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Didi Drobna

Als die Kirche den Fluss überquerte

 

 

·         Gebundene Ausgabe: 320 Seiten

·         Verlag: Piper

·         ISBN-13: 978-3492059206

 

 

Ein tief bewegendes Buch

 

Lt. Klappentext ist das vorliegende Buch ein Entwicklungsroman. Überrascht hat mich der Begriff, vom Verlag gewählt, denn in der Gegenwartsliteratur ist die Bezeichnung selten geworden. „Der Ausdruck Entwicklungsroman bezeichnet einen Romantypus, in dem die geistig-seelische Entwicklung einer Hauptfigur in ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Umwelt dargestellt wird“ sagt Wikipedia. Ja, es stimmt, dieser Roman ist in der Tat ein Entwicklungsroman. Daniel ist die Hauptfigur, und wir verfolgen sein inneres Reifen in quälend langsamen Einzelschritten. Als sein Vater, für Daniel und seine Schwester völlig überraschend, auszieht und sie mit der etwas unberechenbaren Mutter allein lässt, gerät Daniel in ein Gefühlschaos, das über Jahre anhält. Daniel erlebt eine gewaltige Sturm- und Drang-Zeit, er mäandert zwischen Größenfantasien, depressiver Lethargie und unkontrollierter Wut. Er versteigt sich obsessiv in eine kompensatorisch übersteigerte Zuneigung zu seiner Schwester. Er erstickt geradezu im permanenten Zwiespalt zwischen Anerzogenem und zaghaft auftauchendem eigenen Willen. Wir erleben mit Daniel und seiner Schwester zwei tief beschädigte Kinderseelen, Kinder, die sich schuldig fühlen für die Flucht des Vaters, für das Vergebliche im Leben der Mutter und die sich ein Leben lang nicht wirklich daraus befreien können. Erst als die Parkinson-Demenz der Mutter nicht mehr zu leugnen ist und die Familie auf ganz neue Weise gefordert wird, gewinnt auch Daniel endlich Konturen…

 

Didi Drobna lässt uns tief Einblick nehmen in ein Familiengefüge, das auseinanderbricht und sich wieder in neuer Weise zusammenfügt. Ihre pointierte Erzählweise von vermeintlich komischen Familienszenen könnte allerdings zu Missverständnissen führen. Nein, es ist kein komisches Buch, es erzählt nicht einfach schräge Erlebnisse von schrägen Menschen. Es ist ein tragisches, tief trauriges Buch voll von Angst, Versagen, fehlgeleiteter Suche nach Verlorenem, wenngleich auch zugegebenermaßen gekonnt verpackt in pseudo-fröhlichem Geschenkpapier.

 

Die Autorin verfügt über eine gewaltige und gleichermaßen poetische Sprachkraft. Ihre Wortbilder kommen ganz einfach daher, ganz unspektakulär, geradezu minimalistisch, und zielen doch mit einer unglaublichen Präzision auf das Wesentliche. Umfassender und tiefergehend kann man zum Beispiel Demenz nicht schildern: „… wie sie in ihrem Kopf herumirrte…“

 

Ein großartiger Roman, in poetischer Sprache Tiefen des Mensch-Seins auslotend, bewegend, zum Wieder- und Wiederlesen.