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Melanie Levensohn

Zwischen uns ein ganzes Leben

 

 

·         Broschiert: 416 Seiten

·         Verlag: FISCHER Taschenbuch

·         ISBN-13: 978-3596702718

 

 

 

Zu leichtfertig und zu konstruiert

 

Was ist dieses Buch? Ein Stück erzählte Zeitgeschichte? Ein Liebesroman? Beides? Oder nichts davon? Ich bin mir sehr unsicher…

 

Die Autorin wurde nach ihren eigenen Angaben angeregt durch die Lebensgeschichte einer entfernten Verwandten, die in Auschwitz ermordet wurde. So erzählt die jüdische Studentin Judith in der Ich-Form ihre Geschichte in Paris von 1940 bis 1943, als sie, in großer Liebe mit Christian verbunden, von ihm vor den Judenverfolgern versteckt wird. In einem zweiten Handlungsstrang lernen wir Béatrice kennen, im Jahr 2006 in Washington lebend, Karrierefrau, teure Designer-Kleidung, in einer unbefriedigenden Beziehung lebend. Sie bekommt Kontakt zu Jacobina, die ihr Leben lang versäumt hat, ein einstens ihrem Vater gegebenes Versprechen einzulösen, nämlich ihre unbekannte Halbschwester zu finden. Béatrice will ihr bei der Suche helfen. So weit so gut.

  

Der Schreibstil des Buches ist sehr ansprechend, leicht lesbar und enthält zahlreiche sehr intensiv nachwirkende Szenen. Die Protagonistin Judith rückt dem Leser nahe, eben aufgrund der in Ich-Form geschilderten Erzählweise. Und natürlich ist das Schicksal einer jungen jüdischen Studentin zur Zeit der Judenverfolgung bewegend. Dennoch gäbe es hier bereits den einen oder anderen Kritikpunkt anzubringen, doch dazu später mehr.

 

Die anderen Akteure des Buches werden aus der Über-Sicht der Autorin geschildert und rücken damit automatisch im Vergleich zu Judith in eine gewisse Distanz zum Leser. Ich halte dieses gewählte Stilmittel zweier unterschiedlicher Erzählperspektiven nicht für sehr glücklich bzw. mir erschließt sich nicht deren Sinn. Von der angelegten Handlung her wären alle Personen in gleicher Weise in den Focus zu rücken gewesen, nicht die eine näher, die anderen ferner.

 

Meine eigentliche und für mich wesentlichste Kritik ist jedoch, dass keine der Personen wirklich psychologisch fundiert dargestellt wird. Judith ist eine Studentin, es ist also von einer intelligenten, interessierten Person auszugehen. Im Buch jedoch wirkt sie naiv, politisch desinteressiert, oberflächlich und – ach – von den Ereignissen der Zeit völlig überrascht.  Sie raucht ohne irgendeine Hemmung in ihrem Versteck, ohne darüber nachzudenken, dass sie damit nicht nur sich, sondern auch ihre Helfer in Gefahr bringt. Sie quält Christian kindlich-unreif und undankbar mit eifersüchtigen Gedanken. Mir fehlt die Ernsthaftigkeit, die immanente Angst jüdischen Lebens und das politische Bewusstsein intelligenter Menschen zu dieser Zeit. Und warum wundert es mich jetzt nicht, dass die Geschichte Judiths weitergeht, wie man es aus den Tagebüchern der Anne Frank kennt? Hätte der Autorin nicht etwas mehr einfallen können als dieser Anne-Frank-Abklatsch?

 

Béatrice ist ein oberflächliches ich-bezogenes Luxusweibchen, hat einen verantwortungsvollen Job, der eigentlich auch Intelligenz voraussetzen würde, erhält bestes Gehalt, lässt sich dennoch quälen sowohl von ihrem Chef und ihrem Freund, benimmt sich wie ein willenloses Opfer und lässt sich mal eben „im Vorübergehen“ auf der Straße durch einen hingeworfenen Satz dazu bringen, am nächsten Tag bereits ehrenamtlich bei einer alten schmuddeligen  Frau in einer schmuddeligen Wohnung ekligen Abwasch zu übernehmen? Und natürlich folgt dann zur Krönung eine Liebesgeschichte, die ebenso unrealistisch erdacht ist wie alles vorherig Erzählte.

  

Ich finde es extrem schade, dass eine eigentlich interessante Geschichte, geschrieben von einer Autorin, die, wie man an einzelnen Szenen erlebt, durchaus lebendig-eindringlich erzählen kann, an allzu viel Konstruiertem und Künstlich-Klischeehaftem kaputt geht und wie die Entsetzlichkeit eines finsteren Kapitels der Zeitgeschichte auf billige Weise für einen Roman benutzt wird, dem es leider, leider an der angemessenen Tiefe fehlt.