Protagonisten zittern ließ, der mich ins Schlachtgetümmel schickte, dass mir Hören und Sehen verging und mich schließlich völlig erschöpft das Buch schließen ließ in der Gewissheit, dass der Kampf um Geld und Macht ein sinnloser ist.

 

Ich bin hingerissen von der Faszination dieses Buches, vom kraftvollen Schreibstil des Autors, der mich mit allen Sinnen das Geschehen miterleben ließ, als sei ich dabei. Ich bin begeistert von der farbenprächtigen fulminanten Geschichte:  Märchen, Abenteuer, Historie perfekt miteinander verwoben. Großartig, wie es dem Autor gelungen ist, sorgfältigste Recherche-Arbeit so direkt in die Handlung einfließen zu lassen, dass das Buch nicht eine einzige Zeile der besserwisserischen Langeweile enthält. Für mich ist dieser historische Roman der spannendste und lebendigste, den ich je gelesen habe. 

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Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende

Gebundene Ausgabe: 303 Seiten

Verlag: Klett-Cotta

ISBN-13: 978-3608981230

 

 

 

Reise ohne Ankunft

 

  

1942 torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, auf dem sich der 27-jährige Ulrich Alexander Boschwitz befindet. Boschwitz wird dabei getötet. Am Körper trägt er sein zuletzt verfasstes Manuskript. Der Herausgeber Peter Graf beschreibt in seinem bewegenden Nachwort, wie das unbearbeitete Typoskript „Der Reisende“ als eines der frühesten literarischen Dokumente der deutschen Gräuelzeit zu ihm fand, ein Manuskript, in dem der junge Boschwitz in nur 4-wöchiger Niederschrift Teile seiner eigenen Familiengeschichte eingearbeitet hatte als Versuch, gegen die Ohnmacht anzuschreiben.

 

Hilflos  muss der jüdische Kaufmann Otto Silbermann zusehen, wie sein bisher durchaus behagliches Leben innerhalb von Minuten aus den Angeln gehoben wird. Die Novemberprogrome zwingen ihn, von jetzt auf gleich aus seiner Wohnung, aus seinem gewohnten Leben zu fliehen und nicht nur seine arische Frau, sondern auch alle Insignien des Wohlstands zurückzulassen. Ein letztes Geschäft mit seinem windigen Geschäftspartner, einem Spieler, bringt ihm eine Aktentasche voll Geld. Doch wo soll er nun hin, mit seiner Aktentasche? Bleiben, egal wo, ist für Silbermann nicht mehr möglich. Unterwegs muss er sein, immer unterwegs. Und so fährt er in Zügen kreuz und quer durch Deutschland, seine Pläne immer wieder verwerfend und die Reiserichtung wieder und wieder ändernd. Seine von uneingestandener Angst getriebene Ruhelosigkeit führt zu absurden Handlungen. Phantasien, Kindheitserinnerungen, Mutmaßungen durchsetzen sein Denken. Es ist ein Herumdenken an Unwesentlichem, das seine ratlosen Zögerlichkeiten unterstreicht.  Er begegnet Menschen aller Ausprägung in diesen Zügen, er beobachtet sie, führt merkwürdige Gespräche, bildet sich eigenwillige Urteile und hat doch letztlich nur eines im Sinn: sich selbst und seine Flucht nach nirgendwo.

  

Unfassbar, dass der Autor zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches erst 23 Jahre alt war. Das Buch ist ein reifes, ein eindringliches Zeitdokument. In größter Intensität wird anhand der nicht endenden Reise des Otto Silbermann ein Karussell der Ausweglosigkeit geschildert, ein Zustand von Ratlosigkeit, ja Fassungslosigkeit, von Misstrauen und  angstvoller Planlosigkeit, von uneingestandenem Entsetzen. Die Eindringlichkeit, in der der Autor schlicht-beobachtend, geradezu nüchtern erzählt, lässt den Leser bis ins Tiefste erschauern und so eine Ahnung bekommen von einer Zeit, in der das immanent Böse im Menschen offen zutage trat.

 

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Sarah Dunant

Die letzte Borgia

Broschiert: 522 Seiten

Verlag: Insel Verlag

Sprache: Deutsch

ISBN-13: 978-3458363194

 

Originaltitel: In the Name of the Family

  

 

Ein Buch wie eine Gemäldegalerie

  

Ich fühlte mich beim Lesen des Buches wie die Besucherin eines Museums mit historischen Gemälden, mit geschönten oder entlarvenden Konterfeis sich bedeutend fühlender Persönlichkeiten. Ich sah die Gemälde an und ging weiter – und nichts davon berührte mich. Zwar bewunderte ich die Kunst des Malers, aber von den Personen erfuhr ich nur Äußerlichkeiten. Ich erfuhr vom modischen Schnitt geschlitzter Ärmeln vielleicht etwas oder ich sah feinste lederne Handschuhe für feingliedrige Hände vor mir. Doch die Menschen, ihre innersten Beweggründe, ihre Sehnsüchte und Träume, ihre wahren Gefühle blieben mir lesend verborgen.

  

Erzählt wird uns vom schillernden Leben der Lucrezia Borgia, der unehelichen Tochter des Papst Alexander. Auch wenn der Fokus auf Lucrezia liegt, so holt doch Sarah Dunant erzählend weit aus, um die Komplexität der Familienverbandelungen der Borgias einigermaßen transparent zu machen. Macht und Habgier, Intrigen, Gerüchte, Mord und Orgien, aber auch Schönheit und Liebe – nichts wird ausgespart in diesem farbigen mittelalterlichen Bilderbogen. Lebendig geschrieben, fesselnd erzählt. Aber mich nicht wirklich berührend.

 

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Nickolas Butler

Die Herzen der Männer

Gebundene Ausgabe: 480 Seiten

Verlag: Klett-Cotta

ISBN-13: 978-3608983135

 

 

Literarische Herzsuche

 

 

 

„Die Herzen der Männer“ – ja, sie sind zu finden in diesem Buch. Man bahnt sich 480 Seiten lang schier endlos scheinende Wege durch einen Urwald von Gewalt, von Abwehr und gnadenloser Härte. Und während man sich innerlich bereits abgewendet hat, entrüstet oder angeekelt ist, blitzt es plötzlich hervor, so ein Männerherz, so weich, so verletzlich, dass es den Leser im Tiefsten berührt.

 

 

Zentrum des Geschehens, der Rote Faden im Buch,  ist ein Pfadfinder-Lager in Wisconsin. Im Jahr 1962 lernen wir Nelson kennen, einen traurig-einsamen Jungen, dessen Intelligenz und Perfektionsdrang seine gesamte Umwelt auf Abstand hält oder sie herausfordert zu Quälereien sondersgleichen. „Ich muss klüger sein als die.“ Mit diesem Ansporn rückt er noch weiter weg von den anderen. Er ist auf eine ganz altmodische Weise ganz und gar rechtschaffen. Alle Prügel seines Vaters konnten daran nichts ändern. Jonathan ist der einzige Jugendliche, der auf versteckte und doch tröstliche Weise zu Nelson hält.

 

1996, gute 30 Jahre später leitet Nelson, der im Vietnamkrieg im Einsatz gewesen war, das Pfadfinder-Lager. Jonathan’s Sohn Trevor nimmt daran teil. Im Verlauf dieses Lageraufenthaltes lernt Trevor seinen Vater von einer Seite kennen, die seine heile Familienwelt-Vorstellung brutal zerstört.

 

2019 befinden wir uns wieder im gleichen Pfadfinder-Lager, in dem der alte Nelson inzwischen dauerhaft lebt. Dieses Mal lernen wir Thomas kennen, den Sohn von Trevor. Die moderne Zeit lässt das Pfadfinder-Leben fast lächerlich wirken. Das Ende dieses Sommer-Camps ist symbolhaft…

 

Die unglaublich intensive Sprache des Autors fängt den Leser ein und lässt ihn nicht mehr los. Sie trägt den Leser zum Beispiel durch die grenzenlose Einsamkeit eines Nelson, ohne Chance des Entkommens. Oder durch in Rückblicken angerissene Szenen vom  Krieg, von erlittenen Grausamkeiten, die von den Vätern unreflektiert hart an die Söhne weitergegeben werden. Man möchte sich abwenden, will nichts mehr lesen vom schicksalhaften Gefangensein in liebloser Strenge. Man hat genug von den verzweifelten und letztlich vergeblichen Bemühungen, ein wenig Glück zu erhaschen. Aber die Sprache lässt dieses Abwenden nicht zu. Mitten im  Berichten abscheuungswürdigen Geschehens gibt es plötzlich Naturschilderungen von atemberaubender Schönheit oder eingestreute kleine Momentaufnahmen aufblitzenden liebenden Verstehens, winzige Augenblicke nur. Aber dennoch sind es Blicke mitten ins Herz, in das Herz von Männern, in vom Leben beschädigte, verletzte Seelen.

 

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Torsten Seifert

Wer ist B. Traven

Gebundene Ausgabe: 269 Seiten

Verlag: Tropen

ISBN-13: 978-3608503470

 

 

 

Ein Schwarz-Weiß-Film in Buchdeckeln

 

 

 

 

 

Zur Einstimmung habe ich mir den alten Schwarz-Weiß-Film „Der Schatz der Sierra Madre“ von aus dem Jahr 1948 angesehen und war einigermaßen überrascht, hinter der Fassade einer Mischung aus Western- und Abenteurer-Handlung die Entlarvung des ewig Gültigen zu finden: Nämlich die Wahl, die dem Menschen grundsätzlich gegeben ist. Entweder der Gier nach Besitz, die vor nichts zurückschreckt, nachzugeben oder einer inneren Bereitschaft zu helfen, vielleicht sogar um jeden Preis, zu entsprechen. Im Buch fehlte mir etwas die Auseinandersetzung mit den Werken von B. Traven. Aber hier hatte ich vielleicht auch falsche Erwartungen.

 

Nun, ich beginne das Buch zu lesen und habe sofort das Gefühl, in einem alten Kino zu sitzen, der dunkelrote Samtvorhang öffnet sich, laute, etwas blecherne  Filmmusik beginnt und auf der Leinwand entsteht Szene um Szene, kurze intensive Sequenzen.

 

Der Film, sorry das Buch, spielt Ende der 1940er Jahre in Hollywood. Leon Borenstein ist ein durchaus erfolgreicher Journalist in Hollywood und erhält von seinem Chef  den Auftrag, sich auf die Suche nach B. Traven zu machen, d. h. dessen Pseudonym zu lüften. In Mexiko wird gerade sein überaus erfolgreicher Roman „Der Schatz der Sierra Madre“ verfilmt, und zwar mit Humphrey Bogart. Zu dieser Filmcrew wird Borenstein entsandt.  Zwar spielt Borenstein durchaus erfolgreich Schach mit Humphrey Bogart, aber über B. Traven erfährt er nichts. Eine neue Spur lockt ihn ins zerbombte Wien, aber auch von dort bringt er keine wirklichen Erkenntnisse mit. Die Rückkehr Borenstein’s nach Mexiko bringt ihm intensive Erlebnisse in vielerlei Hinsicht…

 

Als sich der Samtvorhang wieder schließt und es hell wird im Kino, erwache ich aus dem soeben erlebten wilden Bilderreigen, fühle mich, als käme ich von einer langen Reise zurück, als hätte ich zahlreiche Abenteuer erfolgreich bestanden und wüsste nun endlich etwas mehr als zu Beginn des Films resp. des Buches.

 

Der Roman ist eine gekonnte Mischung zwischen Wahrheit und Phantasie und äußerst spannend zu lesen. Er mäandert zwischen realem, gut recherchiertem Geschehen und erdachter Handlung. Er ist ein Liebesroman ebenso wie ein Abenteurerroman. Es enthält politische Fragen ebenso wie großartige Beobachtungen von Land und Leuten. Man erlebt hautnah die ganz besondere Atmosphäre der Filmwelt Hollywoods. Man sitzt in den übelsten Spelunken ebenso wie in der Stierkampfarena. Es wird uns in intensiven, üppigen Bildern eine Geschichte erzählt, die nicht nur Cineasten in ihren Bann ziehen dürfte. Darauf „un otro tequila, por favor!“

 

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Ralph Schröder
Schweighausers Korrekturen
Hardcover mit Schutzumschlag / E-Book
292 Seiten (Verlag BoD)
ISBN: 978-3-8423-6227-7

 

 

Man staunt über die Zusammenhänge

 

Selten, sehr selten stößt man in der Gegenwartsliteratur auf Bücher, die man als „groß“ bezeichnen möchte. Schweighausers Korrekturen ist für mich ein wahrlich großes Buch.

 

Der Autor schlüpft in die Person Armin Schweighauser und zeigt uns die Geschehnisse ausschließlich aus Sicht dieses Protagonisten. Das ist meines Erachtens eine ausnehmend große Autorenleistung, die  kleine, enge Welt des Armin Schweighausers so zu schildern, als sei es seine eigene, ohne auch nur einmal der Verführung, allwissender Autor zu sein, zu erliegen.

 

Schweighauser arbeitet in Abend- und Nachtschicht für eine Zeitungsredaktion als Korrektor.  Fehlersuche und –ausbesserung des nachts im Licht der Schreibtischlampe, ein Caféhaus-Besuch bei Tage, freundlich-distanzierter Kontakt zu Kollegen, ab und an eine Zigarette – sehr viel mehr geschieht nicht in seinem Leben, das er selbst als ereignislos und leer erlebt, aber passiv hinnimmt. Die gelegentlich auftretenden Sehstörungen, ein Auflösen der Schriftbilder,  die zeitweise Unfähigkeit des Klarsehens bei der Arbeit sind ihm vertraut, beunruhigen ihn nicht, zwingen ihn jedoch für eine Weile zum Blickwechsel, die Augen vom Kleinen ins Weite zu richten… Aus der Teilnahmslosigkeit erwacht  er, als ihn der Gedanke anweht „einzugreifen“.  Er, der Korrektor, der Garant für Fehlerlosigkeit, entscheidet sich bewusst für Fehler, für eine Kurs-Korrektur, für eine ganz und gar eigenmächtige Wahrheits-Korrektur. Erst sind es nur einzelne Wörter, dann Sätze. Während Schweighauser in zunehmende innere Spannung gerät, passiert in der äußeren Welt nichts, gar nichts. Die Leser bleiben gleichgültig gegenüber der Wahrheit, der manipulierten oder der wahren (falls es die überhaupt gibt). Erst eine Korrektur von großer Tragweite bringt den Ball ins Rollen und Schweighausers Leben in einen Bereich der völligen Machtlosigkeit, die Wahrheit bleibt ohne jegliche Chance. Schweighauser, der mit der Wahrheit gespielt hatte, wird zum Spielball der Wahrheit.

 

Die langsame, differenzierte, feinziselierte Sprache des Autors korrespondiert mit dem Inhalt des Buches. Nicht alles am Inhalt ist offenkundig, schon gar nicht vordergründig. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich als Leser neu justieren, um die Feinheiten überhaupt wahrnehmen zu können. Manchmal bin ich über  Wortbilder gestolpert, die sich mir in den Lese-Weg stellten und sich nicht mehr beiseite räumen ließen, wie z. B. „sich der eigenen Anwesenheit überlassen“. 

 

Ein Buch zum Wieder- und Wiederlesen, unauslotbar, kostbar, in einer sorgsam-feinen Sprache geschrieben – für mich ein großes Buch.

 

 

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Florian Beckerhoff

Frau Ella

Derzeit ist die gebundene Ausgabe leider vergriffen, jedoch als E-Book erhältlich.

 

 

Jung und alt, zauberhaft komisch

 

 

Frau Ella ist 87, liegt für eine bevorstehende Augenoperation in der Klinik. Sie muss sich das Zimmer teilen mit Sascha, 30, der sich nach einem Sturz eine Augenverletzung zugezogen hatte. Frau Ella pupst und schnarcht und nervt Sascha ohne Ende. Dennoch fühlt er sich aufgerufen, Frau Ella zu helfen, die letztlich gegen ihren eigenen Willen operiert werden soll. Kurzerhand entführt er Frau Ella und bringt sie in seiner eigenen, nicht gerade ordentlichen Wohnung unter.  Seine Freunde Klaus und Ute sind von Frau Ella begeistert, und so beginnen die Vier allerlei Unternehmungen in die Gegenwart und in die Vergangenheit. Frau Ella staunt und gibt zu allem und jedem ihre handfesten Kommentare.

 

Bisher habe ich noch kein einziges Buch gelesen, das das Thema „Jung und Alt“ so leichtfüßig, humorvoll, locker und dennoch tiefsinnig erzählt. Ich habe beim Lesen so viel gelacht wie schon lange nicht mehr. Gleichzeitig habe ich mit Sascha, diesem unentschlossenen jungen Mann ohne wirkliche Perspektive, mitgefühlt, die Verwirrung von Frau Ella miterlebt beim Kontakt mit dem ihr fremden Lebensumfeld junger Menschen und war erleichtert, dass Frau Ella’s klare, einfache Sicht der Dinge Wirkung zeigt und letztlich eine Art von sehr schräger Freundschaft entsteht.

 

Fazit: Eine fiktive, zauberhaft komische Geschichte, die Hoffnung macht, dass es bei gegenseitigem Respekt möglich ist, dass Jung und Alt im Guten miteinander leben.

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Colson Whitehead

Underground Railroad

Gebundene Ausgabe: 352 Seiten

Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG

ISBN-13: 978-3446256552

 

 

Rassismus immer und überall

 

 

Hochgelobt, Pulitzer-Preis, National Award – das beeindruckt. Und es verpflichtet geradezu, das Buch großartig zu finden, seine Tiefe, seine Zeitbezüge, seine Eindringlichkeit zu loben. Wer das nicht tut, gibt sich eine literarische Blöße, hat das Buch nicht verstanden, ist ein Literatur-Banause. Nun denn….

 

Erzählt wird die Geschichte von  Cora, einer Sklavin auf den Baumwollfeldern Georgias, der mit Hilfe der Underground Railroad (im Buch fiktiv als unterirdische Eisenbahn bezeichnet) die Flucht gelingt. Quer durch Amerika begegnen ihr auf der Flucht weiterhin schlimmste Grausamkeiten. Die ersehnte Freiheit ist eine Utopie. „Als gäbe es auf der Welt keine Orte, wohin man sich flüchten konnte, sondern nur solche, die man fliehen musste.“

 

Die im Buch dargestellte schier endlose Aneinanderreihung an unsagbaren Grausamkeiten, die Menschen anderen Menschen angetan haben (auch Sklaven untereinander!), ist verstörend. Die einem Sachbuch ähnliche Darstellung, die Lakonie der Sprache, das Verdichten der gezeichneten Bilder lässt mich erschrecken, aber doch immer nur auf der Verstandesebene. Dass das Fantasy-Element des unterirdischen Zuges vorkommt, lässt leider  - sicher zu Unrecht - zweifeln an der historischen Glaubwürdigkeit des gesamten Romans.

 

Dieses Buch zu lesen, war für mich mühevoll, teils abstoßend, teils unglaubwürdig. Der lakonische Sprachstil, die nüchterne, reduzierte Erzählweise erreichten mich nicht. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass nicht nur Amerikas Sklaven der Brutalität in den Köpfen der Menschen ausgesetzt waren, sondern dass bis heute auf der ganzen Welt Feindbilder als Projektionsfläche für das Ausleben niederster und boshaftester Triebe dienen und der Mensch der größte Feind des Menschen ist. Daran wird auch dieses Buch nichts ändern, Pulitzer-Preis hin oder her!